Vergiftet oder verendet?
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Auch im Tierreich gibt es komplizierte Todesfälle: Woran starb Eisbär Knut? Oder der überfahrene Wolf – Absicht oder Unfall? Das können Tierpathologen feststellen. Auf ihrem Seziertisch landen auch immer mehr Haustiere, deren Besitzer wissen wollen, woran ihr Liebling starb.
Achim Gasper stapft durchs Unterholz. Am Rand des südbrandenburgischen Dorfes Eichholz ist sein Jagdrevier. Doch in letzter Zeit gibt es Probleme: Ein Wolfsrudel ist unterwegs, es dezimiert das Wild und noch schlimmer: Die Raubtiere laufen am hellichten Tag durchs Dorf und nachts reißen sie Schafe, erzählt Gasper. Jüngster Tatort: die Koppel eines Hobby-Schafzüchters am Waldrand.
"Ich zeig Ihnen jetzt mal die Stelle, wo die sich durchgegraben haben."
Gasper geht zu der Stelle, an der sich die Wölfe unter dem Zaun durchgedrückt haben, um die Schafe zu holen: "Und da waren Haare, die in an diesem Maschendrahtzaun hingen, den die aufgebogen haben." Wolfshaare, das habe ein Labor bestätigt.
Abends stehen an die 50 Männer, Frauen und Kinder um ein Feuer in Neuendorf am See. Landwirt Jörg Dommel hat seine Nachbarn zu einer "Wolfswacht" gerufen. Sechs Kälber gerissen, das waren Wölfe, davon ist Dommel überzeugt. Gleich drei Rudel hätten hier im Unterspreewald ihre Reviere, zürnt der Rinderhalter.
"Ein Wolf im Gebiet von 50 Kilometer ist kein Problem. Und der Rest gehört untern Abschuss. Ich warte auf den Tag, bis ein Mensch gerissen wird. Mal sehen, was dann passiert. Ob dann über Nacht das Gesetz gekippt wird, und man sagt, 'jetzt Abschuss frei, jetzt geht's los'."
Abschuss frei? Das gilt nicht für den Wolf
Wenn ein Wolf nachweislich mehrfach Nutztiere gerissen hat, dann darf er in Brandenburg abgeschossen werden. Das steht in der bundesweit ersten Wolfsverordnung. Ansonsten ist die Tötung eines Wolfes strafbar, denn das Raubtier steht unter Artenschutz. Aber das scheint nicht jeden abzuschrecken.
"Andererseits kann ich es Leuten auch nicht verwehren, die ihre Erfahrungen mit dem Staat und mit diesem Artenschutz gemacht haben, dass sie zur Selbsthilfe greifen. Das ist einfach so. Wenn man natürlich einen Riss hat und will das Problem mit dem örtlichen Jäger lösen, dann wird man sich das... wird man sehr überlegen, ob man das meldet oder ob man einfach Stillschweigen darüber bewahrt und das Problem stillschweigend löst."
Wenn Tierpathologin Claudia Szentiks so etwas hört, funkeln ihre Augen vor Wut: "12 Prozent sind illegale Tötungen, wobei das nur die Spitze des Eisbergs ist, denn wir wissen von erwachsenen Wölfen, die spurlos verschwinden, die nicht auf meinen Sektionstisch kommen. Erwachsene Wölfe verschwinden nicht einfach so."
Doch den Täter dingfest zu machen ist schwer, vor allem, wenn in den Dörfern das Gesetz des Schweigens herrscht.
"Wir hatten einen Fall, wo ein Wolf absichtlich überfahren wurde. Anhand der Spurenlage vor Ort war das ganz sicher, dass der Wolf absichtlich überfahren wurde von einem PKW. Wir haben Vergiftung immer mit im Kopf und achten da auch immer mit drauf. Wir hatten noch keinen Wolf, der vergiftet wurde, bei uns auf dem Tisch, wir hatten aber schon Luchse, die vergiftet wurden."
Die Tierpathologin, energisch, in Jeans und dunklem Sweatshirt, hat gerade ein Zebra seziert. Jetzt eilt sie ins Labor, um die entnommenen Gewebeproben abzugeben.
Tote Wölfe landen auf Szentiks Seziertisch
Am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin ist sie für komplizierte Todesfälle in der Tierwelt zuständig. Eisbär Knut war ihr bekanntester Fall, die Boulevardpresse war ihr damals auf den Fersen. Zebras aus dem Zoo obduziert sie genauso wie Otter, Greifvögel oder Luchse. Ihr Spezialgebiet allerdings ist der Wolf.
"Wütend werde ich, wenn ich sehe, dass ein Tier unnötig gelitten hat. Es ärgert mich. Ich hab schon sehr viel gesehen in meinem Leben, was Menschen einem Tier antun. Also ich hab schon in tiefe Abgründe des menschlichen Seins geblickt, und da muss ich sagen: Ich finde es nicht in Ordnung, wenn ein Tier, welches unter Naturschutz steht, geschossen wird. Das ist mir vollkommen egal, welche Art es ist. Es gibt Gesetze und an die hat man sich zu halten."
Jeder Wolf, der hierzulande tot aufgefunden wird, landet auf Claudia Szentiks Seziertisch, erzählt sie beim Kaffeekochen im schmucklosen Aufenthaltsraum ihrer Abteilung. Und das sind nicht wenige:
"Letztes Jahr hatten wir 49 tote Wölfe, dieses Jahr sind wir schon bei 39, das Jahr ist noch nicht halb um. Wir rechnen etwa mit der doppelten Menge für dieses Jahr. Natürlich, mit der steigenden Population steigen auch die Totfundzahlen. 72 Prozent sind Verkehrsopfer, also Straßenverkehr und Zugverkehr. Das liegt einfach der Region Deutschlands geschuldet. Wir sind das Wolfsgebiet mit dem dichtesten Verkehrsnetz und dem höchsten Verkehrsaufkommen."
Die Pathologin mag die großen Raubtiere, leidenschaftlich plädiert sie für das Recht von Canis lupus, sich in Deutschland wieder anzusiedeln. Ihr Menschenbild dagegen hat unter ihrem Beruf etwas gelitten: "Ein Raubtier ist kein Kuscheltier, aber es ist auch keine reißende Bestie. Die einzige reißende Bestie, die es gibt, ist der Homo sapiens."
Laut offiziellen Beobachtungen leben knapp 400 Wölfe in Deutschland. Sie haben mächtige Gegner, allen voran die Bauern und Jäger. Nach der Sektion schreibt Claudia Szentik ihren Bericht – die Strafverfolgung der möglichen Täter übernimmt die Polizei. Die toten Wölfe gehen zu wissenschaftlichen Zwecken zurück in die Bundesländer, in denen sie gefunden wurden. Oder landen ausgestopft in Museen. Einen lebenden Wolf hat Claudia Szentiks noch nie gesehen. Das bedauert sie ein bisschen. Gerne würde sie einmal über einen lebenswarmen, dicken grauen Pelz streichen.
"Das Tier ist nicht weniger wert, wenn es tot ist"
"Wenn jetzt das Tier beim Tierarzt liegen würde und überlegt werden würde: Wie können wir es behandeln oder müssen wir es euthanasieren? Und ich zufällig dort wäre, dann würde ich natürlich glücklich sein, es anfassen zu dürfen. Aber für mich ist das Tier nicht weniger wert, wenn es tot ist. Ich finde jedes Tier schön. Und ich schaue natürlich auch in jedes Tier rein. Es ist egal, ob es jetzt ein Wildtier ist, ein Zootier oder wenn jetzt meine Katze zu Hause gestorben ist, dann nehme ich die auch mit und schaue auch dort rein."
Tatsächlich: Claudia Szentiks hat unerschrocken ihre eigene Katze seziert.
"Ich bin insofern kein normaler Mensch, ich bin Pathologe. Für mich ist das tote Wesen noch genauso wertvoll wie das lebendige Wesen, aber einfach anders. Und ich muss wissen, wenn mein Haustier gestorben ist: Was hatte es dann? Nur das lässt mich dann wieder abschließen und einen neuen Lebensabschnitt anfangen mit einem anderen Tier."
Die Frage "Was hatte mein Tier?" quält viele Menschen, wenn das geliebte Haustier stirbt. Ulla Schünemann betreibt in Geltow bei Potsdam eine Handweberei. Vor einigen Jahren musste sie geschockt mit ansehen, wie ihre sechs Jahre alte Dogge "Paul" beim Spielen im Garten plötzlich starb.
"Der kippte auf einmal um und wir wussten gar nicht, was los ist. Und meine Tochter und ich haben dann erstmal noch schnell Herzmassage und Beatmung gemacht. Er ist dann aber leider doch ganz schnell verstorben. Und wir waren uns sehr unsicher: Was war es jetzt und warum? Er war immer fit und fidel."
Wurde der Hund vergiftet?
Mutter und Tochter waren ratlos – und sie hatten Angst, dass ihr "Paul" vergiftet worden war. Darum ließen sie den Hund sezieren.
"Man möchte ja auch dem Tier nur alles Gute antun und damit möchte man auch wissen, wenn jetzt der Tod nicht geklärt ist an Altersschwäche oder so, was ist es. Und da finde ich dann auch wichtig auch ein Tier zu obduzieren. Wir brauchten es dann zum Glück auch nicht bezahlen, weil wir das Tier dann auch freigegeben haben, auch für Studenten: Wer nachher ein Tier operieren will, für den ist es ja auch ganz wichtig zu sehen: Wie liegen die Organe nun ganz genau und alles? Dafür sind dann ja solche Dinge auch wichtig und notwendig."
Die Obduktion ergab dann die beruhigende Gewissheit: Niemand hatte "Paul" etwas angetan.
"Es hat sich dann heraus gestellt, dass die ganzen Organe schon sehr am Limit waren, es war wie ein Herzinfarkt oder Organversagen. Er war immer munter, er hat ein kurzes schönes Leben gehabt, er hat aber auch nicht gelitten. Das war dann das Gute, was wir uns dann gesagt haben."
Dieser Boxermischling, nennen wir ihn "Kalle", wurde acht Jahre alt: Auf einem Edelstahl-Tisch im Sektionssaal liegt sein gehäuteter, geöffneter Körper. Ein halbes Dutzend Studierende der Tiermedizin in weißen Schlachter-Gummischürzen beugen sich mit scharfen Messern, Knochensägen und Hämmern über den toten Hund. In dem großen, weiß gefliesten Raum verbreitet sich der Geruch nach Blut und leichter Verwesung.
"Der Hund wiegt 40,6 Kilogramm und zeigte zu Lebzeiten ein apathisches Verhalten. Ist gestern noch ganz kurzfristig beim Haustierarzt wegen plötzlichem Erbrechen vorgestellt worden; war ganz schlapp und der Hund ist dann relativ schnell ohne weitere erkennbare Symptome verstorben."
Knut, der Eisbär, oder das Kaninchen – seziert wird alles
Achim Gruber, groß, schlank, ein freundlicher, offener Typ mit hoher Stirn und randloser Brille, leitet das Institut für Tierpathologie der Freien Universität Berlin. Er ist ein enger Kollege von Wolfsexpertin Claudia Szensik, gemeinsam haben sie Knut, den Eisbären, seziert. Gruber und die Studenten haben ein wissenschaftliches Interesse, die Tierhalter aber treiben Emotionen hierher: Sie wollen wissen, ob sie schuld sind, wenn Hund oder Katze, Kaninchen oder Pferd plötzlich gestorben sind. Ob sie etwas falsch gemacht haben. Eine Obduktion kostet 120 Euro. Bringt dafür aber auch die Antwort.
"Der überweisende Haustierarzt und auch die Patientenbesitzerin wollen von uns wissen, warum der Hund gestorben ist. Im Wesentlichen wissenschaftliches Interesse und Neugier des Patientenbesitzers über eine unklare Todesursache bei diesem 40,6 Kilogramm schweren, acht Jahre alten Hund."
Dass "Kalle" hellbraun war, verrät sein Fell, das säuberlich zusammengefaltet an Ende des Sektionstisches liegt. Nach der äußerlichen Begutachtung haben die angehenden Tiermediziner es abgezogen, inklusive des Gesichts und der Ohren, deren Spitzen schwarz waren.
"Wir finden zwar an mehreren Stellen Körperhöhlenergüsse, aber noch keine Hinweise. Im Brustkorb haben wir jetzt mindestens 150 Milliliter, das wird aber jetzt immer mehr, und im Bauchraum haben wir ungefähr 100 Milliliter gefunden."
Die angehende Veterinärpathologin Klinga Teske trägt wie alle hier ein OP-Hemd und eine Hose in ausgewaschenem Pink, darüber die Gummischürze, weiße Gummistiefel an den Füßen: Kein Seuchenerreger darf nach der Sektion durch die Sicherheitsschleuse mit geschleppt werden.
"Wir sehen das gesamte Spektrum an Hunden. Und die Rasse spielt bei der Obduktion natürlich eine große Rolle, weil wir viele rassetypische Erkrankungen sehen, die mit Zuchtdefekten zu tun haben. Eine große Zahl von Hunderassen ist belastet durch starke Disposition, also Risiken, bestimmte Erkrankungen zu erleiden und auch daran zu sterben."
Modische Möpse haben Atemprobleme
Modische Möpse und trendige französische Bulldoggen zum Beispiel: Ihre Schnauzen wurden so kurz gezüchtet, dass sie kaum mehr atmen können und leicht ersticken.
Vor allem im Sommer landen sie häufig auf dem Sektionstisch. An heißen Tagen bekommen sie auch viele Hunde, die allein im Auto gelassen werden und dann an Überhitzung sterben, seufzt Gruber. Passiert immer wieder, denn Hunde können nicht schwitzen.
"Selbst starkes Hecheln reicht nicht aus, um einen Hund im 50 Grad erhitzten Auto vor dem Hitzschlag zu retten. Und das sind natürlich klare Verstöße gegen das Tierschutzgesetz. Wer ein Tier hat, ist für sein Wohlergehen verantwortlich."
Volles Wartezimmer in der Tierklinik Potsdam. Ein großer Mischling geht offensichtlich nicht gerne zum Arzt oder hat Schmerzen: Das grau-schwarze Tier hechelt ängstlich. Eine Katze in einer Transportkiste aus Plastik blickt durchs Gitter stumm auf die vielen Hunde, ein kleiner Brauner jault seine Aufregung heraus, während seine Besitzerin am Empfangstresen steht und die Rechnung begleicht.
Klinikleiter Thomas Hanisch ist im Stress, nimmt sich aber trotzdem Zeit für ein Interview. In seinem Büro im ersten Stock des Altbaus stapeln sich Patienten-Akten auf dem Schreibtisch. Es ist drückend heiß hier unter dem Dach: Der Tierarzt reißt das Fenster auf. Die Klinik gehört zu den Kunden des Instituts für Tierpathologie der FU Berlin.
Knifflige Fälle schickt der Tierarzt zur Obduktion
"Das ist das, wo die besonders kniffligen Fälle landen. Weil die einen sehr großen Erfahrungsschatz haben und auch sehr, sehr gründlich untersuchen, auch viele moderne Verfahren beherrschen und einfach die Kommunikation sehr gut klappt."
Die Klinik schickt die toten Tiere in einem speziellen Kühlwagen zu Professor Gruber auf den Sektionstisch, erzählt Thomas Hanisch. Er fährt sich durch das dunkle Haar, lehnt sich dann in seinem grünen, kurzärmeligen Kittel nach vorne und stützt die Ellbogen auf den Schreibtisch. Tote Tiere werden seziert, wenn beim Tierarzt Fragen offen bleiben.
"Letztendlich möchte man selbst ja auch genau wissen: Habe ich irgendwie in irgendeiner Form etwas falsch behandelt, etwas übersehen? Also da hilft, denke ich, eine Obduktion allen weiter."
Wenn Hund oder Katze plötzlich aus ungeklärten Gründen tot sind, suchen viele verstörte Tierhalter die Schuld bei anderen: Beim Tierarzt, der falsch behandelt, beim Nachbarn, der vergiftet, beim Jäger, der geschossen haben soll. Das Sektionsprotokoll enthärtet meist diesen Verdacht: Viele Besitzer verzichten nach einer Untersuchung auf den Gang vor Gericht. Und die Gutachten der Pathologen sind gefragt, wenn Menschen gegen Tierschutzgesetze verstoßen. Und das kommt nicht nur beim Wolf vor.
"Ja, es gibt leider hin und wieder auch Fälle, wo Tiere mit stumpfer Gewalt traumatisiert werden, mit Messern oder Äxten oder ähnlichen Dingen oder wenn Schusswaffen gebraucht wurden, auch dann sind ja forensische Untersuchungen wichtig, um eventuell Täter aufzuspüren oder zu überführen und entsprechende Beweise herbeizubringen, die den Täter dann auch einer gerechten Strafe zuführen lassen."
Misshandlungen sind häufig, übertriebene Fürsorge auch
Einem Tier unnötig Leid zuzufügen ist in Deutschland verboten. Im vergangenen Jahr hat das Bundeskriminalamt rund 6500 Fälle gezählt, die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.
Eine Rentnerin aus Berlin ist mit ihrer Hündin "Louise" in die Klinik gekommen. Der freundliche, ruhige Mischling aus einem spanischen Tierheim liegt entspannt zu Füßen der Frau. Die hellbraune "Louise" hat nur eine schuppige Stelle an der Schwanzwurzel, aber die Besitzerin scheut keine Umstände: Sie will dazu gleich die Meinung einer Spezialistin an der Klinik hören. Nach einer Stunde kommen "Louise" und ihr Frauchen endlich dran.
Viele Tierhalter betreiben immer mehr Aufwand mit ihren Haustieren, geben ihnen Menschennamen, kaufen Mäntel, Spielzeug und teures Futter, bezahlen immer neue Behandlungen bei Ärzten.
Die Zahl privat veranlasster Untersuchungen am Berliner Institut für Tierpathologie nimmt dramatisch zu. Ein Zeichen für die zunehmende Bedeutung von Tieren für den Menschen?
"Absolut. Der soziale Stellenwert ihrer Tiere steigt immens in den letzten Jahren. Es ist häufig so, dass das absolute Familienmitglieder sind und sie sind natürlich emotional am Boden zerstört, wenn die kommen, und sind natürlich aufgebracht, in Tränen, Wut und Zorn und möchten natürlich dann auch ergründen, was passiert ist."
Kettensäge als Arbeitsgerät
Im Sektionssaal des Institutes für Tierpathologie der FU grinst der nackte Schädel des toten Hundes mit gefletschten Zähnen die Neonröhren an der Decke an. Das Tier liegt auf dem Rücken, der Bauch klafft weit offen, die Pfoten noch mit Fell und Ballen samt Krallen daran baumeln links und rechts neben dem nackten, roten Fleisch.
"Der Darm sowie die anderen Organe müssen jetzt im Ganzen aus dem Tierkörper entfernt werden, damit wir nach krankhaften Veränderungen suchen können."
In der Bauchhöhle können sich Blut, Eiter, Urin oder Galle aus den inneren Organen finden. Die Pathologen stoßen auf gerissene Mägen oder geplatzte Därme, weil Hunde spitze Knochen gefressen haben. Die entnommenen Organe werden zunächst von außen beurteilt, dann angeschnitten. Der Inhalt von Magen, Darmtrakt und Harnblase wird untersucht. Das Studenten-Team um Klinga Teske zerteilt nun die Rippen des Boxermischlings, eine größere Säge kommt zum Einsatz.
"Das ist alles ähnlich wie in der humanmedizinischen Pathologie und der humanmedizinischen Forensik."
Institutsleiter Achim Gruber hat Spaß am Erklären.
"Allerdings haben wir auch sehr viel anderes Material, was die Humanpathologen nicht einsetzen. Ich habe noch nicht in der Humanpathologie jemanden mit Kettensägen gesehen oder großen Hammern, die wir brauchen, um Elefanten oder Panzernashörner zu untersuchen. Unsere kleinsten Patienten, also Mäuse bis hin zu Goldfischen, die wir auch untersuchen, mongolische Wüstenrennmäuse – da brauchen wir entsprechend sehr kleines Obduktionsgerät. Was typischerweise nur von Augenärzten oder Gesichtschirurgen in der Humanmedizin benutzt wird, die benutzen wir für die Obduktion so kleiner Tiere."
Die angehenden Tierärzte arbeiten Schritt für Schritt eine strikt vorgegebene Standardprozedur ab, um nur ja auch den kleinsten Hinweis nicht zu übersehen. Darum werden auch die Organe des toten Boxermischlings hier auf dem Seziertisch für die mikroskopische Begutachtung in speziellen chemischen Substanzen fixiert, dann in ganz feine Scheiben geschnitten und eingefärbt.
"Und weit mehr als die Hälfte der Fälle werden erst unter dem Mikroskop abschließend geklärt, weil wir sehr viele verschiedene Krankheitsmuster, also Infektionsursachen, zum Beispiel bestimmte Virusinfektionen, Staupe, Tollwut, Lungenentzündungen oder auch bestimmte Tumorarten, abschließend erst unter dem Mikroskop beurteilen können, wobei die Untersuchung bei der Obduktion am eröffneten Tier mit dem Messer in der Hand häufig nur Verdachtsdiagnosen erlaubt."
Als Achim Gruber zusammen mit Claudia Szentik den Eisbären "Knut" obduziert hat, fanden sie heraus, dass er an einer Enzephalitis litt, einer Entzündung des Gehirns. Ursache war wahrscheinlich eine Virusinfektion. Er fiel in seinen Wassergraben und ertrank. Die Ergebnisse waren klar. Es gab keine Schuldigen. Das ist nicht immer so. Achim Gruber muss manchmal als Gutachter vor Gericht. Die Fälle, die dort verhandelt werden, haben oft mit Misshandlungen und Tierquälerei zu tun, manchmal aber auch einfach nur mit Geld.
Eine Pferde-OP verschlingt ein Vermögen
Im Brandenburgischen Haupt- und Landgestüt in Neustadt/Dosse leben Pferde, die sehr viel wert sind. Und welche, die nicht viel gekostet haben, aber ihren Reiterinnen sehr am Herzen liegen.
"Meine läuft übrigens wieder. Danke noch mal!"
Michael Köhler, ein kräftiger Mann mit Bauch und Sonnenbrille, ist der leitende Tierarzt im Gestüt. Die Schimmelstute der jungen Reiterin hatte eine Entzündung an der Hufkrone. Köhler hat sie geheilt. Das war keine große Sache, doch Operationen in einer Klinik können bei Pferden schnell Tausende Euro kosten. Viele Besitzer schließen darum eine OP-Versicherung ab. Köhler betreut nicht nur die 400 Hengste, Stuten und Fohlen des Gestütes, sondern ist auch als Turnier-Tierarzt unterwegs. Stichwort Doping.
"Jedem verendeten oder auch wegen einer Verletzung eingeschläferten Pferd wird eine Medikationsprobe entnommen, um alleine das nachzuweisen, aber wir möchten eigentlich auch von jedem verendeten Pferd eine pathologische Untersuchung haben. Das heißt, dass die Deutsche Reiterliche Vereinigung die Untersuchung sogar bezahlt, weil man einfach das Wissen haben muss: Warum ist ein Pferd verstorben?"
Hier im Landgestüt sind Seuchen Köhlers größter Albtraum: Der gesamte Bestand wäre gefährdet, inklusive der sehr wertvollen Tiere. Neustadt züchtet das Deutsche Sportpferd, für Talente müssen Käufer tief in die Tasche greifen.
"Ja, das geht sicherlich preislich in einem Rahmen von 10- bis 12.000 los, aber wird dann auch bei den Hochpreisigeren, das heißt, die besser veranlagt sind, aber auch schon weiter ausgebildet sind, schon deutlich über 100.000 Euro gehen. Und jeder weiß: Neustadt hat einen sehr guten Deckhengst in den letzten Jahren verkauft, der jetzt sportlich unter einer unseren besten Dressurreiterinnen in Deutschland geht, Frau Isabell Werth, dass der noch deutlich teurer war."
Gestüte schützen sich vor Seuchen
Wenn ein Pferd aus unklaren Gründen stirbt, schickt Köhler es zur Sektion ins Berliner Institut von Achim Gruber. Obwohl das bei einem so großen Tier sehr aufwändig ist. Köhler will sicher gehen, dass es nur ja nicht die Druse hatte, eine Streptokokken-Infektion, oder noch schlimmere Seuchen, die anzeigepflichtig sind:
"Das würde eine Sperre des Betriebes und der ganzen Umgebung nach sich ziehen, das würde aber eben auch Tötung positiver Tiere, die serologisch positiv sind, nach sich ziehen, um den Seuchenherd einzugrenzen und dann letztendlich auszumerzen."
Im nahe gelegenen Wusterhausen betreibt Michael Köhler auch eine Pferdeklinik.
Ist das Reittier krank und die Versicherung zahlt nicht, stürzten sich Reiterinnen heut zu Tage nicht selten in Schulden, um die Rechnungen zu bezahlen. Tierpathologe Achim Gruber fände es schön, wenn auch Menschen in armen Ländern solche Wertschätzung entgegengebracht werden würde.
"Viele Hunde, Katzen und auch Haustiere werden gehalten wie Sozialpartner bei Menschen und werden heute auf einem Standard tiermedizinisch untersucht, wie in vielen anderen Ländern nicht mal die Menschen untersucht werden."
Mensch und Tier brauchen Abstand
Das immer enger werdende Verhältnis bringt den Tieren aber nicht nur Gutes:
"Das hat viele Aspekte, das hat Aspekte der Ernährung." Vegetarier etwa, die meinen, auch ihre Katze fleischlos ernähren zu müssen. "Das hat Aspekte der Tierzucht, die wir erwähnt hatten, das hat viele Aspekte von gegenseitigem Übertragen von Infektionskrankheiten."
"Das hat viele Aspekte, das hat Aspekte der Ernährung." Vegetarier etwa, die meinen, auch ihre Katze fleischlos ernähren zu müssen. "Das hat Aspekte der Tierzucht, die wir erwähnt hatten, das hat viele Aspekte von gegenseitigem Übertragen von Infektionskrankheiten."
Unlängst hatten sie im Institut für Tierpathologie zum Beispiel den Fall einer Schäferhündin: Obduktion und mikroskopische Untersuchung ergaben, dass sie an Lungentuberkulose gestorben war.
"Das Erste, was wir dann machen, ist, bei dem Patientenbesitzer anrufen und sagen: Wer hustet bei Ihnen zu Hause? Und in dem Fall war es tatsächlich so, dass wir dann von der Besitzerin hörten: 'Ja, Opa hustet. Aber der hat eine COPD, weil er sein Leben lang so viel geraucht hat.' Dann haben wir den aber zum Gesundheitsamt geschickt und die haben festgestellt: Er hatte eine offene Tuberkulose. Diese Tuberkulose hat dann seinen eigenen Hund angesteckt."
Gerade der Hund könne sehr gut als Modell für menschliche Erkrankungstrends dienen, erklärt der Pathologe: Seit Jahren nähmen allergischen Erkrankungen deutlich zu, meist Futtermittelallergien. Und manchmal bringt der Mensch sein Tier um. Aus Versehen, weil er den Dackel mit für Hunde giftiger Schokolade füttert oder dem Kater die eigenen Herz-Pillen verabreicht. Aus Gleichgültigkeit, oder weil er Tiere sammelt: Animal-Hoarding. Dann bekommen Pferde im Hochsommer kein Wasser auf der Weide, 46 Katzen in einer Wohnung fressen sich gegenseitig auf. Und dann gibt es Menschen, die töten mit Absicht.
"Über alle Fälle möchte ich in der Öffentlichkeit nicht ganz gerne sprechen. Es gibt aber viele Fälle, wo Verhaltensstörungen bei den Besitzern oder Krankheiten des Besitzers psychischer Art dazu führen, dass Tiere misshandelt werden bis hin zur Todesfolge. Wir kennen Fälle von Sodomie, wo sexueller Missbrauch an Tieren durchgeführt wurde mit Todesfolge oder wo Tiere euthanasiert werden mussten aufgrund von schweren Verletzungen im Genitalbereich."
Im Sektionssaal des Institutes für Tierpathologie in Berlin Zehlendorf ist nach einer guten Stunde das Rätsel um "Kalle" gelöst. Achim Gruber hält das faustgroße, dunkelrote Herz in der Hand, aus dem Blut tropft.
Ein guter Tod für Kalle
"Der Hund ist gestorben an einem gerissenen rechten Herzvorhof infolge eines dort gewachsenen Tumors. Und das Herz war nach Einreißen des rechten Vorhofes hier und Vollfüllen des Herzbeutels nicht mehr in der Lage, sich auszudehnen und der Hund ist sofort am Herzstillstand gestorben. Ein sehr schneller Tod und dieser Hund wird beim Spazierengehen wie in vielen anderen Fällen einfach tot umgefallen sein, ohne dass vorher irgendwelche Krankheitsanzeichen erkennbar waren."
Eigentlich ein guter Tod, sinniert Achim Gruber: Der Hund wird es kaum gemerkt haben. Gruber kann der geschockten Besitzerin die tröstliche Nachricht übermitteln: Sie hat nichts falsch gemacht, niemand ist Schuld und "Kalle" hat nicht lange leiden müssen.
Die Sendung ist eine Wiederholung vom 15. Juli 2018.