Die Ambivalenz von Tieren auf der Bühne
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In der Theatergeschichte sorgten Tiere auf der Bühne immer wieder für Irritationen, sagt der Literaturhistoriker Roland Borgards. Darüber sei an der Berliner Staatsoper offenbar nicht ausreichend nachgedacht worden.
Nach den ersten Aufführungen von Richard Wagners "Ring des Nibelungen" in der Berliner Staatsoper gab es einigen Ärger, weil auf der Bühne lebende Tiere wie Kaninchen und Meerschweinchen zum Einsatz kamen. Besonderen Unmut erregte bei einigen Besuchern, dass sie in Käfigen beleuchtet ausgestellt wurden.
Tiere dürfen wieder auf die Opernbühne
Nun hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag eines Tierschutzvereins zurückgewiesen, der den Einsatz der Tiere für tierschutzwidrig hält und dies durch das Veterinäramt unterbinden lassen wollte. Die Tiere dürfen also weiter auf die Bühne, aber die Debatte geht weiter. Die Berliner Staatsoper teilte mit, sie werde trotz Gerichtsbeschluss bald keine Kaninchen mehr auftreten lassen. Diese seien nur noch an diesem Wochenende auf der Bühne, nicht aber bei der Wiederaufnahme im kommenden Frühjahr.
In der Theatergeschichte sind Tiere auf der Bühne nicht neu, wie der Literaturhistoriker Roland Borgards erforscht hat. "Das beginnt in der Antike, denken Sie nur an die Vögel von Aristophanes, geht dann in das 19. Jahrhundert, im 20. Jahrhundert verstärkt", sagt er. Mit der Tierpräsenz auf der Bühne gehe schon immer eine Irritation einher. "Irritation wollen wir ja erst mal gerne haben im Theater." Insofern würde er auf keinen Fall pauschal sagen, dass Tiere nicht auf Bühnen gehörten.
Mit Tieren auf Bühnen geschehe etwas, das die Theaterwissenschaftlerin Esther Köhring auf den Begriff "Skandalon des Bühnentiers" gebracht habe.
Blick in die Vergangenheit
Auf die Frage, was Tiere eigentlich ins Theater bringt, antwortet Borgards, in dem er von sehr unterschiedlichen Erfahrungen aus der Theatergeschichte berichtet. Da gebe es einmal das Vergnügen an Tieren, wie man es aus dem Zirkus, dem Zoo und aus Tierschauen kenne.
Allerdings habe schon der Dichter Johann Wolfgang Goethe einst die Leitung der Weimarer Hofbühne aufgegeben, weil er gefunden habe, dass ein Hund keine Rolle im Theater übernehmen sollte.
Die Theatermacherin Rachel Rosenthal habe in den 1980er-Jahren im Stück "The Others" Meerschweinchen und andere Tiere auf die Bühne geholt. Ihr sei es empathisch darum gegangen, den Tieren eine Präsenz zu geben, sie aufzuwerten und zu "Mitbewohnern dieses Planeten" zu machen. Auch da habe es Kritik gegeben.
Chance zum Nachdenken
An diesen Beispielen zeige sich die Ambivalenz. "Tiere auf die Bühne zu bringen, macht sie zu Konsumgütern und wiederholt damit, was wir in der Gesellschaft die ganze Zeit mit Tieren tun, sie konsumieren", sagt Borgards. Andererseits verhelfe es den Tieren auch zur Sichtbarkeit. Es könne dazu führen, darüber zu reflektieren.
An der Berliner Staatsoper sei über diese Ambivalenz offenbar vorher erstaunlich wenig nachgedacht worden, meint der Literaturhistoriker. Dank einiger Zuschauer und der jetzigen Debatte bekämen die Tiere nun eine größere Bühne. "Ein Meta-Theater, das weiter ein Tiertheater ist." Dadurch geschehe etwas, dass für das Nachdenken über die Tiere sehr wertvoll sei.
(gem)