Zwischen Gnadenhof und Altersheim
Die Kuh Manuela musste vier Jahre mit offenem Bauch in einer Tierversuchsanstalt leiden. Karin Mück und Jan Gerdes holten sie auf ihren Hof "Butenland" und ermöglichen ihr und anderen ausrangierten Tieren ein friedvolles Leben.
Keine Sorge, es geht ihm gut! Sehr gut! Es sei dem Rinder-Laien versichert: Das Geräusch, das Fiete hier macht, bedeutet Wohlgefühl pur. Der Ochse liegt an diesem sonnigen Sommertag auf einer fetten Wiese in Butjadingen und käut wieder. Fiete hat's dann doch geschafft, wider Erwarten, trotz seines miesen Starts ins Rinderleben:
"Den haben wir südlich von Bremen von einem Hof. Wo es bekanntermaßen seit Jahren drunter und drüber ging, und die Tiere nur in kompletter Dunkelheit lebten. Ziemlich verwahrlost alles. Und das Veterinäramt aber untätig blieb."
Karin Mück sitzt neben Fiete im Gras und, nun ja, diesem ausgewachsenen Ochsen kann man nicht mit Streicheln kommen. Die Hof-Butenland-Frau gibt kräftigste Akupressur.
"Und Fiete war damals noch ein Kälbchen, der stand da eingezwängt in kompletter Dunkelheit; konnte sich nicht bewegen. Und als er zu uns kam, wollte der überhaupt nicht raus, der stand also wie so ein Roboter bewegungslos und hat immer nur an die, an die Wand geguckt. Der musste ... der hat es wirklich schwer gehabt, Freiheit zu genießen."
Wir sind vom Hof aus einen knappen Kilometer auf die Weiden gegangen, zu den 37 Rindern des "Kuh-Altersheims", wie Jan Gerdes seine Tierschutzstiftung auch gerne nennt.
"Rechts und links haben wir jetzt dieses schöne typische norddeutsche, platte Grünland."
Die Wesermarsch mit anderen Worten. Flach, platt, platter geht´s nicht.
"Ist für die Ackernutzung nicht geeignet. Also, hier wächst nur supertolles Grünland. Und die Bauern sind hier vor Hunderten von Jahren richtig reich geworden, weil sie hier Ochsen gemästet haben."
Der typische Schnack hier, in Butjadingen, geht so: Am Morgen siehst du, wer nachmittags zum Kaffeetrinken kommt. Es sei denn, ein Weser- oder Nordsee-Deich liegt dazwischen, der zwar vor Weser und Nordsee schützt, aber eben auch die Sicht versperrt.
Tierleid vermeiden
Karin Mück und Jan Gerdes, formaljuristisch "Stiftungsvorstände" von Hof Butenland - seit 2007 anerkannt als rechtsfähige Tierschutzstiftung - bei der routinemäßigen Kontrolle der Rinder. Die Kühe stehen in kleinen Gruppen, fressen, käuen wieder oder liegen einfach nur da. Ohne Terminplan. Kein Melken am Morgen oder Abend, kein späterer Termin beim Schlachter wie bei den Artgenossen auf den anderen Höfen der Nachbarschaft.
Idylle pur?! Dieser Eindruck relativiert sich allerdings, wenn Karin Mück von der Vergangenheit der Tiere erzählt. Die Tierschutzfrau geht zu Manuela, die ein paar Schritte entfernt von Ochse Fiete liegt, und zeigt eine circa 15 Zentimeter lange Narbe am Bauch des Tieres:
"Und zwar hat Manuela vier Jahre lang im Tierversuch gelebt. Mit geöffnetem Bauchraum. Also, das war dann quasi so eine Bauchöffnung, also, das muss man sich vorstellen wie so ein Waschmaschinen-Bullauge. Und dann hat man eben vorne Leistungsfutter rein. Um zu testen. Und dann untersucht man eben. Und geht mit der Hand in den Pansen und holt Pansen-Inhalt raus und untersucht, wie sie das verdaut."
Dieser Teil von Niedersachsen zwischen Wesermündung und Jadebusen ist bekannt für seine schwarzweißen Kühe, die auf weiten, knallgrünen Weiden stehen. Aber paradiesisch ist das partout nicht, aus Sicht von Jan Gerdes, der hier geboren wurde, dann den Hof vom Vater übernahm, zunächst als konventioneller Landwirt; in den 1980ern einer der ersten Bio-Bauern der Region war, um am Ende die Landwirtschaft hinter sich zu lassen.
Auf seinem rund 40 Hektar großem satten, fetten Wesermarsch-Land zwischen den Nordseebädern Burhave und Tossens gründete der Veganer mit Karin Mück zusammen die Tierschutzstiftung Hof Butenland. Das Credo, der kategorische Imperativ: "Tierleid zu vermeiden."
Ausgemolken bis zum letzten Tropfen
Karin Mück, Jan Gerdes Lebenspartnerin, war jahrelang zunächst Vegetarierin. Also, kein Fleisch essen, aber Tierprodukte wie Milch, Käse oder Eier. In der Gewissheit:
"Für mich muss ja kein Tier sterben."
Doch der Schritt zum veganen Leben, also dem Verzicht auf jegliche Art von Tierprodukten in der Nahrung, war vorprogrammiert. Karin Mück sitzt jetzt bei Kuh Frieda, die drei Kälber hatte und dann auf den Hof kam.
Karin Mück: "Ich habe es einfach nicht gewusst, dass, um Milch zu trinken, die Kälber von den Müttern getrennt werden. Wenn man aus der Stadt kommt, denn weiß man ja auch gar nicht, wie - ich höre das ja hier umliegend - wenn diese Trennung erfolgt, wie die Mütter rufen, wie die Kälber weinen. Ja, wenn es männliche sind, dann haben sie Pech gehabt, dann gehen sie ... dann werden sie geschlachtet oder sie gehen in die Mast. Ja, und wenn es weibliche sind, dann weiß man, was denen blüht, näh. Die haben eine kurze Zeit, so wie hier beim Nachbar-Bauern, das sind Mädels. Die werden demnächst künstlich besamt. Und dann ist auch ihr Leben beendet. Weil, dann sind sie schwanger, dann sind sie Milchkuh, dann sind sie wieder schwanger, dann werden sie wieder ausgemolken. Bis sie keine Leistung mehr bringen. Ungefähr im Durchschnitt werden die fünf Jahre alt, und dann gehen die ab zum Schlachter."
Jan Gerdes: "Also, man muss da mal einfach zum Vergleich sehen: Jeder Hundezüchter, der wird angegriffen ohne Ende, wenn er seine Welpen schon mit sieben Wochen seiner Mutter wegnimmt und verkauft. Und diese Kälber sind alle der Mutter sofort nach der Geburt weggenommen worden."
Karin Mück: "Das ist eben das, was die Landwirtschaft uns nicht erzählt. Näh. Dass Tiere auch Gefühle haben."
Jan Gerdes: "Sie sind ja immer auf der Suche nach der Mutterkuh. Und finden sie nicht. Und nuckeln dann an allem, was das ... Und das wird dann immer so dargestellt, die süßen Kälber, die nuckeln an den Händen. Und die Kindergartenkinder dürfen da auch mal die Hand hinhalten. Aber im Grund ist das ganz brutal. Das sind Säugetiere, die wollen die Mutterbrust, das Euter. Und da die Milch trinken. Und das geht alles nicht. Und das ist mir eigentlich jetzt alles im Laufe der letzten Jahre erst klar geworden, was für eine Brutalität herrscht in der Landwirtschaft. Traditionell."
Mit dem Leben davongekommen
Die Tiere hier haben teilweise einen langen Leidensweg hinter sich. Fiete, wie gesagt, stammt aus dem Horror-Stall aus der Nähe von Bremen, zwei Kühe kommen aus Bayern, zwei inzwischen verstorbene aus Thüringen. Und Ex-Milchkuh Uschi ist aus Nordrhein-Westfalen. Elsa allerdings, die uns etwas verunsichert aus einiger Entfernung anstaunt ...
"Die Kleine, die ist uns vor einer Woche zugelaufen."
Der Weg dieser knapp anderthalbjährigen Kuh zum Hof Butenland ...
"Sie stand Mitte, Ende letzter Woche mitten mal hier auf unseren Wiesen."
Es war ein kleiner Schritt für Elsa - durch den Wassergraben.
"Da war der Zaun nicht in Ordnung."
Rüber von der Weide des Nachbarbauern, wo rund 20 Jungrinder stehen. Jetzt eine weniger.
Jan Gerdes: "Sie war jedenfalls mal bei uns. "
Karin Mück: "Und denn haben wir den Bauern gefragt. Die ist noch sehr scheu. Der weiß das aber mittlerweile auch."
Nachbar Henning Hedden verkaufte Hof Butenland Elsa für rund 800 Euro. Ich weiß, man spricht nicht über Geld. Nun wird sie nie Kälber bekommen und auch keine Milch geben müssen. Was ist dieser Gnadenhof, Kuhaltersheim, diese Tierschutzstiftung? Ein Mahnmal für sie. Sagt Karin Mück, ehemalige Krankenschwestern und Tierschützerin:
"Wenn man sich die anguckt, wie kaputt die sind. Gelenkerkrankungen, alte Frakturen, ausgerutscht auf dem Spaltenboden, verdrehtes Becken. Die Rinder zeigen hier ganz deutlich: So, das sind die Folgen der Tierhaltung."
Hennig Hedden, dem Jungkuh Elsa noch bis vor ein paar Tagen, bis vor ihrem entscheidenden Sprung über den Wesermarsch-Graben, gehörte, wohnt hat schräg gegenüber von Hof Butenland, ebenfalls nahe der Landstraße, die hoch zur Nordsee führt. Der 54-Jährige hat einen konventionellen Betrieb mit 70 Milchkühen. Hofgröße 65 Hektar. Inzwischen eigentlich unter Durchschnitt, sagt Henning Hedden. Ja, er wolle gerne mit dem Reporter reden, er hätte kein Problem, zu erzählen, wie er mit diesen Nachbarn klarkomme, die eben Tierschützer, Veganer, ja keine "normalen" Bauern mehr sind. Also Elsa, das Jungrind, das durch den Graben ging.
"Ja, das passiert immer mal wieder. Und denn haben, Jan und Karin haben immer wieder Schwierigkeiten, so ein Tier wieder zurückzugeben. Und jetzt habe ich ihnen jetzt auch erst wieder eines verkauft. Und denn der guten Nachbarschaft wegen, denke ich, mach da mal keinen Zirkus. Lass denen das. Und die haben das ja auch gut bezahlt. Und denn ist die Sache erledigt."
Anzeige wegen Tierquälerei zerstört gute Nachbarschaft
Handschlag. Überweisung. Alles gut. Manchmal, sagt Bauer Hedden, gut, seine Sache sei das nicht mit dem Veganen, aber manchmal finde er es doch interessant, wenn er hier ist. Zum Beispiel an dem Tag, an dem Jan Gerdes Elsa kaufte.
"Und denn sind noch wir über Land gegangen. Und denn haben wir zum Beispiel ein Tier gesehen, das war jahrelang in einer Versuchsanstalt."
Henning Hedden redet von Manuela, der Kuh, die Karin Mück auf der Weide gezeigt und deren Geschichte sie erzählt hat. Die mit der 15 Zentimeter langen Narbe am Bauch.
"Und diese Kuh hat ja natürlich quasi gelitten für die Forschung. Hat es überlebt. Aber dass die jetzt hier so einen Altenteil kriegt, ich meine, das finde ich schon richtig gut. Muss ich sagen. Also, nicht, die hat was für die Allgemeinheit geleistet und kriegt jetzt ihr Gnadenbrot. Das ist nur fair!"
Apropos! Und was wäre mit Elsa geworden, wenn die Kuh auf dem Milchbetrieb Hedden geblieben wäre - Konjunktiv?
"Die hätte ich jetzt im Herbst wahrscheinlich, wenn die auf den Stall kommt, wäre die besamt worden. Neun Monate später hätte die ihr erstes Kalb bekommen. Dann hätte ich sie gemolken. Solange, wie es eben funktioniert. Ne Kuh hat immer leicht mal irgendwelche Macken, und dann hat es keinen Zweck mehr. Es gibt gewissen Anforderungen, die die Milch erfüllen muss. Also, die Kuh selber muss halt funktionieren. Muss gesund bleiben. Füße kann ein Problem sein. Oder sie wird nicht wieder tragend. Was weiß ich, was passieren kann. Die würde irgendwann auch zum Schlachter gehen. Das ist der normale Lebenslauf."
Ansonsten kommt Hennig Hedden, der hier geboren ist, mit Jan, den er schon sein Leben lang als Nachbar kennt, gut aus. Gut, nochmal, sagt er, das mit dem Veganen und Tierschutz, alles okay, nur: Zwei Prozent Veganer können nicht 98 Prozent erzählen, wie die zu essen haben. Und, bzw. aber, meint der Landwirt:
"Genauso wenig können die beiden jetzt den anderen Landwirten erzählen, wie sie es machen müssen."
Klar, fügt er noch hinzu, wenn wie geschehen, die Hof-Butenlander einen Nachbarn wegen Tierquälerei anzeigen, dann ist natürlich das Verhältnis auf Dauer zerstört. Aber insgesamt läuft es mit Jan Gerdes und Karin Mück und den anderen ganz gut. Außerdem komme Jan ja auch von hier.
"Und ich glaube auch mittlerweile gibt es aber auch einen ganzen Haufen, die staunen, was draus geworden ist. Staunen da drüber, näh, wie viel Geld da rein fließt in diese Stiftungen. Es gibt so eine politische Richtung und ja auch öffentliche Richtung, die sich ja auch ändert. Aber dass das irgendwo ein Ende hat, dass das Tier komplett verarbeitet wird, also halte ich für im Grunde genommen normal."
Der idyllische Bauernhof-Schein trügt
Zurück auf Hof Butenland. Unterlegt mit nahezu respektlosem Gänsegeschrei redete Jan Gerdes mit Michelle über ein paar anliegende Arbeiten. Wobei die Pferdebetreuerin des Hofes mit ihrem Vorschlaghammer gerade einen als Kratzbaum zweckentfremdeten Zaunpfahl kurieren muss.
"Der Cello, der ein bisschen Sommerekzem hat, der hat sich hier an dem Zaun, dem Holzzaun so ein bisschen geschuppert. Und jetzt ist der Pfeiler ein bisschen schief. Und jetzt will ich den jetzt eben ein bisschen wieder gerade machen. Weil er sich mit seinen 600 Kilo dagegen gestemmt hat."
Ähnliche Geräusche kommen von den Zimmermännern, die gerade den neuen Anbau an den Kuhstall bauen. Die Einnahmen der Stiftung - 2011 gingen etwas über 100.000 Euro ein; 2013 über 200.000 Euro - kommen aus vielen Quellen wie Spenden und Patenschaften; ein Großteil erwirtschaftet Hof Butenland aber durch den Kalender- bzw. Buchverkauf oder durch die Vermietung der Ferienwohnungen. Inzwischen haben sich diese Geldflüsse einigermaßen konsolidiert.
Einige vegane Restaurants, eines beispielsweise weit weg von der Wesermarsch, in Stuttgart, lassen pro Gericht einen Euro Spende der Tierschutzstiftung zukommen. Es läuft finanziell zurzeit ziemlich gut. Und so hat Jan Gerdes an die 40.000 Euro gleich in den neuen Offen-Stall investiert. Der inzwischen 60-Jährige ehemalige konventionelle Landwirt, ehemalige Demeter-Bio-Bauer und jetzt Chef des "Kuhaltersheims", er ist bass erstaunt, was die Zimmerleute jetzt, kurz nach Mittag, schon weggeschafft haben.
"Ja, ich war ganz platt. Ich sach, wir können ja schon bald Richtfest feiern. Hab ich doch vorhin gesagt, heute Abend feiern wir Richtfest."
Das alte Hofgebäude ist eines dieser traditionellen ostfriesischen Gulfhäuser, bei denen vorne Stall, Futterhaus und Scheune sind und hinten das riesige Wohnhaus. Jetzt, die Kühe sind auf der Weide, wird der Hof fast verwaist.
"Nur die Hühner, die picken jetzt hier noch ein paar nette Samen, die sie finden."
Tiere entscheiden, wo sie schlafen
Auch das alte, nun entkernte Stallgebäude, wo die Kühe früher den ganzen Winter über angebunden standen, ist leer. Allerdings nur fast, wie sich zeigen wird.
"Jetzt ist aber im Moment tatsächlich sehr ruhig. Normalerweise sind hier noch ein paar mehr Hühner, Enten und Gänse. Die haben sich wahrscheinlich jetzt gerade irgendwo verkrochen, weil der Himmel gerade so dunkel wird. Und es vielleicht doch gleich regnet."
Die Kühe auf Hof Butenland kommen an so einem schönen Sommertag gegen Abend in den Stall. Oder auch nicht. Es ist ihre freie Entscheidung.
"Und wenn sie wollen, können sie auch nach draußen gehen. Also, sie haben alle Freiheiten der Welt. So weit, wie es geht. Können hier draußen Heu fressen. Hier sind Heuraufen. Können sich dann wieder ins Stroh legen. Zum Ruhen, zum Wiederkäuen."
Was dann, nur zur Erinnerung - unglaubliches Geräusch! - sich ja so anhört.
Zurzeit, wie gesagt, aber ist der Stall leer, wenn man so durchguckt, obwohl, das stimmt nicht ganz:
"Im Moment freuen sich hier gerade noch ein paar Schwalben. Wie man hört, haben da oben noch ein Nest."
Und dann vergnügt sich hier unüberhörbar noch das laut krakeelende Huhn. Direkt daneben läuft gerade Rosa-Mariechen, das große Schwein, herum. Doch wie schon auf der Kuhweide gerade gehört, ist das hier alles nur auf den ersten Blick das idyllische, das nachgerade paradiesische Landleben. Rosa-Mariechen Lebensbeginn beispielsweise war alles andere als rosig, ihre Geschichte erzählt auch von den dunklen Seiten industrieller Massentierhaltung.
"Dieses Schwein ist von einem Hof zwischen Berlin und Polen. Da war ein Schweinezüchter, Schweinehalter, der hatte seine Tiere so was von schlecht behandelt, dass das dortige Tierveterinäramt ihm ein Tierhaltungsverbot auferlegt hat. Und dieses kleine, damalige Ferkel, Rosa, wir haben sie dann Rosa-Mariechen getauft, lag in der Ecke, schon von Ratten angefressen, lebte aber noch. Und dann haben die sofort dieses Ferkel mitgenommen, und dann musste sie ja einen ordentlichen Platz finden. Und so kam Rosa-Mariechen als sechs Wochen altes Ferkel zu uns."
Bio ist nicht gleich Bio-Tierhaltung
Hof Butenland hat in diesem Sommer 2014 37 Kühe, fünf Pferde, fünf Schweine, zwölf Enten, zehn Gänse.
"Aus meiner Sicht dürfen wir Tiere überhaupt nicht nutzen. Ich gehe auch jetzt mittlerweile soweit, dass wir auch keine Hunde halten sollten in unseren Wohnungen. Und keine Katzen."
Es ist nicht so, dass die Tiere Jan Gerdes und Karin Mück auf dem Kopf rumtanzen, aber die Hühner manchmal auf dem Tisch.
"Ja, aber nur die verrückten Hühner."
Drinnen, nun ist aber auch mal Zeit für einen Kaffee, ist ein zweibeiniger, gefiederter Mitbewohner von draußen hereingekommen:
"Das hier ist die Merle, die pickt gerade Lupinenschrot."
Eine Tierschützerin hatte die vollkommen federlose Merle kurz vor der Schlachtung aus einem Bio-Freiland-Betrieb gerettet. Ach, Bio! Das Wort, das Label, die Kategorie. Ein heikles Thema, auf Hof Butenland, der Tierschutzstiftung. Der ehemalige Bio-Bauer Jan Gerdes blickt zurück. Im Zorn.
Die Entwicklung der Bio-Branche seit den idealistischen 80er-Jahren, als Gerdes und seine ersten landwirtschaftlichen Kampfgefährten über eine bessere gesündere Nahrung die Welt verändern wollten, diese Entwicklung ging immer mehr ins Betriebswirtschaftliche, diagnostiziert Jan Gerdes. Der Veganer schüttelt den Kopf. Er meint nicht den Bio-Anbau von Gemüse, Getreide oder Obst. Karin Mück und ihm geht es um die Bio-Tierhaltung.
"Kamen immer mehr Bauern dazu, denen war das Bio, in Anführungsstrichen, scheißegal. Sie wollten nur mehr Geld verdienen. Und ich habe oft erlebt, Tiere auf einem Bio-Betrieb schlechter gehalten und behandelt wurden als auf konventionellen Betrieben. Leider sehr oft habe ich das erleben müssen. Ich muss es leider sagen, weil ich mindestens einmal am Tag in Diskussionen höre, ja, wir essen ja gar kein Fleisch mehr oder nur noch ganz wenig. Und wenn wir denn mal was essen, dann ist es doch Biofleisch. Das ist doch in Ordnung, oder? Und denn kann ich nur sagen: Leider ist es nicht in Ordnung."
"Von der Tierhaltung und von den Bedingungen zu leben ändert sich bei Bio wenig. Okay, sie haben ein paar Quadratmeter mehr Platz, sie kriegen vielleicht nicht vorbeugend Antibiotika ins Futter, aber man nimmt den Kühen auch gleich nach der Geburt die Kälber weg, um viel Milch zu verkaufen und zu produzieren. Und wenn betriebswirtschaftlich es nicht mehr stimmt, die Milchleistung der Kuh nicht mehr ausreicht, wird sie auch geschlachtet."
Ein lachendes und ein weinendes Auge
Früher Nachmittag. Nachbar Henning Hedden, Ex-Besitzer der ausgebüchsten Jungkuh Elsa, ist vorbeigekommen. Jetzt ist aber auch mal Zeit für einen Kaffee, wie gesagt.
"Henning, jetzt ist dein Kaffee aber kalt geworden, soll ich dir deinen heiß machen.
"Henning Hedden: Nee."
"Oder trinkst du jetzt auch einen Schluck lauwarmen."
Es ist ja fast alles anders, hier auf Hof Butenland, im Vergleich zu den Höfen in der Nachbarschaft. Aber ein paar Sachen verändern sich eben nie in der Wesermarsch, ob einer Veganer oder Fleischesser ist. Wenn nämlich einer kommt - wie gesagt, das Land ist so platt, dass man schon Stunden vorher sieht, wenn der Besucher sich auf den Weg macht, was, mit Verlaub, im Fall von Hennig Hedden natürlich Blödsinn ist, denn der hat nur ein paar Minuten Weg, weil er ja direkt gegenüber seinen Hof hat -, also, wenn der Nachbar kommt, gibt´s Kaffee.
Man schnackt, Terminus technicus der Region, man schnackt und schnackt. Und da gilt es als Pflicht und als Kür, sich gegenseitig, wie man hier zu sagen pflegt, auch immer ein bisschen "auf die Schippe zu nehmen". Henning Hedden trauert also augenzwinkernd melodramatisch seiner Ex-Kuh Elsa hinterher. Die, die über den Graben ging. Das mit "auf die Schippe nehmen", das hört sich dann so an: Elsa, der Flüchtling, ist ja noch ganz dünn, meint Karin Mück, die vegane Tierschützerin. Nee, nicht dünn, meint Henning Hedden, der konventionelle Milchbauer, und dreht sich eine Zigarette.
Henning Hedden: "Ja, die ist jung. Dünn ist übertrieben. Aber sie hat noch so ein bisschen, so ein bisschen Sehnsucht nach zu Hause. Also, hab ich gestern noch gesehen. Sie steht dann immer am Zaun und guckt rüber zu ihren Genossen. "
Jan Gerdes: "Ja, das interpretierst du so. Ich würde jetzt sagen, sie sagt zu den anderen, kommt doch auch rüber. Alle zusammen hier. [Henning Hedden lacht im Hintergrund.] Ich hab´s geschafft, ihr schafft das auch. Kommt mit. - Also, du meinst, sie hat schon ... so ein Bewusstseinswechsel ist schon eingeleitet. - Ja, das liegt wohl irgendwo dazwischen. [Henning Hedden kichert.] "
Karin Mück: "Irgendwie, Henning, hat sich das ja rumgesprochen, das ist ja die Zweite."
Henning Hedden: "Aber, ich habe gestern beim Nachbarn noch so gesprochen, ich hätte lieber die Junge behalten und hätte Euch eine Alte hergebracht. Das wäre vernünftiger gewesen. "
Jan Gerdes: "Ja, wir müssen mal gucken, wie groß der neue Stall wird, dann könnte man da auch noch drüber reden."
Das Leben ist ernst; schwer genug. Demgegenüber ist es angemessener Sport, den anderen breit grinsend, wie gesagt, "auf die Schippe" zu nehmen. Wenn das noch geht, dann geht es ja noch irgendwie.