Thüringen rechtsaußen

Neonazis erobern ein Dorf

Neonazis auf dem Weg zu einem rechtsradikalen Rockkonzert.
Neonazi-Konzert in Südthüringen © Deutschlandradio – Ernst Ludwig von Aster
Von Ernst Ludwig von Aster |
Im südthüringischen Ort Kloster Veßra haben 41 Prozent der Einwohner AfD gewählt. Vor vier Jahren waren es noch zwei. Seit die einzige Gaststätte von einem bundesweit bekannten Rechtsradikalen betrieben wird, ist der Ort zum Treffpunkt von Neonazis geworden. Wie konnte es soweit kommen?
Im Spätsommer 2017 vor einer grünen Wiese. Eine ältere Frau mit schwarzem Rucksack lehnt am rot-weißen Absperrgitter. Stützt sich auf zwei Gehhilfen. Und drückt das Kreuz durch. Alle sollen ihr T-Shirt sehen: "Die Vision – Nazifrei für Thüringen" steht da.
"Und ich habe gedacht, ich muss mich doch den Leuten entgegenstellen. Vor allen Dingen gucke ich mir die Gesichter an. Was sind das für Typen?"
Eine Frau steht vor einer Absperrung. Im Hintergrund nähern sich Besucher des Konzerts "Rock gegen Überfremdung."
Allein auf weiter Flur: Diese Rentnerin stellt sich den Neonazis entgegen.© Deutschlandradio – Ernst Ludwig von Aster
Die Typen ziehen seit einer halben Stunde an ihr vorbei, ohne sie zu beachten. Junge Männer. Viele mit raspelkurzen Haaren, einige mit Glatzen. Die meisten Oberarme gut trainiert und tätowiert. Auf ihren T-Shirts steht "Hammerskins", "Division Thüringen" oder "Sturm auf Themar". Zu Fuß kommen sie die gesperrte Bundesstraße entlang, in Grüppchen. Mal 50, mal 20. Die Rentnerin sehen sie gar nicht.
"Wenn da so eine Alte steht mit Krücken und zeigt da ihre Meinung, da können die ja nur lachen, die Massen da. Im Grunde macht es mich unheimlich traurig."

Tausend Polizisten sichern das Neonazi-Konzert

Ein Polizist tritt an sie heran. Einer von Tausend, die hier im Einsatz sind im thüringischen Örtchen Themar. Sie sollen das größte Neonazi-Konzert Deutschlands sichern. Dafür hat die Landespolizeidirektion aus Erfurt das Kommando übernommen und Unterstützung aus ganz Deutschland angefordert. Der Beamte bittet die Rentnerin auf die andere Seite der Absperrung. Aus Sicherheitsgründen.
Über hunderte Meter teilen Absperrgitter die Bundesstraße 89 entlang des Mittelstreifens. Bauzäune mit schwarzer Folie als Sichtschutz umziehen das Veranstaltungsgelände. Obendrauf flattern schwarzweiße Fahnen mit Stahlhelmkonterfei. Darauf steht in roter Runenschrift: "Ruhm und Ehre dem deutschen Soldat". Ein Stückchen weiter parken Polizeiwagen. Ein Wasserwerfer rangiert auf der nahegelegenen Tankstelle. Die Rentnerin ist bestürzt.
"Das hat sich in einer Weise entwickelt, dass es Angst macht. Und ich möchte gerne mit meinen mickrigen Möglichkeiten was dagegen tun."
Das Konzertgelände in Themar, mit schwarzen Absperrungen gegen ungewünschte Blicke geschützt.
Geschützt vor Blicken von außen: das Konzert "Rock gegen Überfremdung" in Themar.© Deutschlandradio – Ernst Ludwig von Aster
Hunderte Rechtsrockfreunde warten bereits, ordentlich aufgereiht, auf der Wiese. Dazwischen stehen ein paar Pärchen mit Kinderwagen. Noch darf kein Besucher aufs Konzert-Gelände. Die Polizei hat Zelte errichtet, Eingangsschleusen, in denen jeder kontrolliert wird.
Durch ein großes Teleobjektiv beobachtet ein Mittdreißiger die Wartenden auf der Wiese. In sicherem Abstand. Hinter der Absperrung. Ab und zu drückt Stefan Heerdegen auf den Auslöser. Er arbeitet für MOBIT, die Mobile Beratungsstelle für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Seit Jahren unterstützen Heerdegen und seine Kollegen Kommunen im Kampf gegen Neonazis, protokollieren die Veranstaltungen der Ultrarechten:
"Das ist nach unsere Zählung das 47. Konzert, das angemeldet wird, versammlungsrechtlich als Kundgebung. Es ist nur insofern besonders, dass es mit Ansage angeblich 5000 Neonazis anziehen soll. Die Größe ist neu, der Rest eigentlich nicht."
Wie viele Tausende Rechtsradikale tatsächlich kommen, bleibt spannend. Ein Versuchsballon. Nicht ohne finanzielles Risiko. Stromgeneratoren, Musikanlage, Bauzäune, das riesige Bierzelt. All das muss finanziert werden, einige zehntausend Euro sind da vorab fällig. Heerdegen kennt auch den Veranstalter. Er kommt aus dem Nachbarort. Kloster Veßra.
"Kloster Veßra ist schon ein zentraler Punkt, zumindest für die Südthüringer rechte Szene und durch den Gasthof, den es da gibt, den eben Tommy Frenck betreibt, sicherlich ein Anlaufpunkt für überregionale Neonazis. Nach unseren Konzertzählungen fanden die meisten Musikveranstaltungen im letzten Jahr bei Tommy Frenck statt."
Eine Wiese mit Polizeiwagen, Absperrungen und einer Flagge mit rechtsradikalem Inhalt.
Themar bereitet sich auf das Konzert vor.© Deutschlandradio – Ernst Ludwig von Aster
Thüringen ist bundesweit Spitze, wenn es um Neonazi-Aufmärsche und -Konzerte geht. Seit den 90er-Jahren entwickelt sich hier eine Szene, meist unbehelligt, teilweise finanziert vom Verfassungsschutz. Auch das NSU-Trio konnte über Jahre diese strammrechten Strukturen nutzen. So steht es im Bericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses.

"Ich will mit meinen mickrigen Möglichkeiten was dagegen tun"

Tommy Frenck, der Veranstalter, eilt an der Rentnerin vorbei. Ohne sie zu beachten. 30 Jahre, knielange Military-Hose, schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck "Goldener Löwe". Funkgerät am Gürtel, Kopfhörer im Ohr. Ein kleiner Mann, sehr muskulös, kurze Haare, kurzer Hals. Darauf hat er sich in Großbuchstaben "Aryan" tätowieren lassen: Arier. Tommy Frenck ist der Macher der Szene: Er übernimmt das finanzielle Risiko, er zieht die Fäden – seit langem.
"Über die Jahre entwickelt man natürlich auch eine gewisse Erfahrung. Und dann kriegt man das auch mit vielen, vielen Helfern hin. Das wird wahrscheinlich dieses Jahr das Größte, was wir je hatten."
Letztes Jahr holte er 3500 Gesinnungsgenossen in den Landkreis. "Rock für Identität" hieß die Veranstaltung. Sie fand auf dem Festplatz der nahegelegenen Kreisstadt Hildburghausen statt. Der Bürgermeister sprach später vom schwärzesten Tag seiner Amtszeit. Hildburghausen hat 12.000 Einwohner. Das Örtchen Themar nur 3600. Diesmal sollen noch viel mehr Konzertbesucher kommen.
Im Landratsamt Hildburghausen scrollt Andrea Engelbert über den Bildschirm.
"Es wurde eine Versammlung angemeldet, 'Rock gegen Überfremdung'. Schon im Namen ist drin, dass es sich wieder um ein Rechtsrockkonzert handelt."
Engelbert lächelt, etwas resigniert. Seit Wochen beschäftigt sie die Anmeldung. Tommy Frenck ist hier ein alter Bekannter. Andrea Engelbert leitet das Ordnungsamt. Und ist mit einer Kollegin für die Genehmigung von Versammlungen im Landkreis zuständig. Auch in Themar. Frenck gehört seit Jahren zu den eifrigsten Anmeldern, wenn es um Aktionen von Rechtsaußen geht.
Auf dem Bildschirm erscheint die aktuelle Anmeldung:
"Wenn Sie wissen wollen, wer da spielt: Stahlgewitter, Flak, Lunikoff-Verschwörung, Sleipnir, Uwocaust, Treueorden und Blutzeugen…"
Das Who ist Who der Rechtsrockbands tritt auf, flankiert von Holocaust-Leugnern und Rasse-Ideologen, die Reden halten. Das Ganze angemeldet als Versammlung, nicht als Konzert. Das hat vor allem finanzielle Gründe. Denn bei einem Konzert muss der Veranstalter eine Vielzahl von Auflagen erfüllen, es gilt als profitorientierte Privatveranstaltung. Eine Versammlung aber dient der öffentlichen Meinungsbildung.
"Gerade wenn so eine Versammlung angemeldet wird von der rechten Seite, dann ist das schon relativ schwierig, gerade weil auf die Versammlungsbehörde auch relativ viel Druck ausgeübt wird, von allen Seiten, dass die Leute doch eigentlich entgegen der Verfassung leben und agitieren. Und dass man das doch verbieten sollte oder zumindest denen das unbequem machen sollte, so eine Versammlung durchzuführen."
Aber so einfach ist das nicht. Tommy Frenck beruft sich jedes Mal auf das Grundrecht der Meinungs- und Versammlungsfreiheit - und bekommt Recht vor Gericht. Seitdem ist Amtsleiterin Engelbert in der Pflicht. Sie muss die Versammlungsfreiheit gewährleisten.
"Ursprünglich wollte der Herr Frenck mal Shuttlebusse einsetzen und aus umliegenden Orten, die parken lassen, Hildburghausen, Schleusing, wo eben größere Parkmöglichkeiten sind. Und dann hat er keine Busse bekommen. Und dann war es ziemlich wild, wie das sein sollte. Und es stand wirklich zu befürchten, dass die ganzen umliegenden Dörfer letzten Endes zugeparkt werden."
Darum stellt der Landkreis in Absprache mit der Polizei jetzt auch Parkplätze zur Verfügung - als Teil eines Sicherheitskonzeptes. Alle Neonazis, die mit dem Auto anreisen, werden nach Kloster Veßra umgelenkt. Das liegt zweieinhalb Kilometer vom Veranstaltungsort entfernt. Kloster Veßra, das ist ein 200 Seelen-Örtchen, in dem Tommy Frenck die einzige Gaststätte betreibt.
Eine Wiese, die während des Konzerts "Rock gegen Überfremdung" als Parkplatz fungiert.
Ausnahmezustand auf der Wiese: Auch Neonazis müssen parken.© Deutschlandradio – Ernst Ludwig von Aster

Burger mit Spieß und Reichskriegsflagge

Kloster Veßra, Gasthaus "Goldener Löwe". Hölzerne Sitzecken, getäfelte Wände, verblichene Tischdecken. Rechtsrock schallt durch das alte Fachwerkhaus. Gut ein Dutzend Gäste sitzt an den Tischen, die meisten ordern Bier und Burger.
Tommy Frenck serviert. Seit zwei Jahren betreibt er das Gasthaus. Die Kommune hatte auf ihr Vorverkaufsrecht verzichtet, so kam er zum Zuge. Das Schild "Fremdenzimmer" hat er abmontiert, den Kneipen-Namen mit schwarz-weiß-rot, kräftig unterstrichen. Seine Burger werden neuerdings durch Spieße mit Reichskriegsflaggen zusammengehalten. Zur Verdauung gibt es Nazi-Schnaps.
"Wir haben da verschiedene Etiketten natürlich, auch deutsche Helden haben wir mit drauf, zum Beispiel Hans-Ulrich Rudel, Adolf Galland, Otto Carius, das deutsche Panzerass".
Tommy Frenck setzt sich kurz an den Tisch. Nimmt einen Schluck Energydrink, Marke "Monster". Seit gut 15 Jahren sorgt er in Südthüringen für Unruhe, immer von Rechtsaußen. Als Teenager erklärt er seinen Heimatort Schleusing zur "Frontstadt" und "befreiten Zone". Er gründet einen rechtsextremen Sportverein. Zieht nach Hildburghausen, hängt dort die Reichskriegsflagge aus dem Fenster. Wird NPD-Mitglied. Die freiwillige Feuerwehr verweigert ihm die Mitgliedschaft. Für seine Ausbildung zum Koch muss er den Landkreis verlassen.
Heute ist er nicht mehr in der NPD, aber immer noch Rechtsaußen. 30 Jahre alt, Kreistagsabgeordneter für das von ihm gegründete Bündnis Zukunft Hildburghausen, Betreiber einer Werbefirma und eines Versandhandels. Vor allem aber kümmert er sich um den "Goldenen Löwen".
"In der Werbung wird man eigentlich totgeschwiegen. Und man weiß ja, man muss bloß zwei, drei Knöpfe drücken und schon springen da sämtliche Leute drauf an. Und machen da einen Skandal draus."
Provokation ist seine Spezialität: Mal gibt es ein 8 Euro 88 Schnitzelangebot zum Geburtstag von Adolf Hitler, mal protestiert er gegen Sammelbilder von farbigen Spielern der Fußball-Nationalmannschaft. Jede Aktion wird in sozialen Netzwerken von seinen Anhängern ausgiebig gefeiert. Jeder Skandal ist gut fürs Geschäft. Vor allem fürs Versandgeschäft. Mehr als 3000 Artikel vertreibt Frenck mittlerweile. Hunderte lagern in einem Hinterzimmer des "Goldenen Löwen". Vor allem T-Shirts stapeln sich auf den Tischen:
"Diese ganze Divisionsgeschichte läuft am besten, das ist auch deutschlandweit sehr bekannt, ‚Division Thüringen‘, ‚Division Hessen‘. Und das, was auch gerne gekauft wird, ist dieses ‚Make Germany Great Again‘."
Tommy Frenck nimmt noch einen Schluck aus der Dose. Als er die Gaststätte übernahm, fuhr er einen Mittelklassewagen. Jetzt steht ein Hummer vor der Tür. Ein Geländewagen, bevorzugt von den US-Streitkräften. Knapp drei Tonnen Metall in martialischer Kastenform. "Goldener Löwe" prangt in Runenschrift knallrot auf der Rückscheibe. Das größte Auto weit und breit, sagen die Nachbarn.

T-Shirt-Verkaufsschlager: Make Germany Great Again

Gut hundert Meter weiter sitzt Dr. Uta Bretschneider im Museumsgarten. Vor sich einen Pott Kaffee, hinter sich die große Klosterruine, das Hennebergische Museum Kloster Veßra. Es liegt gegenüber vom "Goldenen Löwen". Ein riesiges Mitmachmuseum: mit Schmiede, Wassermühle, Brauhaus, Backhaus. Seit Dezember 2016 ist die Mittdreißigerin hier Museumsdirektorin. Und Nachbarin von Tommy Frenck.
"Ich weiß, dass aus dem Bekanntenkreis jemand gesagt hat, er wolle mit seiner Tochter ins Museum gehen. Und dann standen überall die Polizeiautos. Und da ist er natürlich wieder umgekehrt."
Knapp 40.000 Museumsbesucher kommen pro Jahr in den kleinen Ort mit Bussen und PKW. Der Museumsparkplatz aber liegt direkt vor dem "Goldenen Löwen".
Wenn dort Konzerte stattfinden, rückt die Polizei regelmäßig mit Mannschaftswagen an. Und kontrolliert Fahrzeuge.
"Und das ist natürlich der schlimmste Fall, dass hier durch irgendwelche Aktivitäten oder Schutzmaßnahmen der Polizei Besucherinnen und Besucher abgeschreckt werden, das wollen wir natürlich vermeiden."
Das aber wird an diesem Wochenende nicht funktionieren. Dieses Mal bestimmt Tommy Frenck, wer wo in Kloster Veßra parkt. Der Ort ist eingeplant als Parkplatz für die Rechtsrockfreunde. So wollen es Polizei und Ordnungsbehörde.
"Natürlich werden die Flächen um das Museum als Parkflächen genutzt. Und das ist auch freigegeben vom Landratsamt. Was ich für höchst problematisch halte. So ein kulturhistorisches Denkmal derart Preis zu geben und in den Mittelpunkt zu rücken von solchen Aktivitäten."

Museum contra Rechtsrock

Für den 200-Seelen-Ort heißt das Straßensperren, beschlagnahmte Wiesen, Polizeikontrollen. Uta Bretschneider blickt auf die Uhr. Es ist Zeit, den Museums-Parkplatz vor dem "Goldenen Löwen" abzusperren. Das macht sie vor jedem Rechtsrockkonzert, bevor sie nach Hause fährt. Dieses Wochenende aber wird sie im Museum bleiben.
"Mein Museum liegt mir tatsächlich so am Herzen, dass ich hier schlafe, und hier sein will, auch wenn ich wahrscheinlich schlaflose Nächte vor mir habe."
Während Uta Bretschneider den Museumsparkplatz absperrt, läuft Tommy Frenck durch den Nachbarort Themar, zusammen mit drei Begleitern. Alle tragen ein orange-gelbes T-Shirt mit dem Slogan "Rock gegen Überfremdung", neben ihnen rollt ein alter Mercedes-Transporter. Auf der Ladeflächen surrt ein Generator, zwei große Boxen verbreiten die Botschaften.
"Bürgerinnen und Bürger von Themar. Unser Motto morgen ist Rock gegen Überfremdung. Wir brauchen hier keine Millionen Flüchtlinge bei uns. Wir sind auch nicht diese bösen Nazis. Wir sind hier alles Bürger aus der Region, die einfach nur die Schnauze voll haben von der etablierten Politik und von der Verarsche, die uns Tag für Tag hier widerfährt."
Im Schritttempo zuckelt der Lautsprecherwagen durch die engen Straßen der Kleinstadt. Vorbei an alten Fachwerkhäusern. Dutzende Polizisten eskortieren das Neonazi-Trio neben dem Transporter, auf dem Bürgersteig folgen ihm, betont auffällig, zwei Beamte vom Staatsschutz. Auch einige Kamerateams sind gekommen.
Tommy Frenck zieht mit Kameraden durch die Straßen von Themar.
Alter Laster, alte Parolen – Tommy Frenck mit Kameraden auf Propaganda-Tour in Themar.© Deutschlandradio – Ernst Ludwig von Aster
Dutzende Plakate hängen an Lampenmasten und Gartenzäunen. "Deine Stimme gegen Nazis", steht da, "Themar bleibt bunt" oder "Für eine solidarische Gesellschaft". Seit Wochen machen die Einwohner des Ortes gegen das Konzert mobil. Bürgermeister, Kirchengemeinde, Vereine. Sie haben an die Bundeskanzlerin und den Bundespräsidenten geschrieben mit der Bitte, sie nicht alleine zu lassen. Eine Antwort bekamen sie nicht. Jetzt müssen sie mitansehen, wie der rechte Propagandazug durch ihren Ort zieht.
"Ich finde, das ist eine Katastrophe. Und das Schlimmste ist, man hat das zugelassen als eine politische Versammlung."
Eine 74-Jährige sitzt auf der Bank vor der alten Stadtmauer. "Was wollen diese Menschen bloß hier?", fragt sie sich. In Themar, ihrer kleinen Stadt. Wo vor vielen Häusern Stolpersteine an die Gräueltaten der Nazis erinnern,
"Mich stört es, die wissen gar nicht, wie das so war, da sind die noch im Wasser rumgeschwommen."
24 Stunden später parken in Kloster Veßra Hunderte PKW auf der Wiese vor dem Museum. Die Dorfstraße ist so gut wie dicht. Rund um den "Goldenen Löwen" stehen Konzertgäste, viele mit Bierflaschen in der Hand. Fassungslos blickt ein Nachbar auf das Treiben.
Ein PKW rollt vor die Einfahrt zum Nachbargrundstück.
"Geht mich nichts an. Eigentlich wollten sie abschleppen, aber ich sehe hier noch nichts. Die dürfen doch machen, was sie wollen und die Polizei traut sich nicht ran."
Ein Bus aus Pforzheim rangiert unten an der Wiese, ein PKW aus Tschechien blockiert eine Ausfahrt. Jeder hält, wo er einen Platz findet. Nur der Museums-Parkplatz ist tabu. Abgesperrt mit rot-weißem Trassierband.
"Es war ja zu erwarten, aber was nicht zu erwarten war, dass sie eindeutige Regeln missachten, Ausfahrten zuparken und sich nicht nach dem Parkverbot richten."

Trittbrettfahrer verdient mit

Auf der anderen Straßenseite, gegenüber vom "Goldenen Löwen", beendet Bodo Dressel ein Telefonat. Und lehnt sich zurück in seinem Schreibtischstuhl. Dressel ist Gebrauchtwagenhändler. Und nebenbei ehrenamtlicher Bürgermeister des nahegelegenen Örtchens Grimmelshausen. Der Endfünfziger in Pulli und blauer Latzhose lässt den Blick zufrieden über seinen Parkplatz schweifen. Der alte Mercedes-Transporter, mit dem Tommy Frenck durch Themar rollt, parkt hier, gerade holt ein Lieferwagen einige mobile Toilettenhäuschen ab. Nachschub fürs Konzertgelände. Auf der Wiese, vor Themar. Seiner Wiese.
"Ja, mit der Wiese, das ist eine lange Geschichte. Diese Wiese habe ich 1994 gekauft und wollte da mit einem Geschäftspartner ein Autohaus hinbauen."
Doch dann klappte es nicht mit der Genehmigung. Und seitdem hat Dressel mit den Verantwortlichen in Themar eine Rechnung offen. Dressel, Mitglied der CDU, musste seine Autohaus-Pläne beerdigen, der Geschäftspartner stieg aus, Dressel ins Gebrauchtwagen-Geschäft ein. Doch dann kam die Abwrackprämie. Und plötzlich wollten alle Neuwagen. Wieder einmal lief es nicht gut für Bodo Dressel, wieder einmal machte ihm eine politische Entscheidung einen Strich durch die Rechnung. Dressel trat aus der CDU aus. Und in die AfD ein. Vor einem Jahr hörte er von Tommy Frencks Konzertplänen.
"Und dann bin ich eigentlich auf den Tommy zu und habe gesagt, Du Tommy, ich habe eine Wiese, die habe ich mal nach der Wende gekauft, die ist vor Themar, da könnt ihr hingehen."
Bedächtig nickt der Autohändler. Endlich mal ein Plan, der funktioniert. Und wo ihm keiner dazwischenfunkt. Während seine Bürgermeisterkollegen aus dem Landkreis gemeinsam überlegen, wie sie das Konzert verhindern könnten, vermietet Dressel seine Wiese. Mir war schon klar, dass es Ärger geben würde, sagt er. Nur eines hat ihn dann doch überrascht: Dass die AfD ihn nicht mehr als Mitglied wollte:
"Es will jeder den Gutmenschen spielen. Es will jeder tolerant sein. Aber dann muss man auch tolerant sein gegenüber von Minderheiten, wenn die anders denken, ob mir die Ideologie gefällt oder nicht. Und wenn sie erlaubt sind, sind sie erlaubt. Und wenn sie verboten sind, sind sie verboten. Aber die sind erlaubt."
Zufrieden lehnt er sich zurück. Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Das ist sein Motto. Und sein Geschäftsprinzip. Und er steht zu seinem Wort. Auch gegenüber Tommy Frenck, dem rechten Nachbarn.
"Ich habe viel Geld geboten bekommen, wenn ich dass hier absage, zurückziehe, das habe ich nicht gemacht."
Im Bierzelt auf Dressels Wiese spielen die ersten Bands. Der Sichtschutz am Zaun schirmt sie ab vor neugierigen Blicken. Doch wer auf ein Absperrgitter klettert, hat einen guten Überblick: Gut dreitausend Besucher drängen sich zwischen Bierbuden, Bühne und Info- und Verkaufsständen. "Die Identitären" werben hier ebenso für ihre Ideen wie der "Dritte Weg". Auf der Wiese warten immer noch Hunderte Rechtsrockfreunde, immer mehr Konzert-Besucher kommen zu Fuß über Bundesstraße.
"Läuft gut alles, 5000 werden es auf jeden Fall. Und ich habe halt Befürchtungen, dass der Platz nicht reicht, dass so viele Leute kommen."
Im Zelt hetzt ein Redner gegen die etablierten Parteien. Gegen Ausländer und Linke. Fordert Arbeitslager und Abschiebungen. Das Publikum grölt. Vor den Einlassschleusen warten noch hunderte Besucher.

5000 Neonazis und acht Gegenkundgebungen

Stefan Heerdegen von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus steht immer noch hinter dem Absperrgitter. Seine Kamera hat er über die Schulter gehängt. Der Rechtsextremismus-Experte rechnet.
"Wenn ein Ticket 35 Euro kostet, dann bedeutet das ja pro 1000 Menschen, die das bezahlen, 35.000 Euro und wenn man das ja hochrechnet; dann sind wir halt im Bereich von weit über 150.000 Euro, dann gibt es noch eine große Unbekannte, was da drinnen an den Verkaufsständen umgesetzt wird. Oder an Verpflegung."
Eine Prozession der Kirchengemeinde zieht singend und betend hinter der Absperrung entlang. Auch die Rentnerin mit den Gehilfen ist dabei, ein Stückchen weiter spielt die Marxistisch-Leninistische Partei "no pasarán". Auf dem Marktplatz feiern die Themarer ein Straßenfest, neben der Kirche gibt es Live-Musik. Insgesamt acht Gegenkundgebungen verteilen sich in dem 3000-Seelen-Ort. Auf Dressels Wiese aber geben 5000 Neonazis den Ton an. Bewacht von Hunderten Polizisten.. In Kloster Veßra wird es inzwischen eng.
"Da ist im Moment in Kloster Veßra gar nichts mehr, weil der Ansturm als Individualanreisende augenscheinlich größer war, als man es im Vorfeld vermutet hatte, Kloster Veßra ist eine noch kleiner Kommune als Themar, die Parkplatzsituation ist jetzt einigermaßen ausgereizt."
Über Kloster Veßra kreist ein Hubschrauber. Vor dem "Goldenen Löwen" johlen Gäste, auf Straßen und Wegen suchen immer noch PKW nach Parklücken. Vergeblich.
"Die 3000 Einwohner-Stadt Themar hat es geschafft, das auf ein 200 Einwohner-Dorf abzuwälzen, nicht mal! 180 Einwohner!"
Zwei Anwohner stehen hinterm Zaun, beobachten das Treiben. Kopfschüttelnd. Weit und breit ist kein Polizist zu sehen. Im Museum wacht Uta Bretscheider. Das Trassierband, das ihren Parkplatz absperrt, flattert in der Dunkelheit.
"Natürlich ist der Imageschaden das viel größere Probleme, wenn das jetzt hier das Mekka für die Neonazis oder mutmaßliche Neonazis wird, dann haben nicht nur wir ein Problem, sondern alle, die Tourismus hier in der Region machen."
Vor dem "Goldenen Löwen" stehen jetzt gut 200 Leute, einige wollen bleiben, einige weiter zum Konzert.
Bei Bodo Dressel brennt noch Licht. Der Autohändler blickt aus dem Fenster. Rechtsrock in Themar, Park-Chaos in Kloster Veßra. Dressel wiegt den Kopf. Er denkt an seine Wiese. Und an die nächsten Konzerte. Drei weitere sind bis Ende Oktober geplant. Und ein Fußballturnier.
"Ich habe das mitgekriegt, dass aus so einer Sache was werden kann. Und wenn die das nächstes Jahr verhindern wollen, ich sage das jetzt so, wie es ist, dann sollen die das mir abkaufen. Ich mache das nächstens Jahr wieder, ich Bodo Dressel, mache das nächstes Jahr wieder. Ist egal, ist mir wurscht."
Mehr zum Thema