Hilal Sezgin: "Artgerecht ist nur die Freiheit - eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen"
C.H. Beck Verlag, München 2014
304 Seiten, 16,95 Euro
Plädoyer für ein Ende des Gemetzels
Die Philosophin Hilal Sezgin entwickelt in ihrem neuen Buch eine moralisch schlüssige Tierethik: Argumente, die das Leiden der Nutztiere rechtfertigen sollen, nimmt sie mühelos und undogmatisch auseinander.
Dürfen wir Tiere quälen, etwa im Rahmen von Medikamentenversuchen? Dürfen wir Tiere töten, um sie zu essen? Dürfen wir Tiere nutzen, um Eier, Wolle oder Milch zu gewinnen? Kann es ein faires Zusammenleben von Mensch und Tier geben? Ganz einfache Fragen stellt Hilal Sezgin an die Kapitelanfänge ihres neuen Buches "Artgerecht ist nur die Freiheit". Doch ihre Antworten geraten alles andere als einfach. Auf hohem philosophischem Niveau, dabei aber um einen leichten Tonfall niemals verlegen, entfaltet die Autorin eine moralisch schlüssige Tierethik fern allen Dogmatismus.
Schritt für Schritt, Passage um Passage nimmt sie all die wackeligen Argumente auseinander, die das millionenfache Leiden der Nutztiere rechtfertigen sollen. Ob hedonistische, traditionalistische, anthropozentrische oder denkfaule Verteidigungslinien - Hilal Sezgins scharfsichtige Analyse reißt sie alle ein.
Lakonisch, klarsichtig, persönlich, fragend, mitten im Schrecken mit einem Talent zum Komischen begabt, packt Hilal Sezgin ihr an die Nieren gehendes Thema an. Selbst die heikle Problematik der medizinischen Tierversuche meistert sie souverän. Wir muten, so schreibt sie, Tieren Schmerzen und psychische Leiden zu, die jenseits des Zumutbaren liegen. Doch die Suche nach neuen Therapieformen sei kein Notfall, argumentiert sie. Und in einer nicht perfekten Welt gebe es auch kein absolutes Recht auf Gesundheit. So schrecklich Krankheiten seien: Völlig Unbeteiligte zu überfallen und ihnen unerträgliche Qualen zuzumuten, um das eigene Wohlergehen zu erreichen, lasse sich moralisch kaum rechtfertigen.
Lebenslang eingesperrt im Dunkeln auf kotigen Böden
Als studierte Philosophin zeigt sich Hilal Sezgin hervorragend mit ethischen Fragestellungen vertraut. Gleichzeitig verweigert sie sich immer wieder dem Anspruch, schlüssig argumentieren zu müssen - und fragt: Liegt die Rechtfertigungslast für das monströse Leiden der Nutztiere nicht vielleicht bei denjenigen, die daran festhalten möchten? Sind nicht sie es, die erklären müssen, warum man, nur um ein Schnitzel essen zu können, hochsensible Schweine in winzigen Boxen bei völliger Dunkelheit lebenslang in ihrem eigenen Kot stehend einsperren darf, ohne dass sie sich auch nur um die eigene Achse drehen können?
Der Begriff der Freiheit mag philosophisch schwer bestimmbar sein, räumt die Autorin ein. Doch was sie auf Hühnerfarmen oder in Schweinemastanlagen gesehen habe, ob biologisch oder konventionell betrieben, zeige ohne weiteren Erklärungsbedarf, worum es hier gehe: unerträgliche Gefangenschaft.
Hilal Sezgins Buch liest sich wie eine Droge, auf die man streckenweise lieber verzichtete. Mit der glasklaren Stringenz ihrer Ausführungen und ihrem großzügigen Schreiben und Denken lockt sie uns in die Lektüre hinein, bis wir kniehoch in dem Blut waten, das wir anderen milliardenfach aus dem Körper quälen.
Mein Buch ist nicht radikal, erklärt Hilal Sezgin. Wir schlachten weltweit in anderthalb Jahren mehr Tiere, als es jemals Menschen gab. Was also ist radikal? Das Plädoyer für ein Ende des Gemetzels - oder das Gemetzel?