Tief ins Herz einer finsteren Moderne

Von Carsten Probst |
Lee Buls kühne Architekturinstallationen sind in Luxemburg zu sehen, sie sind befremdlich und wirken doch vertraut. Die Schau ist sehenswert, doch irritiert den Besucher mit ihrer Ambivalenz aus Zerstörung und Kitsch.
Ist es ein riesiger Wohnturm, oder ist es eine große kristalline Wucherungen? Sind es Autobahnen, die sich da über eine wild wuchernde Landschaft schlängeln, oder sind es die Tentakel eines überdimensionalen Weichtiers? Sind es Leuchter, die von der Decke der Großen Halle im MUDAM Luxemburg hängen, oder sind es Zwitterwesen, halb Pilz und halb Krake? Mit ihren stets leicht befremdlichen Installationen, in denen man doch etwas Vertrautes wiederzuerkennen meint, ist Lee Bul in den letzten Jahren bekannt geworden, denn mit ihrer Arbeit stößt die Südkoreanerin, so sehen es nicht wenige Kuratoren, tief ins Herz einer finsteren Moderne vor.

"Mir geht es um die utopische Idee - aber nicht um die Utopie selbst. Oft scheitern diese utopischen Ideen oder bleiben unrealisiert, oder sie sind ganz einfach nutzlos. Man kann darin immer auch die Elemente des Gegenteils finden, der Dystopie. In den Pariser Banlieus können Sie zum Beispiel gut beobachten, wie ehemals moderne Siedlungen sich heute in Slums verwandelt haben und vermutet unweigerlich, wenn man sich das ansieht, viel eher eine dystopische als eine utopische Idee dahinter."

...sagt Lee Bul, die 1964 in Yeongju geboren wurde und heute in Seoul lebt und arbeitet. Sie hat sich offenkundig intensiv mit der Geschichte der Moderne befasst, die sie in erster Linie in der Entwicklung der Architektur und ihrer Symbolfunktion für eine vermeintlich bessere Zukunft begründet zu sehen scheint. Sie sieht diese Architektur nicht zuletzt mit den Augen einer Bewohnerin einer asiatischen Metropole wie Seoul, in deren Stadtplanung sich das Erbe der Moderne - und sein Scheitern - ebenfalls abbildet, mit ähnlichen Konsequenzen wie in Paris.

"Nehmen sie nur mal einen Architekten wie Bruno Taut. Er hatte zu Beginn wundervolle Fantasien von Kristall- und Sternenarchitekturen, konnte sie aber natürlich nie real umsetzen. Stattdessen entwarf man dann während der Moderne diese riesigen, monumentalen Betonbauten für das moderne Leben. Was für eine Ironie! Denn diese Art von Betonbauten begannen in der Ära des Faschismus und verbreiteten sich dann bis heute über ganz Europa, Asien, Amerika, unabhängig von irgendeiner Ideologie. Was mich daran interessiert, ist, wie sich eine Ursprungsidee im Verlauf ihrer Verwirklichung konzeptuell verändert."

Der Betrachter wird durch architektonische Spiegelkabinette geschleust, die eine Mischung aus futuristischer Filmkulisse mit Reminiszenz an Fritz Langs Metropolis erscheint und zugleich die unendliche Vervielfältigung des Immergleichen symbolisiert, in der sich das menschliche Bewusstsein wie in einem gebrochenen Spiegel fängt. Zugleich hat Lee Bul eine Art Werkstatt-Abteilung in ihre Ausstellung integriert, in der sich vorwiegend Handskizzen finden, Entwicklungen halb organischer, halb maschinenartiger Formen, die auseinander hervorwachsen und als Vorstufen ihrer kühn aufragenden Architekturinstallationen gelten können. Lee Bul als Zeichnerin zu sehen, ist eine interessante Erfahrung. Ihre Ästhetik schwankt zwischen Graphic Novels und botanischen und organischen Studien und erinnert dadurch unweigerlich wiederum an die architektonischen Fantasien der Frühmoderne aus dem Kreis um Bruno Taut.

"Ich weiß nicht, ob das wirklich so ein traditioneller Bezug ist - aber ich mag einfach die Imagination, und ich mag sie so detailreich wie nur möglich, die Oberflächen, die Texturen des Materials, alles das versuche ich mir bis ins Kleinste vorzustellen und es dann mit eigener Hand, zeichnerisch auszuführen. Diesen Prozess liebe ich, es ist spielerisch, herausfordernd - wie viel kann ich tun, was kann ich mir alles vorstellen? Eigentlich mag ich auch Computer, aber ich trau den Maschinen nicht so sehr."

In Europa ist man inzwischen so manche Abrechnung mit der Moderne gewohnt. Daher erscheint Lee Buls Werk, das hier erstmals in einer Retrospektive zu sehen ist, nicht eigentlich neu oder abgründig, auch nicht, wie von manchen behauptet, als Dystopie. Es irritiert eher in seiner Ambivalenz aus Zerstörung und Kitsch, wenn sie die fragmentierten Reste utopischer Fantasien mit Perlenketten oder Glitzersteinen behängt oder überbordende Pflanzenformen in Katastrophenszenarien einfügt. Dieser Kitsch, könnte man sagen, war auch schon in den Ursprüngen dieser Utopien angelegt - und vielleicht auch ein Grund für ihr Überleben in totalitären Regimen.