''Thüringer Hennen legen täglich ein Ei''
Wenn 1,7 Millionen Hennen in 21 Betrieben mit 3000 Haltungsplätzen 508 Millionen Eier legen - wie viel Hähne braucht dann das Land? Eine Textaufgabe für den Frontalunterricht. So oder anders lesen sich mitunter Landesstatistiken. Aber mal im Ernst. Wozu erhebt wer was für wen mit welchem Ziel? Im Landesamt sitzen Beamte. Mit Außendienstverpflichtung?
"In Thüringen werden in diesem Jahr 76 Dezitonnen Sauerkirschen geerntet, das sind 8100 Dezitonnen mehr, als im Durchschnitt."
"Im vergangenen Jahr wurden an Thüringer Gerichten 926 Personen weniger verurteilt als im Jahr zuvor."
"1,2 Prozent der Thüringer Bodenfläche sind mit Wasser bedeckt."
"Thüringer Brauerein verkauften im Mai dieses Jahres im Vorfeld der WM 367 tausend Hektoliter Bier, fünf Prozent mehr, als im Vorjahr."
"91,5 Prozent der Thüringer Bevölkerung sind an die öffentliche Kanalisation angeschlossen."
Schulz: "Die Zahlen des Statistischen Landesamtes in Thüringen und auch des Bundesamtes für Statistik sind für alle Arbeitsbereiche des Thüringer Sozialministeriums unverzichtbar."
Thomas Schulz spricht für das Thüringer Ministerium für Soziales Familie und Gesundheit. Andere Ministerien würden gleichlautend antworten.
"Die Daten und Fakten, die wissenschaftlich dort erhoben werden, werden für die Arbeit des Ministers und des Staatssekretärs gebraucht. Das geht bei der Familienpolitik los - die demographische Entwicklung, die Entwicklung der Geburten und so weiter, es geht über Zahlen im Gesundheitsbereich, ich sag mal: Krebsstatistik oder Anzahl der Grippefälle."
Die Politik ist Hauptnutzer der Statistik. Ebenso Hauptauftraggeber. Kein Huhn und kein Ei wird in Thüringen gezählt, ohne dass irgendjemand in der Politik das nicht für wichtig befunden hätte.
Wie viele Eier das durchschnittliche Thüringer Huhn legt, ist für Endverbraucher eher eine Schmunzette. Für Eierproduzenten nicht. Auch nicht für die, die die Agrargenossenschaften subventionieren. Die abwägen müssen, in wieweit Thüringer Hühnereier besser gefördert werden, und damit preiswerter sind, als die aus Polen. Mit jedem gezählten Ei wird also letztlich Politik gemacht.
Günter Krombholz: "Sämtliche Statistiken basieren auf einer gesetzlichen Grundlage. Das heißt: Wir sind Dienstleister. Dienstleister im Sinne der Gesetzesausführenden."
Günter Krombholz leitet das Thüringer Landesamt für Statistik. Das sitzt in einem schmucklosen Neubau im Erfurter Norden. Verteilt auf mehrere Etagen wälzen hier Statistiker Zahlenkolonnen. Zahlen über Eier, Rinder und Schafe, über Raucher und Übergewichtige, über Steuern und Renten, über Wohnungen und Sparguthaben, über den Preisindex und den Pro-Kopf-Verbrauch von Ziegenfleisch.
Die einen sammeln die Zahlen, die anderen deuten sie. Am Ende stehen komplexe Datensätze, benutzerfreundlich und bedarfsgerecht aufgearbeitet. Sie werden an die Kunden versandt, ins Internet gestellt oder in Berichten zusammengefasst.
"Insgesamt ziehen wir im Jahr circa sieben Millionen Datensätze ein, das ist sehr viel."
Beginnend bei der eierlegenden Henne über die Steuerzahlenden Einwohner bis zum produzierenden Großbetrieb. Das Resultat sind nicht nur erstaunliche Pressemitteilungen. Das Resultat sind harte Fakten, die am Ende Grundlage sind für Geldflüsse - nämlich zwischen EU und Bundesrepublik, zwischen Bund und Ländern, und Ländern und Kommunen.
"Wir berechnen auch in unserem Landesamt den kommunalen Finanzausgleich. Das heißt: Wir erstellen letztendlich den Bescheid für die Kommunen, damit dann über den kommunalen Finanzausgleich die entsprechenden Gelder vom Land in der entsprechenden Höhe auch an die Kommunen fließen."
Günter Krombholz ist ein wichtiger Mann in der politischen Landschaft Thüringens. Von den Daten, die aus seinem Hause kommen …
Krombholz: "… hängt das Wohl und Wehe der Gemeinden ab, finanzieller Art. Aber in der Richtung sind wir unbestechlich."
Die Zahlen aus seinem Amt seien nicht manipulierbar, sagt der Amtschef, weil amtliche Statistik strengen Regeln unterworfen ist. Alles ist festgelegt - wer welche Daten wann erheben darf, welche Fragen gestellt werden dürfen, wie sie verarbeitet werden können und in welcher Form das Ergebnis zur Verfügung gestellt werden muss. Spielraum für Kreativität gebe es da nicht.
Schulz: "Deswegen brauchen wir auch ein amtliches Amt für Statistik, dass diese Zahlen unabhängig und wissenschaftlich vorbereitet und nicht tendenziös sind, weil man mit Daten und Fakten durchaus auch Missbrauch betreiben kann."
Aus diesem Grund schaut der Gesetzgeber doppelt hin, wenn es um Statistik geht. Immerhin: sie handelt mit sensiblen Zahlen. Die kommen meist aus der Verwaltung, zehn Prozent stammen aus Unternehmen und von Bürgerinnen und Bürgern.
Beispiel: Mikrozensus - die "kleine Zählung". Hier werden sehr private Daten erhoben. Im Thüringer Landesamt für Statistik gibt dafür eine eigene Abteilung. Eberhard Baumann ist Mikrozensus-Sacharbeiter.
"Der Mikrozensus ist eine repräsentative Haushaltsbefragung. Das heißt: eine bestimmte Stichprobe der Bevölkerung wird befragt. Die Grundlage der Befragung sind Haushalte."
Ein Prozent der Thüringer Haushalte wird ausgelost. Welche Wohnungen ausgewählt werden, errechnet ein Computer nach einem mathematischen Programm. Zufällig, wie Lottozahlen, spuckt er Straße und Hausnummer aus. Selbst bei großen Wohnblocks kann der Mitarbeiter nicht frei wählen, an welcher Tür er klingelt. Denn auch sie wird durch ein eigenes mathematisches Programm errechnet.
"Also immer noch: Bevor man überhaupt die Leute kontaktiert oder irgendetwas über sie weiß, müssen wir uns dann ausrechnen, welche Wohnung. Meinetwegen: 4. Obergeschoss Wohnung 3, 401 - 408 ist zu befragen. Das sind dann unsere Wohnungen, die wir aufsuchen müssen."
In den Briefkasten dieser Wohnung wird dann der 36 Seiten starke Fragebogen gesteckt, beziehungsweise es klingelt der Mitarbeiter mit Laptop unterm Arm an der Tür. Der sagt dann sein Verslein auf: Dass amtliche Statistik wichtig ist, dass die Wohnung zufällig ausgelost wurde, dass die Bewohner zur Mitarbeit aufgerufen sind, dass Ausreden nicht gelten. Notfalls droht ein Zwangsgeld. Einmal hereingelassen, werden alle, die in der Wohnung leben, detailliert unter die Lupe genommen.
Eberhard Baumann öffnet in seinem Computer den Rücklauf, also die Daten, die der Mitarbeiter vor Ort eingesammelt und per Sicherheitsleitung ins Landesamt überspielt hat.
"Sind sie in den letzten zwölf Monaten hier eingezogen, ist die erste Frage. 'Nein.' Er hat also schon vorher da gewohnt. Geschlecht, Geburtsjahr, Geburtsmonat. Der Mensch ist 67 Jahre alt. Sein Familienstand ist verheiratet ..."
Nach den einfachen Fragen folgen die zur Arbeit. Bis in Einzelheiten hinein wird erfasst, wer was macht und wie dafür entlohnt wird, beziehungsweise welche staatlichen Leistungen er empfängt, welchen Schulabschluss er hat, wie er sich weiterbildet. Mit diesen Details fließt der Thüringer Otto Normalverbraucher in die EU-Erwerbsstatistik ein.
"Mit welchen Verkehrsmitteln kommen sie zu ihrer Arbeitsstelle? Wie lange dauert es, bis sie dort sind? Wie viele Kilometer sind es bis dorthin? - Das wird so gefragt alle vier Jahre. Kann dann entsprechend als Pendlerverhalten ausgewertet werden."
Heraus kommen Daten zur Bevölkerungsstruktur. Je nach Wunsch der Länder - können auch periphere Fragen eine Rolle spielen. In einem Jahr wollten die Statistiker wissen, ob im Haushalt Jodsalz verwendet wird. Auch aktuelle Themen, wie die Pflegeversicherung, werden abgearbeitet.
"Grundsätzlich wird gefragt, ob jemand Pflegegeldempfänger ist und welche Pflegestufe sich dahinter verbirgt. In größeren Abständen wird dann auch mal tiefgründiger zur Pflegebedürftigkeit gefragt, indem dann also auch gefragt wird: Bei welchen Tätigkeiten im Haushalt brauchen sie Unterstützung? Also: Bei der der Körperpflege, bei der Nahrungszubereitung zum Beispiel."
Wer will das alles wissen, möchte man fragen? Dieter Schnellbach zum Beispiel. Er ist Mitarbeiter im Referat Pflege und Seniorenpolitik im Thüringer Sozialministerium. Als das Pflegeversicherungsgesetz in Arbeit war, gehörte er zu einer Arbeitsgruppe, die die gesetzlichen Grundlagen für diese Fragen erarbeitet hat.
"Aus den verschiedenen Ministerien der Länder waren dann eben die, die es betrifft, im Bundesamt für Statistik, in Wiesbaden haben wir uns getroffen, mehrfach. Und haben eben beraten: Wie setzen wir die gesetzlichen Vorgaben im Pflegeversicherungsgesetz - wo drin steht: es soll eine Versicherung geben - wie setzen wir das um."
Baumann: "Wie oft ist es notwendig, dass sie betreut werden? Einmal am Tag bis hin zu Rund-um-die-Uhr ist die Pflegebedürftigkeit notwendig ..."
Aus den im Mikrozensus gewonnen Daten macht Dieter Schnellbach Vorlagen für Politik. Als klar wurde, dass in Thüringen immer mehr Menschen älter werden, immer weniger Jüngere zuhause bleiben, um die Älteren zu pflegen, Ältere immer kränker sind und die Kapazität und Ausstattung der Pflegeheime nicht ausreichte, wurde daraufhin ein großes Paket zum Neu- und Umbau von Pflegeheimen geschnürt.
"Größenordnung: 665 Millionen Euro. Das lief über mehrere Jahre seit 1995, und da konnten wir über 12.000 Pflegeplätze in Thüringen umfassend sanieren oder auch neu bauen."
Baumann: "Diesen Schrank, den ich hier aufgemacht habe, der enthält die Ergebnisse des Mikrozensus in tabellierter Form von 1991 bis 2005. Für jedes Jahr also vier dicke Ordner mit jeder Menge Tabellen."
Zahlen über Zahlen, die Seiten eng bedruckt. Enorme Datenmengen hat Eberhard Baumann gesammelt. Ein Vielfaches davon schwirrt täglich durch das Netz des Statistischen Landesamtes. Gut gesichert. Immerhin unterliegen die Daten strengen Schutzbestimmungen.
Volker Blank: "Das ist hier das Heiligtum im Prinzip."
Volker Blank, Chef der Abteilung Informationstechnologie im Thüringer Landesamt für Statistik, zeigt den stark klimatisierten und mit einer Sicherheitstür versehenen Computerraum.
"Hier laufen sämtliche Daten, die draußen von den Berichtspflichtigen kommen, also auch zum Beispiel vom Mikrozensus, zusammen, werden hier auf den Servern auf Platen abgespeichert. Da stehen Speicherkapazitäten von mehreren Terabyte zur Verfügung. Alles wird hier mit Glasfaser bis an den Arbeitsplatz transportiert."
Mannshohe Schränke stehen hier, viele Apparate mit blinkenden Lichtern. An der Stirnseite: Steckvorrichtungen mit hunderten orangenen Kabeln. Das Haus ist gut vernetzt.
"Das ist eigentlich auch das Herzstück für sämtliche Wahlen, die wir hier im Freistaat haben. Also auch die Wahlen laufen jetzt nach unserer neuen Form zentral hier zusammen."
Gerade im Mai wieder mutierte das Landesamt zur Wahlzentrale. Der Präsident des Amtes wurde - wie immer - Landeswahlleiter. Die Ergebnisse aller Thüringer Wahllokale liefen hier ein, wurden umgesetzt und ins Netz gestellt. Die Server hatten Hochbetrieb, mussten enorme Zugriffsraten bewältigen. Das sonst recht scheue Landesamt wurde von Journalisten bevölkert, der Präsident Hauptinterviewgeber.
An normalen Tagen aber läuft der Betrieb im Statistischen Landesamt ruhig. Ein normaler Tag heißt: im Datennetz werden so viele Daten umgesetzt, dass sie, wenn man sie ausdrucken würde, 5,4 Millionen Seiten füllen würden. So viele Zahlen gehen hier täglich rein und raus.
"Entscheidend ist, dass die Statistiker ja die Entdecker der demographischen Revolution sind, die unsere Lebensverhältnisse in allen Bereichen ja umändern wird."
Hans-Herrmann Rössler, Referatsleiter Familienpolitik im Thüringer Sozialministerium.
"Insofern ist also eine Familienpolitik ohne demographische Daten, aber auch zum Teil Ausstattungsdaten, also soziale Daten, die das Landesamt zur Verfügung stellt, kaum denkbar."
Gäbe es das Landesamt für Statistik nicht, könnte die Landesregierung nur auf Verdacht arbeiten - das ist schier unmöglich. Das Thüringer Finanzministerium baut immerhin zum Beispiel auf den Statistik-Zahlen die Finanzplanung auf. Das Wirtschaftsministerium beschließt Förderungen aufgrund statistischer Ergebnisse. Die Ministerien arbeiten eng mit dem Landesamt zusammen. Auch die Opposition im Thüringer Landtag bezieht sich auf statistische Ergebnisse, wenn sie die Arbeit der Regierung bewertet.
"Ich war immer bei der Statistik, habe schon in der DDR-Statistik lange Jahre gearbeitet ...","
… sagt Mikrozensus-Sachbearbeiter Baumann, als er die dicken Aktenordner schließt. Selbst wenn er von Befragten einmal schräg angemacht wird - er findet Statistik spannend.
""… und wenn man einmal sieht, dass hinter den Zahlen etwas steht, nämlich - ich sag's mal hochtrabend - das Leben, da sind Menschen überall dahinter - dann ist das hoch interessant."
"In Thüringen sind gegenüber 1998 die durchschnittlichen monatlichen Einkommen aus öffentlichen Transferzahlungen um 15 Prozent gestiegen, das entspricht 122 Euro."
"Durchschnittlich hat jeder Thüringer 24.600 Euro auf dem Sparbuch. Fünf Jahre vorher waren es 16.100 Euro."
"Thüringer Gemeinden gaben im Jahr 2005 durchschnittlich 520 Millionen Euro für Baumaßnahmen aus."
"Im vergangenen Jahr wurden an Thüringer Gerichten 926 Personen weniger verurteilt als im Jahr zuvor."
"1,2 Prozent der Thüringer Bodenfläche sind mit Wasser bedeckt."
"Thüringer Brauerein verkauften im Mai dieses Jahres im Vorfeld der WM 367 tausend Hektoliter Bier, fünf Prozent mehr, als im Vorjahr."
"91,5 Prozent der Thüringer Bevölkerung sind an die öffentliche Kanalisation angeschlossen."
Schulz: "Die Zahlen des Statistischen Landesamtes in Thüringen und auch des Bundesamtes für Statistik sind für alle Arbeitsbereiche des Thüringer Sozialministeriums unverzichtbar."
Thomas Schulz spricht für das Thüringer Ministerium für Soziales Familie und Gesundheit. Andere Ministerien würden gleichlautend antworten.
"Die Daten und Fakten, die wissenschaftlich dort erhoben werden, werden für die Arbeit des Ministers und des Staatssekretärs gebraucht. Das geht bei der Familienpolitik los - die demographische Entwicklung, die Entwicklung der Geburten und so weiter, es geht über Zahlen im Gesundheitsbereich, ich sag mal: Krebsstatistik oder Anzahl der Grippefälle."
Die Politik ist Hauptnutzer der Statistik. Ebenso Hauptauftraggeber. Kein Huhn und kein Ei wird in Thüringen gezählt, ohne dass irgendjemand in der Politik das nicht für wichtig befunden hätte.
Wie viele Eier das durchschnittliche Thüringer Huhn legt, ist für Endverbraucher eher eine Schmunzette. Für Eierproduzenten nicht. Auch nicht für die, die die Agrargenossenschaften subventionieren. Die abwägen müssen, in wieweit Thüringer Hühnereier besser gefördert werden, und damit preiswerter sind, als die aus Polen. Mit jedem gezählten Ei wird also letztlich Politik gemacht.
Günter Krombholz: "Sämtliche Statistiken basieren auf einer gesetzlichen Grundlage. Das heißt: Wir sind Dienstleister. Dienstleister im Sinne der Gesetzesausführenden."
Günter Krombholz leitet das Thüringer Landesamt für Statistik. Das sitzt in einem schmucklosen Neubau im Erfurter Norden. Verteilt auf mehrere Etagen wälzen hier Statistiker Zahlenkolonnen. Zahlen über Eier, Rinder und Schafe, über Raucher und Übergewichtige, über Steuern und Renten, über Wohnungen und Sparguthaben, über den Preisindex und den Pro-Kopf-Verbrauch von Ziegenfleisch.
Die einen sammeln die Zahlen, die anderen deuten sie. Am Ende stehen komplexe Datensätze, benutzerfreundlich und bedarfsgerecht aufgearbeitet. Sie werden an die Kunden versandt, ins Internet gestellt oder in Berichten zusammengefasst.
"Insgesamt ziehen wir im Jahr circa sieben Millionen Datensätze ein, das ist sehr viel."
Beginnend bei der eierlegenden Henne über die Steuerzahlenden Einwohner bis zum produzierenden Großbetrieb. Das Resultat sind nicht nur erstaunliche Pressemitteilungen. Das Resultat sind harte Fakten, die am Ende Grundlage sind für Geldflüsse - nämlich zwischen EU und Bundesrepublik, zwischen Bund und Ländern, und Ländern und Kommunen.
"Wir berechnen auch in unserem Landesamt den kommunalen Finanzausgleich. Das heißt: Wir erstellen letztendlich den Bescheid für die Kommunen, damit dann über den kommunalen Finanzausgleich die entsprechenden Gelder vom Land in der entsprechenden Höhe auch an die Kommunen fließen."
Günter Krombholz ist ein wichtiger Mann in der politischen Landschaft Thüringens. Von den Daten, die aus seinem Hause kommen …
Krombholz: "… hängt das Wohl und Wehe der Gemeinden ab, finanzieller Art. Aber in der Richtung sind wir unbestechlich."
Die Zahlen aus seinem Amt seien nicht manipulierbar, sagt der Amtschef, weil amtliche Statistik strengen Regeln unterworfen ist. Alles ist festgelegt - wer welche Daten wann erheben darf, welche Fragen gestellt werden dürfen, wie sie verarbeitet werden können und in welcher Form das Ergebnis zur Verfügung gestellt werden muss. Spielraum für Kreativität gebe es da nicht.
Schulz: "Deswegen brauchen wir auch ein amtliches Amt für Statistik, dass diese Zahlen unabhängig und wissenschaftlich vorbereitet und nicht tendenziös sind, weil man mit Daten und Fakten durchaus auch Missbrauch betreiben kann."
Aus diesem Grund schaut der Gesetzgeber doppelt hin, wenn es um Statistik geht. Immerhin: sie handelt mit sensiblen Zahlen. Die kommen meist aus der Verwaltung, zehn Prozent stammen aus Unternehmen und von Bürgerinnen und Bürgern.
Beispiel: Mikrozensus - die "kleine Zählung". Hier werden sehr private Daten erhoben. Im Thüringer Landesamt für Statistik gibt dafür eine eigene Abteilung. Eberhard Baumann ist Mikrozensus-Sacharbeiter.
"Der Mikrozensus ist eine repräsentative Haushaltsbefragung. Das heißt: eine bestimmte Stichprobe der Bevölkerung wird befragt. Die Grundlage der Befragung sind Haushalte."
Ein Prozent der Thüringer Haushalte wird ausgelost. Welche Wohnungen ausgewählt werden, errechnet ein Computer nach einem mathematischen Programm. Zufällig, wie Lottozahlen, spuckt er Straße und Hausnummer aus. Selbst bei großen Wohnblocks kann der Mitarbeiter nicht frei wählen, an welcher Tür er klingelt. Denn auch sie wird durch ein eigenes mathematisches Programm errechnet.
"Also immer noch: Bevor man überhaupt die Leute kontaktiert oder irgendetwas über sie weiß, müssen wir uns dann ausrechnen, welche Wohnung. Meinetwegen: 4. Obergeschoss Wohnung 3, 401 - 408 ist zu befragen. Das sind dann unsere Wohnungen, die wir aufsuchen müssen."
In den Briefkasten dieser Wohnung wird dann der 36 Seiten starke Fragebogen gesteckt, beziehungsweise es klingelt der Mitarbeiter mit Laptop unterm Arm an der Tür. Der sagt dann sein Verslein auf: Dass amtliche Statistik wichtig ist, dass die Wohnung zufällig ausgelost wurde, dass die Bewohner zur Mitarbeit aufgerufen sind, dass Ausreden nicht gelten. Notfalls droht ein Zwangsgeld. Einmal hereingelassen, werden alle, die in der Wohnung leben, detailliert unter die Lupe genommen.
Eberhard Baumann öffnet in seinem Computer den Rücklauf, also die Daten, die der Mitarbeiter vor Ort eingesammelt und per Sicherheitsleitung ins Landesamt überspielt hat.
"Sind sie in den letzten zwölf Monaten hier eingezogen, ist die erste Frage. 'Nein.' Er hat also schon vorher da gewohnt. Geschlecht, Geburtsjahr, Geburtsmonat. Der Mensch ist 67 Jahre alt. Sein Familienstand ist verheiratet ..."
Nach den einfachen Fragen folgen die zur Arbeit. Bis in Einzelheiten hinein wird erfasst, wer was macht und wie dafür entlohnt wird, beziehungsweise welche staatlichen Leistungen er empfängt, welchen Schulabschluss er hat, wie er sich weiterbildet. Mit diesen Details fließt der Thüringer Otto Normalverbraucher in die EU-Erwerbsstatistik ein.
"Mit welchen Verkehrsmitteln kommen sie zu ihrer Arbeitsstelle? Wie lange dauert es, bis sie dort sind? Wie viele Kilometer sind es bis dorthin? - Das wird so gefragt alle vier Jahre. Kann dann entsprechend als Pendlerverhalten ausgewertet werden."
Heraus kommen Daten zur Bevölkerungsstruktur. Je nach Wunsch der Länder - können auch periphere Fragen eine Rolle spielen. In einem Jahr wollten die Statistiker wissen, ob im Haushalt Jodsalz verwendet wird. Auch aktuelle Themen, wie die Pflegeversicherung, werden abgearbeitet.
"Grundsätzlich wird gefragt, ob jemand Pflegegeldempfänger ist und welche Pflegestufe sich dahinter verbirgt. In größeren Abständen wird dann auch mal tiefgründiger zur Pflegebedürftigkeit gefragt, indem dann also auch gefragt wird: Bei welchen Tätigkeiten im Haushalt brauchen sie Unterstützung? Also: Bei der der Körperpflege, bei der Nahrungszubereitung zum Beispiel."
Wer will das alles wissen, möchte man fragen? Dieter Schnellbach zum Beispiel. Er ist Mitarbeiter im Referat Pflege und Seniorenpolitik im Thüringer Sozialministerium. Als das Pflegeversicherungsgesetz in Arbeit war, gehörte er zu einer Arbeitsgruppe, die die gesetzlichen Grundlagen für diese Fragen erarbeitet hat.
"Aus den verschiedenen Ministerien der Länder waren dann eben die, die es betrifft, im Bundesamt für Statistik, in Wiesbaden haben wir uns getroffen, mehrfach. Und haben eben beraten: Wie setzen wir die gesetzlichen Vorgaben im Pflegeversicherungsgesetz - wo drin steht: es soll eine Versicherung geben - wie setzen wir das um."
Baumann: "Wie oft ist es notwendig, dass sie betreut werden? Einmal am Tag bis hin zu Rund-um-die-Uhr ist die Pflegebedürftigkeit notwendig ..."
Aus den im Mikrozensus gewonnen Daten macht Dieter Schnellbach Vorlagen für Politik. Als klar wurde, dass in Thüringen immer mehr Menschen älter werden, immer weniger Jüngere zuhause bleiben, um die Älteren zu pflegen, Ältere immer kränker sind und die Kapazität und Ausstattung der Pflegeheime nicht ausreichte, wurde daraufhin ein großes Paket zum Neu- und Umbau von Pflegeheimen geschnürt.
"Größenordnung: 665 Millionen Euro. Das lief über mehrere Jahre seit 1995, und da konnten wir über 12.000 Pflegeplätze in Thüringen umfassend sanieren oder auch neu bauen."
Baumann: "Diesen Schrank, den ich hier aufgemacht habe, der enthält die Ergebnisse des Mikrozensus in tabellierter Form von 1991 bis 2005. Für jedes Jahr also vier dicke Ordner mit jeder Menge Tabellen."
Zahlen über Zahlen, die Seiten eng bedruckt. Enorme Datenmengen hat Eberhard Baumann gesammelt. Ein Vielfaches davon schwirrt täglich durch das Netz des Statistischen Landesamtes. Gut gesichert. Immerhin unterliegen die Daten strengen Schutzbestimmungen.
Volker Blank: "Das ist hier das Heiligtum im Prinzip."
Volker Blank, Chef der Abteilung Informationstechnologie im Thüringer Landesamt für Statistik, zeigt den stark klimatisierten und mit einer Sicherheitstür versehenen Computerraum.
"Hier laufen sämtliche Daten, die draußen von den Berichtspflichtigen kommen, also auch zum Beispiel vom Mikrozensus, zusammen, werden hier auf den Servern auf Platen abgespeichert. Da stehen Speicherkapazitäten von mehreren Terabyte zur Verfügung. Alles wird hier mit Glasfaser bis an den Arbeitsplatz transportiert."
Mannshohe Schränke stehen hier, viele Apparate mit blinkenden Lichtern. An der Stirnseite: Steckvorrichtungen mit hunderten orangenen Kabeln. Das Haus ist gut vernetzt.
"Das ist eigentlich auch das Herzstück für sämtliche Wahlen, die wir hier im Freistaat haben. Also auch die Wahlen laufen jetzt nach unserer neuen Form zentral hier zusammen."
Gerade im Mai wieder mutierte das Landesamt zur Wahlzentrale. Der Präsident des Amtes wurde - wie immer - Landeswahlleiter. Die Ergebnisse aller Thüringer Wahllokale liefen hier ein, wurden umgesetzt und ins Netz gestellt. Die Server hatten Hochbetrieb, mussten enorme Zugriffsraten bewältigen. Das sonst recht scheue Landesamt wurde von Journalisten bevölkert, der Präsident Hauptinterviewgeber.
An normalen Tagen aber läuft der Betrieb im Statistischen Landesamt ruhig. Ein normaler Tag heißt: im Datennetz werden so viele Daten umgesetzt, dass sie, wenn man sie ausdrucken würde, 5,4 Millionen Seiten füllen würden. So viele Zahlen gehen hier täglich rein und raus.
"Entscheidend ist, dass die Statistiker ja die Entdecker der demographischen Revolution sind, die unsere Lebensverhältnisse in allen Bereichen ja umändern wird."
Hans-Herrmann Rössler, Referatsleiter Familienpolitik im Thüringer Sozialministerium.
"Insofern ist also eine Familienpolitik ohne demographische Daten, aber auch zum Teil Ausstattungsdaten, also soziale Daten, die das Landesamt zur Verfügung stellt, kaum denkbar."
Gäbe es das Landesamt für Statistik nicht, könnte die Landesregierung nur auf Verdacht arbeiten - das ist schier unmöglich. Das Thüringer Finanzministerium baut immerhin zum Beispiel auf den Statistik-Zahlen die Finanzplanung auf. Das Wirtschaftsministerium beschließt Förderungen aufgrund statistischer Ergebnisse. Die Ministerien arbeiten eng mit dem Landesamt zusammen. Auch die Opposition im Thüringer Landtag bezieht sich auf statistische Ergebnisse, wenn sie die Arbeit der Regierung bewertet.
"Ich war immer bei der Statistik, habe schon in der DDR-Statistik lange Jahre gearbeitet ...","
… sagt Mikrozensus-Sachbearbeiter Baumann, als er die dicken Aktenordner schließt. Selbst wenn er von Befragten einmal schräg angemacht wird - er findet Statistik spannend.
""… und wenn man einmal sieht, dass hinter den Zahlen etwas steht, nämlich - ich sag's mal hochtrabend - das Leben, da sind Menschen überall dahinter - dann ist das hoch interessant."
"In Thüringen sind gegenüber 1998 die durchschnittlichen monatlichen Einkommen aus öffentlichen Transferzahlungen um 15 Prozent gestiegen, das entspricht 122 Euro."
"Durchschnittlich hat jeder Thüringer 24.600 Euro auf dem Sparbuch. Fünf Jahre vorher waren es 16.100 Euro."
"Thüringer Gemeinden gaben im Jahr 2005 durchschnittlich 520 Millionen Euro für Baumaßnahmen aus."