Tierforscher

Habermas im Bienenstock

Eine Honigwabe mit Arbeitsbienen
Doch nicht monarchisch? Eine Honigwabe mit Arbeitsbienen. © picture-alliance/ ZB
Von Florian Werner |
Auf packende und humorvolle Weise erklärt der amerikanische Bienenforscher Thomas D. Seeley, wie sich riesige Insektenschwärme organisieren. Für ihn stellt der Bienenstaat eine lupenreine Demokratie dar.
Traditioneller Auffassung zufolge handelt es sich bei der von den Honigbienen bevorzugten Staatsform um eine matrilineare Monarchie: Das Volk schart sich demzufolge um eine allwissende Bienenkönigin, die den einfachen Arbeiterinnen sagt, was zu tun ist. Falsch, meint der renommierte US-amerikanische Bienenforscher Thomas D. Seeley: Der Bienenstaat stellt eine lupenreine Demokratie dar.
Zunächst und vor allem geht es Seeley darum zu zeigen, wie ein aus 10.000 Einzelwesen bestehender Insektenschwarm überhaupt zu einer gemeinsamen Entscheidung gelangen kann. Wie finden jene Bienen, die im Frühjahr ihren angestammten Stock verlassen müssen, um einer neuen Königin und ihrem Volk Platz zu machen, einen neuen Unterschlupf? Wie teilen sie den anderen Bienen ihre Suchergebnisse mit? Und vor allem: Durch welches Verfahren kommen sie schließlich zu einer einstimmigen Entscheidung?
Zur Beantwortung dieser Fragen kann sich Seeley auf vier Jahrzehnte intensiver Feldforschungen stützen. Auf packende und humorvolle Weise erzählt er, durch welche Versuche er der Sprache und Streitkultur der Bienen auf die Schliche kam: wie Bienen das Volumen eines potenziellen Wohnorts ausmessen. Wie sie ihre Ergebnisse mittels Schwänzeltänzen ihren Schwarmgenossinnen mitteilen. Wie sich Meinungsmehrheiten bilden. Und wie sich letztlich die Schwarmintelligenz durchsetzt und sämtliche Mitglieder der Gemeinschaft binnen weniger Minuten kollektiv in ein neues Quartier umziehen.
Soziologischen Schlussfolgerungen weniger überzeugend
Das alles ist, nicht nur für Verhaltensforscher, faszinierend. Etwas weniger überzeugend sind die soziologischen Schlussfolgerungen, die Seeley aus seinen Beobachtungen zieht. So formuliert er fünf Lektionen, wie wir Menschen uns das Entscheidungsverhalten der Bienen zum Vorbild nehmen könnten. In unguten Momenten erinnern sie an Brainstormingtipps aus einem Leitfaden für Führungskräfte, einer "Bienenfibel für Manager" − in besseren an das von Jürgen Habermas entwickelte Konzept der Diskursethik, bei der vernünftige Individuen in einem offenen, rational geführten Diskurs zu einem friedlichen Konsens gelangen.
Wenn man jedoch liest, dass Professor Seeley seine monatlichen Fakultätssitzungen an der Cornell Universität tatsächlich − "zum Spaß und als Experiment" − nach Prinzipien leitet, die er dem Sozialverhalten der Bienen abgeschaut hat, ist man gleichermaßen gerührt und geneigt, sich von seinen bienendemokratischen Idealen überzeugen zu lassen. Und am Ende möchte man am liebsten bei Seeley als Hilfskraft anheuern und ihn auf seiner nächsten Forschungsexpedition mitfahren.
Letztlich ist "Bienendemokratie" nämlich sehr viel mehr als ein Wissenschaftsbuch: Es ist die Biografie eines Forscherlebens, das auf beneidenswerte Weise von der Begeisterung für ein Thema bestimmt ist − und das in der Auseinandersetzung mit diesem Thema nicht nur Erfolg findet, sondern Erfüllung.

Thomas D. Seeley: "Bienendemokratie: Wie Bienen kollektiv entscheiden und was wir davon lernen können"
S. Fischer, Februar 2014
320 Seiten, 22,99 Euro

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