Graben-Neudorf, eine Kleinstadt zwischen Karlsruhe und Mannheim. Wie ein Baukran, aber ohne Ausleger, ragt am Rand des Industriegebiets ein Bohrturm aus einem Waldstück. Um den Turm herum lagert schweres Gerät. Baufahrzeuge, meterdicke Rohre, massive Stahlträger, Wohncontainer. Im hinteren Teil des etwa vier Fußballfelder großen Areals vernebeln Wasserfontänen die Luft.
Die Sendung wurde erstmals am 3. Januar 2023 ausgestrahlt.
In einem der Wohncontainer, in der Nähe des Bohrturms, beugen sich zwei Männer über einen Holzkasten. Darin liegen Dutzende Reagenzgläser. Die Gläser sind mit krümeligen Materialien befüllt, die aussehen wie Lehm oder Sand.
Die Drei von der Bohrstelle in Graben-Neudorf: Ron Zippelius, Ulrich Lotz und Sebastian Homuth von der Deutschen Erdwärme© Deutschlandradio / Mirko Heinemann
„Wenn ich da gewisse Minerale finde, die nur in der Schicht vorkommen, dann weiß ich, das muss diese Schicht sein“, sagt Ron Zippelius. Neben ihm steht Ulrich Lotz und ergänzt: „Ja, sogar kleine Fossilien wie Schnecken und so. Also wir haben hier die Hydrobien-Schichten und die Corbicula-Schichten. Das sind alles Schnecken, die zur Einstufung dieser Schichten geführt haben. Die finden wir in unserem Bohrklein letztlich auch und wissen, in welcher Tiefe sind wir.“
Kilometertiefe Bohrung ins Gestein
Ron Zippelius und Ulrich Lotz arbeiten für das Unternehmen Deutsche Erdwärme, das an dieser Stelle nach heißem Thermalwasser bohrt.
Derzeit wühlt sich der Bohrkopf durch Gestein in einer Tiefe von 3000 Metern. Dort herrschen Temperaturen von 150 Grad Celsius. Der Zielpunkt dieser Bohrung liegt aber noch deutlich tiefer, in rund 3700 Meter Tiefe. Die Geothermiker wollen in Gesteinsformationen vorstoßen, in denen viel Thermalwasser gespeichert ist. Sie wollen das Wasser an die Oberfläche pumpen, um mit dessen Wärme Strom zu erzeugen oder Gebäude oder ganze Stadtviertel zu beheizen.
Gegründet hat die Deutsche Erdwärme Herbert Pohl.
„Ich habe gesehen, dass Geothermie in Deutschland ein Potenzial hat. Dass sie einen erheblichen Beitrag leisten kann zur Wärmewende als eine regionale und erneuerbare Energiequelle. Und dass sich vor allem technisch so viele Sachen verändert haben, dass Projekte sicher umsetzbar sind“, sagt er.
Tiefengeothermie durch Kraftwerke erschließen
Schon lange träumen Ingenieure davon, Erdwärme in großem Stil zu nutzen. Der Bedarf ist riesig: Nur 16,5 Prozent der Wärmeenergie in Deutschland stammen aus erneuerbaren Quellen. Während bei oberflächennaher Geothermie elektrische Wärmepumpen zugeschaltet werden müssen, um die Wärme zu nutzen, kann die Wärme aus den tieferen Schichten direkt in die Fernwärmenetze eingespeist werden. Ab 400 Metern Tiefe beginnt die sogenannte Tiefe Geothermie, die durch Kraftwerke erschlossen werden kann.
Es gibt 42 Geothermie-Kraftwerke in Deutschland. Im November 2022 hat die Bundesregierung angekündigt, dass sie bis zum Jahr 2030 noch 100 weitere Kraftwerke ans Netz bringen möchte. Die Hoffnungen, mit dieser Technologie die Wärmewende zu beschleunigen, sind groß.
Bis zum Jahr 2040 könnte ein Viertel des deutschen Wärmebedarfs mit der Tiefen Geothermie gedeckt werden, haben Forscher von sieben Fraunhofer-Gesellschaften und der Helmholtz-Gemeinschaft berechnet. Auf dem Weg dahin müssen allerdings einige Hürden überwunden werden.
Kapitel 1: Die Bohrung
„Bohren ist eine Wissenschaft, eine Kunst. Ich mach das in der dritten Generation, das ist mein Leben, und ich kann doch jeden Tag wieder was lernen. Ich denke mal, Sie haben mich geholt, weil es heißt, ich wäre der Beste. Ich bin aber nur der Beste, weil ich mit den Besten arbeite.“
Der Bohringenieur Harry Stamper in dem Kinofilm „Armageddon. Das Jüngste Gericht“
Sebastian Homuth ist studierter Geologe und Ingenieur. Er leitet die Bohrung in Graben-Neudorf.
„75 Prozent davon sind Planung und das Engineering und der wissenschaftliche Input, die erforderlich sind“, erklärt er. „Aber mindestens 25 Prozent sind lokale Erfahrung und, wenn Sie so wollen: Bohrmeistergespür gehört auch dazu, dass ich in den richtigen Momenten die Daten, die aus dem Bohrloch kommen, interpretieren kann und genau weiß, wie ich darauf reagieren muss, damit ich das Bohrziel auch erreiche.“
Sebastian Homuth trägt einen Schutzhelm, Arbeitsanzug und schwere Stiefel. Der 42-Jährige hat schon sechs Geothermiebohrungen in mehreren europäischen Ländern durchgeführt. Jetzt ist er verantwortlich für das Projekt in Graben-Neudorf.
Am Bohrkran hängt eine lange Stange, die sich langsam dreht und sich dabei nach unten bewegt. Ganz unten an der Spitze sitzt der Bohrkopf. Er besteht aus drei sich drehenden Köpfen, die mit Zähnen besetzt sind. Mit einem Richtbohrwerkzeug ausgestattet, kann der Bohrkopf unter der Erde auch Kurven drehen, um sein geplantes Ziel zu erreichen.
Tiefenbohrungen kosten Millionen
Die Bohrungen machen den größten Teil der Kosten für ein Geothermiekraftwerk aus. Für eine Tiefenbohrung wie in Graben-Neudorf werden 10 bis 12 Millionen Euro veranschlagt. Trotz aufwendiger Erkundungen lässt sich nicht genau sagen, was sich gerade vor dem Bohrkopf befindet. Das macht die Planungen schwierig. Wie lange so eine Bohrung dauert und wie teuer sie wird, lässt sich kaum abschätzen.
Das hängt immer sehr davon ab, wie die Formationen, die man durchbohrt, sich verhalten und welche bohrtechnischen Probleme das mit sich bringt. Also man kann schlecht eine Hausnummer sagen, wie: Wir brauchen dafür einen Monat oder drei Monate. Es dauert halt, gerade wenn man die erste Bohrung macht, so lange, wie es dauert. Aber man kann sagen, dass man solche Bohrungen eigentlich in einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten nach unten bringt.
Sebastian Homuth, Geologe und Ingenieur
Geothermiekraftwerke benötigen immer zwei Bohrungen. Sie starten an der Oberfläche dicht nebeneinander, graben sich dann in entgegengesetzten Richtungen in die Tiefe und erreichen ihr Ziel, die Wasser führende Schicht, mehrere Hundert Meter voneinander entfernt.
Geothermie liefert das ganze Jahr Energie
So kann das heiße Thermalwasser auf der einen Seite herausgepumpt und die Wärme über einen Wärmetauscher entnommen werden. Dann kann das abgekühlte Wasser durch die zweite Bohrung wieder in die Erde zurückfließen. Dort heizt es sich wieder auf und wird dann wieder entnommen. Das Wasser zirkuliert also unter und über der Erde in einem riesigen Kreislauf.
Im „Hydrothermalen Kraftwerk“ in Graben-Neudorf wird die Wärme in Strom umgewandelt. Acht Megawatt Strom soll die Anlage produzieren, etwa so viel wie sechs bis acht Windkraftanlagen an Land. Der Vorteil: Geothermie ist nicht vom Wind abhängig, sondern liefert Energie das ganze Jahr, jeden Tag rund um die Uhr.
Geschäftsführer Herbert Pohl erklärt: „In Graben-Neudorf können wir vom ersten Tag an Strom produzieren, wir haben aber auch die klare Perspektive, Wärme zu produzieren. Wir sind jetzt schon in den Diskussionen über Wärmeabnahme mit der Gemeinde, aber auch mit einer Projektgesellschaft, die eine Wärmetrasse bauen möchte. Also das Thema Wärmeversorgung wird für uns mittelfristig im Vordergrund stehen.“
Seit Kurzem fördert der Bund den Aufbau von Wärmenetzen und Umrüstung auf erneuerbare Energien mit bis zu zwei Millionen Euro pro Projekt und 50 Prozent der Investitionen. Explizit fallen darunter auch Geothermieprojekte wie in Graben-Neudorf. Würde die Wärme aus dem Kraftwerk direkt in ein Fernwärmenetz eingespeist werden, könnten 40 Megawatt Wärme erzeugt werden.
Wenn Sie jetzt diese thermische Leistung mal in Relation setzen, dann könnten Sie mit zwei Werken von der Größenordnung von Graben-Neudorf, Saisonalität mal außen vorgelassen, den Wärmebedarf des Wärmenetzes der Stadt Karlsruhe decken.
Herbert Pohl, Geschäftsführer der Deutschen Erdwärme
Deutschlands Südwesten besonders im Blick
Die Deutsche Erdwärme plant insgesamt drei Geothermiekraftwerke in der Region rund um Karlsruhe, eines davon in Karlsruhe selbst. Im Nachbarort Bruchsal gibt es auch schon eine Anlage.
Hier, im Südwesten Deutschlands sind die Chancen besonders hoch, heißes Thermalwasser zu finden. Denn tief unter dem Oberrheingraben, das haben geologische Untersuchen gezeigt, gibt es viele Verwerfungen und unterirdische Zerklüftungen, in denen es sich sammelt.
Kapitel 2: Die Anwohner
„Weder Du, noch irgendein Mensch weiß einigermaßen zuverlässig, was im Inneren des Erdballs vorgeht, da man kaum erst den zwölftausendsten Teil ihres Radius kennt; daher ist die Wissenschaft außerordentlich vervollkommnungsfähig, und jede Theorie wird von einer neuen umgestürzt.“
Der Geologe Professor Otto Lidenbrock in „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ von Jules Verne
„Also ich denke, das Problem ist unsere geologische oder geografische Lage“, sagt Anja Göttsche. Sie ist keine Geologin, leitet eine pädagogische Praxis im Zentrum von Graben-Neudorf. Sie hat eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen, der etwa zwei Dutzend Menschen angehören. Deren Forderung: Keine Tiefengeothermie in Graben-Neudorf!
„Wir liegen im Oberrheingraben. Hier sind die Verwerfungen, und in den Verwerfungen bietet es sich natürlich an, nach Thermalwasser zu suchen und es zu finden, weil es gut greifbar ist“, erklärt sie.
Auf der anderen Seite liegt genau darin aber auch die Gefahr. Wir sind ohnehin ein Erdbebengebiet. Unsere ganz große Angst ist: Wenn jetzt hier mehrere Tiefengeothermie-Kraftwerke in massiven Tiefen bohren, dass dann durch die Konzentration zahlreicher Werke auch Beben ausgelöst werden und wir induzierte Seismizität haben.
Anja Göttsche, Gründerin eine Bürgerinitiative
Induzierte Seismizität heißt: künstlich erzeugte Erdbeben.
Die Deutsche Erdwärme nimmt für sich in Anspruch, mit der modernsten Technologie zu arbeiten, die auf dem Markt ist.
Geschäftsführer Herbert Pohl erläutert: „Zunächst einmal haben wir ein Explorationskonzept, das sich deutlich abhebt von anderen Werken, die in der Vergangenheit Probleme gemacht haben. Es gibt statistisch gesehen auch keinerlei seismische Aktivität, also sprich: Erdbeben, die aus den Gesteinszonen kommen, in die wir hineinbohren. Seismizität kommt aus dem harten Grundgebirge, aus Granit, aus Schiefer, nicht aus dem Buntsandstein, aus dem Muschelkalk, den wir für uns hier als Reservoir erschließen.“
Und weiter: „Der zweite Punkt ist: Wir haben ein Ampelsystem für eine Steuerung. Danach wird die Anlage runtergefahren beziehungsweise abgeschaltet jenseits der Spürbarkeit. Spürbarkeit heißt: Sie liegen im Bett, und es bewegt sich etwas. Das passiert, wenn bei Ihnen ein Laster vorbeifährt. So niedrig ist die Schwelle.“
Bürgerinitiativen bleiben skeptisch
Die Deutsche Erdwärme geht davon aus, dass die Seismizität, also die Intensität von Erdbeben, reguliert werden kann. Das unter Druck zirkulierende Thermalwasser verursacht winzige Bewegungen der Erdschichten, wie eine Art dauerhaftes Knistern. Sollte es aus irgendeinem Grund plötzlich zu einem spürbaren Beben anschwellen, würde das Geothermie-Kraftwerk sofort abgeschaltet, sagt Pohl.
Protest in Graben-Neudorf: Eine Bürgerinitiative wehrt sich gegen das Tiefengeothermieprojekt.© Deutschlandradio / Mirko Heinemann
Trotz dieser Vorkehrungen bleiben die Bürgerinitiativen skeptisch. Das liege auch an den geringen praktischen Erfahrungen, die das federführende Unternehmen, die Deutsche Erdwärme, bislang vorweisen könne, sagt Thomas Hans von der Bürgerinitiative gegen Tiefengeothermie Karlsruhe.
„Sie schreiben auf ihrer Seite: ‚Wir sind der größte Entwickler und Betreiber von Erdwärmekraftwerken‘. Und sie sind kein Betreiber, weil sie haben noch kein Werk gebaut.“, kritisiert er. „Sie haben keinerlei Erfahrung. Die Bohrung jetzt in Graben-Neudorf sind die ersten praktischen Erfahrungen, die sie machen.“
Die Deutsche Erdwärme bestreitet das nicht, sieht sich aber dennoch gut gerüstet für das Projekt. Man verfüge über reichlich Expertise. Auf der Homepage heißt es dazu: „Wir planen und bauen Erdwärmeanlagen, die wir selbst betreiben werden.“
Die Ängste in der Bevölkerung konnte das Unternehmen damit bislang nicht ausräumen. Ängste, die kulturhistorisch tief verankert sind. Nicht ohne Grund wird in der christlichen Mythologie die Hölle im Erdinneren verortet. Und sind Höhlen, Erdbeben oder Vulkanismus beliebte Themen von apokalyptischen Katastrophenfilmen.
Kapitel 3: Die Risiken
„Der kleinste Fehler im Innersten unserer Erde, und niemand wird jemals wissen, dass du dort gewesen bist. Hört ihr das?“
Aus dem Trailer zum Film „Sanctum“ von Ridley Scott
Ortstermin in Rheinbischofsheim, einem Ortsteil von Rheinau. Wolfgang Ernst ist Rentner. Er steht im Garten vor seinem Einfamilienhaus.
„Seit sie in Frankreich jetzt angefangen zu bohren haben oder kurz danach, hat es Erdbeben gegeben. Leichte Erdbeben. Kurz vor Weihnachten das mit 3,6 und da habe ich die ersten Schäden festgestellt. Das war auf der Stirnseite vom Haus, und die sind auch sehr gut sichtbar“, erzählt er.
An der Fassade des Hauses ziehen sich mehrere feine, aber gut sichtbare Risse die gesamte Wand hoch. Auch im Haus weist Wolfgang Ernst auf mehrere Risse im Mauerwerk. In der vermieteten Einliegerwohnung, sagt er, gebe es noch weitere Schäden.
Bei einem natürlichen Erdbeben greift die Gebäudeversicherung. Doch diese Erdbeben wurden, so ergab eine wissenschaftliche Studie, durch Geothermiebohrungen im nahe gelegenen Vendenheim bei Straßburg ausgelöst. Die Versicherung des Betreibers schickte auch schon einen Gutachter.
Sie haben das alles lapidar heruntergespielt bei der Schadensaufnahme und haben mir 1700 Euro angeboten. Da hatte ich schon einen Kostenvoranschlag vom Maler gehabt über 17.000 Euro, nur für den Außenbereich. Da ist der Innenbereich, was drinnen kaputt ist, nicht dabei.
Wolfgang Ernst, Hausbesitzer
Betroffene klagen über Gebäudeschäden
Hinzu kommt der Wertverlust. Wer kauft schon ein Haus, mit Rissen im Mauerwerk, offensichtlich verursacht durch Erdbeben.
„Es ist ja nicht so, dass man jetzt gegen Geothermie ist, aber das Gezetere für die Schadenswiederherstellung ist eine Frechheit. Wir wollen es bloß wieder in Ordnung gebracht haben, wie es vorher war und sonst nichts“, fordert er.
Die Schadenregulierung gestaltet sich schwierig: Wolfgang Ernst zeigt den Riss in der Fassade seines Einfamilienhauses.© Deutschlandradio / Mirko Heinemann
Wolfgang Ernst ist nicht der Einzige, der über Schäden klagt. In der gesamten Region nördlich und östlich von Straßburg, auf französischer und deutscher Seite, wurden in den Jahren 2020 und 2021 Gebäude durch Erdbeben beschädigt. Vor allem zwei Beben sind vielen noch in Erinnerung.
„Am 4. Dezember, da war ich schon wach um sieben“, sagt Klaus Freudenberger. „Und da hat es plötzlich gezittert. Ich habe eine Holzbalkendecke, da konnte ich sehen, wie Balken vibrieren und das ganze Haus. An einem bestimmten Punkt kommt man dann an die Überlegung: Muss ich jetzt raus? Ja, es handelt sich also um ein Erbeben. Und dann war es vorbei. Und ich glaube, am Ende war da irgendwie noch ein lauter Schlag“, sagt Freudenberger bei einem Geschädigtentreffen in der Gemeindeverwaltung von Rheinau.
Mit dabei ist auch Daniel Waldmann. „Das zweite Event, da war ich morgens schon auf der Arbeit im Büro. Stahlproduzierender Betrieb, große Halle. Die Erschütterung war zu spüren im Bürogebäude und in der Produktionshalle nebenan fährt ein großer Kran. Da dachte ich eigentlich vom Geräuschpegel her, dass der von der Kranbahn gefallen ist.“
Schwieriger Kampf um Schadenersatz
Auch Daniel Waldmann kämpft – wie Klaus Freudenberger – um Schadenersatz für sein beschädigtes Haus. Mit mehreren Hundert weiteren Geschädigten haben sich die beiden in einer Interessengemeinschaft organisiert. Allen geht es ähnlich: Das Angebot der Versicherung gleicht die Schäden nicht annähernd aus.
Das Geothermiekraftwerk in Vendenheim ist – anders als in Graben-Neudorf – kein hydrothermales, sondern ein petrothermales Kraftwerk. Das ist ein großer Unterschied. Beim petrothermalen Kraftwerk gibt es in der Tiefe kein Thermalwasser. Man bohrt stattdessen ins Grundgestein und pumpt Wasser mit hohem Druck in vorhandene Risse und Spalten, um auf künstliche Weise einen Kreislauf herzustellen.
Die Methode ähnelt dem Fracking in der Erdgas- und Erdölindustrie, wo ebenfalls Gestein aufgespalten wird, um die fossilen Rohstoffe freizusetzen.
„Es war zu wenig Durchfluss da, und dann wollte man erweitern“, vermutet Hans Roser. „Und dann ist man halt mit einem Druck, der nicht genehmigt war, draufgegangen. Das kann man aus Betreibersicht gut nachvollziehen.“
Die Bohrung hat 100 Millionen Euro gekostet, und wenn das Wasser nicht so fließt, wie man erwartet, dass man dann an die Grenzen geht oder über die Grenzen der Genehmigung hinaus – das liegt eigentlich auf der Hand.
Hans Roser, Sprecher einer Bürgerinitiative
Hans Roser lebt in der Nähe von Vendenheim und ist Sprecher einer Bürgerinitiative, die Tiefe Geothermie im Oberrheingraben generell ablehnt.
Was genau im Elsass passiert ist, darüber streiten sich Betreiber und Gerichte. Die wissenschaftliche Studie legt nahe, dass zu tief gebohrt wurde und der Injektionsdruck höher war als die genehmigten 100 bar. Im Dezember 2020 entschied die Stadt Straßburg, dass sämtliche Arbeiten eingestellt werden müssen. Der Betreiber wehrte sich. Daraufhin hob ein Verwaltungsgericht die Entscheidung wieder auf.
Auftretende Schäden sind vielfältig
Die Verunsicherung ist groß. Auch anderswo. Im pfälzischen Insheim gab es Erdbeben, wie auch im nahe gelegenen Landau. In Landau wurde außerdem noch Grundwasser durch Arsen aus der Tiefe verseucht. In Basel wurde ein Geothermieprojekt nach Erdbeben abgebrochen. Das Bohrloch ist nur provisorisch gesichert und steht unter hohem Druck.
Die wohl schlimmsten Schäden gab es bei einer oberflächennahen Bohrung in Staufen, einer Kleinstadt nahe Freiburg. Dort wurde in hundert Metern Tiefe eine sogenannte Gipskeuperschicht angebohrt. Der Gips kam mit Grundwasser in Berührung. Seitdem hebt sich die Erde an vielen Stellen, langsam, aber unaufhaltsam. Viele Gebäude in der Altstadt sind bereits stark beschädigt.
Die meisten Experten gehen davon aus, dass das Risiko von Erdbeben bei dem Betrieb von modernen hydrothermalen Kraftwerken wie in Graben-Neudorf beherrschbar ist. Aber kann man es völlig ausschließen?
Ingrid Stober, Geologin an der Universität Freiburg erklärt: „Nicht hundertprozentig, Aber die Wahrscheinlichkeit, dass größere Beben auftreten, ist gegen null. Wir haben zum Beispiel die Seismizität in Baden-Württemberg untersucht.
Wir haben festgestellt, dass das einzige induzierte Beben, das in Baden-Württemberg hervorgerufen wurde, bei Urach stattgefunden hat. Seismizität, also Magnitude 1,8. Deutlich unter der Spürbarkeitsschwelle. Wenn Sie sensibel sind, kann man es ab 2 spüren.
Ingrid Stober, Geologin
Mögliche Gefahren für das Grundwasser
Ein weiteres Risiko sehen Kritiker im Thermalwasser selbst, das aus der Tiefe hochgepumpt wird. Es kann Schwefelwasserstoff enthalten, Borsäure, Ammoniak, Arsen und Quecksilber oder auch radioaktive Substanzen. Bei einem Unfall könnte das Grundwasser verunreinigt werden, fürchten Kritiker. Dazu kommen säurehaltige Substanzen, die manche Betreiber in den Thermalwasserkreislauf hineingeben, damit die Rohre und Pumpen nicht verkalken und rosten.
„Viele Wässer sind hoch mineralisiert. Wenn sie an die Oberfläche befördert werden, verlieren sie Druck und Temperatur und es kommt zu Ausfällungen. Schon gar, wenn Sauerstoff dazutritt oder die Wässer entgasen können. Deshalb werden die Wässer in einem geschlossenen Kreislauf gehalten übertägig, damit kein Gasaustausch stattfinden kann“, erläutert Ingrid Stober.
Manche Mitbringsel aus der Tiefe sind aber begehrt. In Bruchsal betreibt der badische Energieversorger EnBeWe ein Geothermiekraftwerk, das zusätzlich zur Erdwärme auch noch Lithium fördert. Der für Akkus von Elektroautos begehrte Stoff ist im Thermalwasser gelöst und wird herausgefiltert.
Angeblich ließe sich aus dem dortigen Thermalwasser genug Lithium gewinnen, um 20.000 Akkus für Elektroautos pro Jahr zu bestücken, sagt EnBeWe, ohne weitere Details zu nennen. Auf mehrfache Nachfragen reagierte der Konzern nicht.
Kapitel 4: Die Perspektiven
„Ihr Gewalten des unterirdischen Weltraums,
Welcher uns all aufnimmt, so viel wir sterblich erwuchsen.“
Aus Ovids „Metamorphosen“, Orpheus und Eurydike
„Sie sehen hier keine Mitarbeiter. Es gibt niemanden, der hier vor Ort irgendwas bedienen muss“, sagt Thomas Gilg. „Was wir lediglich machen, ist im Rahmen unseres Schichtrundganges mit unseren Leuten, die in den Leitständen sitzen. Sie laufen in der Regel einmal pro Schicht hier durch und gucken, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Mehr ist hier an Tätigkeiten nicht zu machen.“
Thomas Gilg ist Chef des Energiestandorts Süd der Stadtwerke München. Er steht in einem kellerartigen Raum, in dem sich sechs baugleiche Rohrsysteme aneinanderreihen. Durch drei Leitungen fließt Thermalwasser mit einer Temperatur von rund 100 Grad herein, durch die anderen drei fließt abgekühltes Thermalwasser hinaus. Durchschnittlich 6000 Liter pro Minute. Das Wasser stammt aus rund 3000 Metern Tiefe.
Die Stadtwerke München betreiben bereits sechs Geothermiekraftwerke: Thomas Gilg ist Chef des Energiestandorts Süd.© Deutschlandradio / Mirko Heinemann
Auf der anderen Seite der Wand stehen die Wärmetauscher, das Herzstück des hiesigen Geothermiekraftwerks. Die Wärmetauscher entnehmen dem Thermalwasser die Wärme und heizen damit das Wasser im Fernwärmenetz auf. Das abgekühlte Thermalwasser wird wieder zurück in die Erde gepumpt.
Tiefe Geothermie – in München ein alter Hut
50 Megawatt thermische Leistung kommen hier aus der Erde. Das reicht aus, um den Wärmebedarf von 80.000 Münchner Haushalten zu decken. Die Rohre für das Thermalwasser sind überirdisch verlegt. Vom Gebäude mit den Wärmetauschern führen sie zu den beiden Bohrlöchern. Dort ragen die Rohre dicht nebeneinander aus dem Boden, jeweils mit blauer und roter Farbe gekennzeichnet. Wie im heimischen Badezimmer, nur viel größer.
In den roten Rohren fließt das heiße Wasser aus der Tiefe nach oben, in den blauen das abgekühlte wieder zurück. Über einer Bohrung steht ein Kran und hebt Rohre heraus. Eine Thermalwasserpumpe ist defekt. Jetzt muss sie aus 700 Meter Tiefe herausgeholt und repariert werden.
„Muss man sich vorstellen: Dieses Ding sitzt im Bohrloch und wird nur gekühlt mit Thermalwasser mit über 100 Grad. Dass das Probleme machen kann, nicht muss, kann man sich vorstellen“, erklärt Thomas Gilg.
Das erste Münchner Geothermiekraftwerk ging schon 2003 in Betrieb. Tiefe Geothermie ist hier also schon ein alter Hut. Warum, erklärt Helge-Uve Braun, technischer Leiter der Stadtwerke München.
Der Münchner Stadtrat hat schon sehr, sehr zeitig das Thema fossilfrei aufgenommen. Hat den Stadtwerken immer wieder ins Buch geschrieben, wo man in Richtung fossilfrei gehen sollte. Das war der Grund, weshalb man die Messestadt Riem als erstes Modellprojekt ins Leben gerufen hat.
Helge-Uve Braun, Stadtwerke München
Investitionen in Milliardenhöhe geplant
Jetzt betreiben die Stadtwerke München sechs Geothermiekraftwerke. Ein siebtes ist in Planung. Und was sagen die Anwohner? „In München ist die Akzeptanz schon hoch. Das sieht im Umland teilweise anders aus“, so Helge-Uve Braun.
Bis zum Jahr 2035 will München 50 Prozent der Fernwärme aus Geothermie beziehen. Eine Milliarde Euro wollen die Stadtwerke dafür investieren. Was, wenn es beim Ausbau zu Erdbeben kommt, so wie am Oberrheingraben?
„Am Oberrheingraben herrschen andere tektonische Verhältnisse als hier. Was da passiert ist, kann bei uns aller Voraussicht nach nicht passieren. Aber, wie gesagt: Wenn man im Betrieb die Anlage überfordert, zu viel fördert oder andere Dinge tut, dann kann man solche Dinge provozieren, und da sind wir sehr vorsichtig. Wir haben auch genügend Betriebserfahrung mittlerweile, sodass wir sicher sind, dass uns das nicht so leicht passieren kann“, sagt Helge-Uve Braun.
In der Nachbargemeinde, in Poing bei München, da ist etwas passiert. 2016 wurden im Umfeld des dortigen Geothermie-Kraftwerks zwei Erdbeben über Magnitude 2 gemeldet und von vielen Anwohnern auch verspürt.
Experten sind sich einig, dass die geologischen Bedingungen für Tiefe Geothermie im Münchner Raum optimal sind. Zugleich aber sorgen sich die Stadtwerke um die Akzeptanz der Anwohner.
„Wir haben hier auch ein Forschungsprojekt. Hier sind Glasfaserleitungen in die Bohrung eingebracht worden, um zu erfahren: Was passiert unten im Untergrund in der Betriebsphase, damit wir auch keine seismischen Ereignisse hier bekommen. Denn die Akzeptanz der Geothermie steht und fällt mit den seismischen Ereignissen“, sagt Helge-Uve Braun.
Die Gaskrise löst Geothermie-Fieber aus
Die Gaskrise und die Ausbaupläne der Bundesregierung haben ein wahres Tiefengeothermie-Fieber ausgelöst.
Hamburg plant ein Geothermiekraftwerk. Das Ruhrgebiet will alte Kohleschächte für die Geothermie erschließen. Am Niederrhein wollen Landwirte mit Geothermie ihre Gewächshäuser beheizen. Im Bergischen Land baut eine Papierfabrik ein Geothermie-Kraftwerk, um Prozesswärme zu gewinnen.
Kann Geothermie also ein wichtiger Baustein werden auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft? Viele hoffen das. Aber viele Fragen sind noch ungeklärt. Um Tiefe Geothermie großflächig auszurollen, muss man erst einmal herausfinden, wo sie sich in Deutschland überhaupt lohnen könnte. Die Vermessung ist teuer.
Die Freiburger Geologin Ingrid Stober: „Die ganzen Techniken zur Erkundung haben sich wesentlich verbessert. Früher hatte man zum Beispiel nur 2D-Seismik. Dazu kommt: Die Daten von den Erdölfirmen sind zugänglich gemacht worden. Also wir können heute viel besser prognostizieren, wie der Untergrund aussieht.“
Und trotzdem gibt es keine Garantie, dass man im Untergrund Thermalwasser findet. Um dieses Risiko für Unternehmen abzumildern, hat Wirtschaftsminister Robert Habeck ein staatliches Erkundungsprogramm angekündigt.
Staatliches Programm zur Erkundung angekündigt
Laut Bundeswirtschaftsministerium sollen bis 2030 mindestens 100 zusätzliche Geothermieprojekte angestoßen werden, die zusammen zehn Terawattstunden Wärme produzieren könnten – das wäre ein 150-stel des deutschen Wärmebedarfs, etwa 0,66 Prozent.
Wenn wirklich bis 2040 ein Viertel der Wärme aus Tiefer Geothermie kommen soll, wie von Forschern berechnet, müsste das Ausbautempo vervielfacht werden. Wie das gelingen soll, ist unklar, es gibt viele offene Fragen. Das reicht von der Erkundung der Standorte, der Finanzierung der Kraftwerke, Abschätzung der Risiken, Widerständen in der Bevölkerung bis hin zu Fragen des Grundwasserschutzes.
Und: Geothermiekraftwerke sind teuer. Die Erkundung der Standorte und die Bohrungen sind aufwendig, und das Risiko von Fehlbohrungen ist groß. Staatliche Förderprogramme und Versicherungen könnten helfen, die Risiken zu mindern. Dann wäre Tiefe Geothermie wettbewerbsfähig, glaubt Helge-Uve Braun. Der technische Leiter der Stadtwerke München ist zugleich Präsident des Bundesverbands Geothermie.
„Sie haben hohe Kosten bei der Entstehung solcher Anlagen, und während der Betriebsphase moderate Kosten. Wenn wir mehr Bohrfirmen sehen, mehr qualifiziertes Personal sehen, werden auch die Gestehungskosten runtergehen, sodass wir also glauben, dass wir mittelfristig bei den Gestehungskosten von Fossilen sind, mit Sicherheit“, sagt er.
Ein Zukunftsversprechen, das unklar bleibt
Bis dahin bleibt unklar, wie die bescheidenen Ausbauziele bis 2030 erreicht werden sollen. Denn der Bau von Geothermiekraftwerken dauert lange: Von der Planung bis zur Inbetriebnahme muss man mit sechs bis sieben Jahren rechnen. Die über 100 anvisierten Projekte müssten also sehr schnell in die Planung gehen.
Wie das gehen soll? Das Bundeswirtschaftsministerium bleibt eine Antwort schuldig. Das oben erwähnte Eckpunktepapier, sagt eine Sprecherin, müsse erst noch ausgearbeitet werden. So bleibt die Tiefe Geothermie vorerst nur eines: Ein Versprechen für die Zukunft, von dem unklar ist, ob es jemals eingelöst wird.