Tief Luft holen

Von Alexa Hennings |
Bisher steht Mecklenburg-Vorpommern, das Gesundheits- und Tourismusland, relativ sauber da. "Nur" 13 Millionen Tonnen CO2 gehen jährlich im Land der Seen und der Ostsee in die Luft. Sieben Millionen Tonnen werden dazu kommen, wenn das Steinkohlekraftwerk Lubmin gebaut wird. Vor Ort ist ein Kampf entbrannt, bei dem sich die Lubminer schon jetzt als Verlierer sehen. Das Projekt, das in Zeiten der proklamierten Klimaveränderung den CO2-Ausstoß des Landes um mehr als die Hälfte erhöht, wird von "ganz oben" gewollt.
30 Grad in der Luft, 20 Grad im Wasser, eine leichte Brise von Nordwest - dieser Juni lässt, vom Strandlaken aus betrachtet, nichts zu wünschen übrig. Besonders viele Kinder toben hier, am Lubminer Strand: Der Sand ist besonders fein und besonders weiß und das Wasser hier ist immer ein paar Grad wärmer als an der offenen See. Lubmin liegt am Greifswalder Bodden, umrahmt von vier Naturschutzgebieten zu Wasser und zu Land. Eine Idylle, die durch die vollständige Abwesenheit von großen Hotelbauten nahezu perfekt wird.

Doch Ungemach naht - für die einen. Für die anderen ist es der Fortschritt schlechthin.

Peter Gedbjerg: "Den Ort ist sehr gut für eine Kraftwerk!"

Sagt der dänische Energie-Manager.

Klaus Kühnemann: "Das ist sicher ein modernes Kraftwerk, aber der Standort ist nicht geeignet dafür!"

Sagt der Lubminer Bürgermeister.

Jürgen Seidel: "Also wir erneuern hier den - äh - Kraftwerkstandort Deutschland, wenn man so will."

Sagt der Wirtschaftsminister.

Frau: "Mit diesen ganzen Klimasachen und alles - also spontan waren wir ein bisschen erschrocken."

Sagt das Volk.

Peter Gedbjerg sitzt in seinem Lubminer Büro. Noch ist es leer. Vor seinem Fenster kreischen die Möwen. Er ist hier, um dafür zu sorgen, dass Ende 2008 Baubeginn für ein Steinkohlekraftwerk sein wird.

Peter Gedbjerg: "Ja, ein Kraftwerk, das kann man nicht unter dem Stuhl - heißt es verbergen?"

Kann man so sagen.

Peter Gedbjerg: "Aber sonst hört man's nicht, man riecht's nicht, es gibt keinen Staub. Es ist ein höhes Gebäude, aber sonst nix."

Ein hohes Gebäude, sonst nix. Dem ersten Halbsatz von Kraftwerksmanager Gedbjerg stimmt der Lubminer Bürgermeister vorbehaltlos zu: Wer möchte schon vom Strandlaken aus zwei mehr als kirchturmhohe Gebäudequader und einen 180-Meter-Schornstein betrachten?

Klaus Kühnemann: "Auf der Seebrücke, wenn man dann das Kraftwerk sieht, werden manche Urlauber sagen: Da kann ich auch zuhause bleiben."

Beim nächsten Halbsatz, der ja lautete "Sonst nix", muss Herr Kühnemann aber nun doch ernstlich einhaken.

"Zum anderen ist es das, was man weniger sieht: Das sind die Emissionen, die aus dem Schornstein kommen. Immerhin zwei Millionen Kubikmeter Abgas pro Stunde. CO2, SO2, Quecksilber und andere Schwermetalle, die rauskommen - die man nicht sieht, aber die dann doch in der Landschaft gleichmäßig verteilt werden, bis nach Usedom, bis nach Rügen, wenn der Wind so steht. Das sind Dinge, die nicht nur für die Urlauber beeinträchtigend sind, sondern auch für die, die hier wohnen."

Man könnte es auch so formulieren: Alle Welt redet davon, den Kohlendioxid-Ausstoß drastisch zu verringern. In Mecklenburg aber tut man etwas. Jedoch das Gegenteil: Man ist gerade auf dem besten Wege, die CO2- Produktion drastisch zu erhöhen. Und zwar um mehr als die Hälfte. Bisher steht das selbsternannte "Gesundheits- und Tourismusland" (dank wenig Industrie, Verkehr und Bevölkerung) relativ sauber da. Noch kann man hier tief Luft holen. "Nur" 13 Millionen Tonnen CO2 gehen jährlich im Land der Seen und der Ostsee in die Luft. Aber fast sieben Millionen Tonnen werden dazu kommen, wenn das Steinkohlekraftwerk Lubmin gebaut wird - trotz modernster Technik. Aber Kohle ist nun mal Kohle, und die macht Dreck. Und weil Dr. Klaus Kühnemann gelernter Ingenieur ist, hat er nachgerechnet, wie viel genau.

"Die Zahlen sind zum Teil, wenn man sie hinterfragen kann, geschönt. Beim CO2 haben wir das gesagt - das sind jetzt nicht mehr 6,9 Millionen Tonnen pro Jahr, sondern da sind wir schon bei knapp 10 Tonnen. Das trifft vielleicht auf die anderen Emissionen auch zu, die wir nicht so nachprüfen können. Bis hin zu Schwefeldioxid oder Quecksilber - Quecksilber wird mit einer halben Million Tonnen pro Jahr angegeben. Das sind so die Zahlen, die verbreitet werden, um für Schönwetter zu sorgen."

Peter Gedbjerg: "Man kann das verschieden rechnen."

Das dachten wir uns.

Peter Gedbjerg: "Das habe ich heute schon auch mit dem Bürgermeister von Lubmin diskutiert."

Die beiden haben sich heute zum ersten Mal gesehen. Obwohl Herr Gjedberg von der Firma Dong-Energy aus Dänemark schon seit mehr als einem Jahr das Kraftwerksprojekt betreibt. G 2 in Lubmin sozusagen. Aber weiter mit den Zahlen.

Peter Gedbjerg: "Man kann ja sagen, das Kraftwerk wird so und so groß, und wenn wir es 8600 Stunden auf Volllast betreiben, dann wird es eine Menge von CO2 emittieren von rund, ganz grob, um 10 Millionen Tonnen. Aber das Kraftwerk wird vielleicht nur fünf- oder sechstausend Stunden nicht in Volllast laufen und deswegen wird's weniger."

Was der Manager natürlich nicht hofft, sonst hätte er seinen Beruf verfehlt. Aber man kann das für die Öffentlichkeit eben so rechnen oder so rechnen. Der Wirtschaftsminister rechnet so:

Jürgen Seidel: "Dieses Steinkohlekraftwerk macht eine Investition von 1,6 Milliarden Euro aus. Das ist natürlich ein Punkt für das Land Mecklenburg-Vorpommern, wo wir sagen: Diese Investition ist ganz wichtig, sie ermöglicht auch Nachfolgeinvestitionen dort am Standort. Und insofern stehen wir ganz klar und deutlich zum Bau des Steinkohlekraftwerkes in Lubmin."

In puncto Steinkohlekraftwerk Lubmin - 120 Arbeitsplätze sollen entstehen und auf hunderte hofft man in der Bauzeit - stehen Wirtschaftsminister Jürgen Seidel, CDU, und Ministerpräsident Harald Ringstorff, SPD, ganz fest zusammen. Auch wenn sich gerade massiver Widerstand an der SPD-Basis regt und viele Genossen, besonders die aus Vorpommern, den Ausstieg aus dem Vorhaben fordern.

Jürgen Seidel: "Man muss hier das ganze Land sehen. Und darf nicht lokale Befindlichkeiten über die Interessen des Landes MV stellen."

Das fällt Bürgermeister Kühnemann schwer. Es ist ja nicht so, dass er keine Industriebetriebe will in Lubmin, da ist er mit dem Minister ganz einer Meinung. In Mecklenburg-Vorpommern kommen gerade 11 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus dem produzierenden Gewerbe - bundesweit sind es 23 Prozent. Gegen Kranbau Liebherr, gegen eine große Maschinenbaufirma und einen Solartechnikbetrieb im Lubminer Gewerbegebiet hatten weder der Bürgermeister des Wählerbündnisses "Frischer Wind für Lubmin" noch die Bürgerinitiative "Lubminer Heide" etwas einzuwenden. Und auch gegen einen Energiestandort Lubmin haben sie nichts.

Klaus Kühnemann: "Es gibt seit zehn Jahren Pläne für ein Gaskraftwerk. Man sollte ein Gaskraftwerk bauen in Kombination mit alternativen Energien - mit Wind, mit Sonne, mit Biomasse. Das wäre das Richtige."

Gute Idee. Warum hatten sie die Dänen nicht?

Peter Gedbjerg: "Weil es in Deutschland zur Zeit nicht wirtschaftlich ist."

Das war kurz, knapp und ehrlich. Natürlich möchte Dong Energy Geld verdienen. Deshalb soll das Kraftwerk auch so groß werden: Es kann 1,5 Millionen Haushalte versorgen, weit mehr, als es in ganz Mecklenburg-Vorpommern gibt. Herrn Kühnemann schwebt da eher etwas Kleinteiligeres vor.

Klaus Kühnemann: "In der Größenordnung, wie es benötigt wird: Das sind nicht 1600 sondern 400 Megawatt. Die würden ausreichen, das würde zum Standort passen und gäbe auch nicht den Widerstand. Das wäre das Richtige. Aber das widerstrebt natürlich dem Profitstreben von Dong Energy, die so viel wie möglich verdienen wollen auf dem deutschen Energiemarkt."

Profitstreben, das klingt nach Karl Marx, nach Heuschrecken und nach der Einsicht: War doch nicht alles verkehrt, was wir damals im Staatsbürgerkunde-Unterricht gelernt haben. Von der DDR-Zeit hat der pensionierte Wasserbau-Ingenieur Kühnemann eine Menge mitbekommen, von der DDR-Zeit in Lubmin weniger. Er lebt erst seit 1994 hier. DDR-Zeit und Lubmin? Da war doch was - richtig, das Kernkraftwerk. Von denen gab es nur zwei in ganz Ostdeutschland. Und sie wurden auch damals mitten in Urlauber- und Naturschutzgebiete gebaut: Im Rheinsberger Seengebiet und am Greifswalder Bodden. Man braucht halt Wasser für die Kraftwerke, damals wie heute. Nur, dass damals Widerstand zwecklos gewesen wäre.

Klaus Kühnemann: "Also wenn damals 1968, 1970 sich eine Bürgerinitiative gegründet hätte gegen das Kernkraftwerk, dann hätten die nicht öffentlich auftreten können . Schon gar nicht vorm Rundfunk! Das ist schon ein kleiner Unterschied. Aber die Menschen sind damit groß geworden, die haben davon auch gelebt, teilweise Häuser gebaut mit dem Beton vom Kernkraftwerk. Die haben nicht die Sensibilität wie vielleicht Leute aus einer anderen Gegend. Deswegen gibt es gegen die Kernkraft keine großen Widerstände."

Vielleicht sollten die Dänen lieber ein Kernkraftwerk bauen? Dieser Lubminerin wäre das wohl eher recht.

"Die letzten Blöcke waren ja schon nach BRD-Standard gebaut worden. Deshalb ist es nach meiner Ansicht nach nicht gut, dass sie das mit einem Mal abgeschaltet haben. Dann hätten wir heute gar nicht die Debatten um das Kohlekraftwerk!"

80 Prozent aller Lubminer sind gegen das Kohlekraftwerk. Ergab eine Bürgerbefragung im April. Der Hauptgrund liegt nahe: Man befürchtet, dass die Urlauber ausbleiben. 10-15.000 Tagesgäste gibt es im Sommer. Die könnten sich andere Strände suchen, befürchtet Kurverwaltungsleiter Janek Wiederenders:

"Ich mache mir zum Beispiel Sorgen - das wird gerade geprüft in einer Studie - ob wir den Seebadtitel verlieren. Die Frage ist: Wie entwickelt sich so was langfristig? Und alle die, die sagen: Es kommen dann trotzdem Leute, die müssen sich einfach mal selbst die Frage stellen, ob sie sich an einen Strand legen wollen, von dem sie einen 120 Meter hohen Turm sehen. Ich nämlich nicht ..." (lacht)

Eben hat das Potsdamer Ehepaar, das schon seit vielen Jahren nach Lubmin kommt, seinen Platz auf der Hotelterrasse mit Meerblick geräumt.

Mann: "Und die Leute hier geben sich ja auch große Mühe, das sollte man auch honorieren und nicht in so einem Seebad so 'ne Sache hinsetzen!"
Frau: "Dann hätten sie auch das Atomkraftwerk lassen können! Das war bisschen sauberer noch dann!"

Tja, der Atomausstieg in Deutschland ist beschlossen, alternative Energie rechnet sich für den dänischen Konzern, der zu Hause viele Windkraft- und Biomasse-Anlagen betreibt, in Deutschland nicht. Jedenfalls nicht so wie ein großes Steinkohlekraftwerk. Neben den Emissionen und den riesigen Bauwerken fürchtet man in Lubmin auch die Erwärmung des Greifswalder Boddens. Herr Gjedberg lächelt sanft.

Peter Gedbjerg: "Wir werden nur die Hälfte von die Wärme des alten Kernkraftwerkes in die Bodden ableiten. Das heißt, das kann nicht so schlecht sein. Und ehe wir mit dem Bau anfangen, brauchen wir ja eine Umweltgenehmigung und die Kühlwasser werden ja da begutachtet."

Genau darauf hofft der Lubminer Bürgermeister und Gründer der Bürgerinitiative: Auf die genaue Prüfung durch die Behörden. Wenn nötig, hofft er auch auf die Brüsseler Behörden: Gerade hat sich der EU-Umweltkommissar gegen den weiteren Bau von deutschen Steinkohlekraftwerken ausgesprochen.

Klaus Kühnemann: "Die Schutzgebiete, die ja hohen Schutzgrad haben - Naturschutzgebiet, EU-Vogelschutzgebiet und FFH-Gebiete - für die gilt ein absolutes Verschlechterungsverbot. Und hier ist mit eindeutigen Verschlechterungen zu rechnen. Das lässt uns hoffen, dass hier von Brüssel gegengesteuert wird. Wenn sich deutsche Behörden oder Behörden in MV vielleicht noch überreden lassen, so was genehmigen zu können, dann werden wir sehen, was Brüssel dazu sagt."

Noch sagt Brüssel nichts, dafür der Wirtschaftsminister. Ein altes Kohlekraftwerk habe einen Wirkungsgrad von 35 Prozent, gibt er zu bedenken, dieses neue in Lubmin aber 46 Prozent.

Jürgen Seidel: "Und das wiederum führt dann zu einer Senkung des CO2-Ausstoßes. Also, wenn man von der lokalen zur überregionalen Betrachtung kommt, sieht die Sache komplett anders aus."

So klein ist der Schritt von eigentlich mehr CO2 zu doch eigentlich weniger CO2. Man muss nur richtig rechnen. Und die Sache eben überregional betrachten. Will aber der Lubminer Kurverwaltungschef nicht.

"Wenn Sie irgend jemanden nach Lubmin fragen, kommt als erstes: Ah, da wo das Kernkraftwerk ist. Das KKW gibt es schon lange nicht mehr. Aber das ist ein Imageproblem. Und mit einem Steinkohlekraftwerk schaffen wir uns das nächste!"

Ein Kohlekraftwerk am Strand? Kein Problem, meint der ehemalige Chef des Tourismusverbands Mecklenburg-Vorpommern, der Jürgen Seidel einmal war - bevor er Wirtschaftsminister wurde.

Jürgen Seidel: "Und wissen Sie, wir haben ein praktisches Beispiel in MV, dass das auch klappt. Wenn Sie nach Rostock kommen, werden Sie von weitem die Dampfwolke eines Steinkohlekraftwerkes sehen und daneben ist gerade eine 50-Millionen-Investition seit einem Jahr in Betrieb, das Yachtzentrum Hohe Düne. So. Das funktioniert! Und ähnlich ist die Situation in Lubmin. Ich kann nur sagen: Ich bin der festen Überzeugung, dass dies den Tourismus nicht beeinträchtigen wird in der Region."

Na dann sind wir beruhigt. Wie sagte Peter Gjedberg so schön?

Peter Gedbjerg: "Aber sonst hört man's nicht, man riecht's nicht, es gibt keinen Staub. Es ist ein höhes Gebäude, aber sonst nix."

Moment, etwas fügte er noch an:

"Ich möchte es wohl auch nicht so ganz in meine Garten haben - aber so ist es."

Deshalb baut man ja auch in Lubmin. Und wettet. Beim G2-Gipfel. Um Bier.

Peter Gedbjerg: "Ich bin so sicher, dass es keine Probleme geben wird, dass ich dem Bürgermeister gesagt habe: Ich möchte gern eine Kiste Starköl wetten, dass es noch mehrere Touristen in 2015 geben wird als heute. Darüber bin ich ganz überzeugt!"

Na, dann: Prost.