Das unnötige Leiden quer durch Europa
Parmaschinken von deutschen Schweinen? Über 200 Millionen Nutztiere werden jährlich lebend durch Europa gekarrt. Ferntransporte mit schlechter Versorgung gibt es nach wie vor. Aber viele Tiere sterben gerade auf kurzen Strecken – auch hierzulande.
Wenn der Chef durch den Stall geht, kommt Leben in die Bude. Eben noch dösten die Ferkel träge in den Ecken ihrer Schweinebuchten - jetzt ein paar Klapse, und schon springen sie auf:
Rosige Leiber, wippende Ohren - die gesamte Rotte gerät nun in Bewegung. Das Gewimmel und Gewusel ist für Viehhändler Markus Krümpel ein gewohntes Bild. Die Ferkel stammen aus Nord- und Westdeutschland, aus Mecklenburg und dem Raum Lübeck, aus Westfalen und dem Emsland, erklärt er:
"Heute Morgen sind sie angeliefert worden. Die waren bis 9 Uhr alle hier. Da haben sie noch Zeit hier, um jetzt noch mal Wasser aufzunehmen, Futter aufzunehmen. Danach findet noch unter Umständen - je nach Kundenwunsch - noch eine Selektion statt. Und dann werden die Tiere verladen."
Weiterreise noch am Tag der Anlieferung
Markus Krümpel handelt mit Schweinen und Rindern. Der Viehhändler betreibt eine Sammelstation für Nutztiere in Wettringen, westlich von Münster, unweit der niederländischen Grenze. Noch heute geht die Reise der 650 Ferkel aus Nord- und Westdeutschland weiter nach Italien, in die Nähe von Parma.
Vorher schaut sich Tierarzt Christoph Brundiers die Ferkel noch einmal genauer an. Das ist Pflicht für den Amtsveterinär des Kreises Steinfurt. Jeder Ferntransport muss von seiner Behörde vor Abfahrt kontrolliert werden:
"Hier ist es halt wichtig, dass die Herkünfte zusammenbleiben. Dass es keine Beißereien gibt, dass die Schweine nicht völlig neu gemischt und sortiert werden. Das spielt auch nachher beim Transport eine große Rolle. Die Tiere sind dann doch verträglicher, als wenn es viele verschiedene Herkünfte sind, die also dann immer wieder zu neuen Gruppen zusammengestellt werden."
Zuvor hatte der Amtsveterinär Papiere und Routenplanung geprüft. Jetzt schaut er sich die Ferkel genauer an. Haben sie korrekte Ohrmarken? Sind sie mobil und springen auf? Oder bleiben einige fiebrig in der Ecke liegen? Können sie sich beschwerdefrei bewegen? Oder zieht ein Ferkel ein Bein nach und ist somit nicht transportfähig? Und - auch wichtig: Werden die Schweine beim Treiben und beim Verladen schonend behandelt, verstehen also die Treiber ihr Handwerk?
"Das ist eigentlich auch eine wesentliche Sache der Tierschutz-Transportverordnung, dass also Sachkunde bei dem Personal, das Tiere transportiert, eingefordert wird. Dass man also hier mit vernünftigem Personal zu tun hat. Da hatten wir in der Vergangenheit arge Probleme. Dass Aushilfsfahrer oder Leute, die den Umgang mit Tieren nicht gewohnt waren, dann für Transporte eingesetzt wurden - das ist jetzt so nicht mehr möglich", sagt Christoph Brundiers.
Nächstes Ziel: Grumello in Norditalien
Bis jetzt ist der Amtsveterinär zufrieden. Alles läuft professionell und reibungslos ab. Am frühen Nachmittag soll es losgehen: Über 1200 Kilometer führt der Weg des Ferkeltransporters nach Grumello bei Vicenza in Norditalien. 20 Stunden dürfte die Fahrt dauern - doch das ist beileibe nicht der längste Trip für Nutztiere in Europa.
Mehr als 200 Millionen Tiere werden jedes Jahr lebend quer durch Europa gekarrt. Pferde, Schafe und Schweine. Mastbullen und Ochsen. Aber auch trächtige Färsen wenige Wochen vor dem Abkalben und nicht entwöhnte Kälber, wenige Wochen nach ihrer Geburt.
3000 Kilometer lang ist allein die Ostroute, die von Litauen nach Italien führt, über Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Slowenien. Schafe und Rinder gehen vor allem nach Nordafrika und in den Nahen Osten.
Sogar Zentralasien ist mittlerweile das Ziel von Tiertransporten aus der Europäischen Union, sagt Michael Marahrens vom Friedrich-Löffler-Institut für Tierschutz und Tierhaltung in Celle:
"Faktisch: Wir exportieren Rinder nach Usbekistan über Tage, Wochen, nach Kasachstan. Asien ist ein neuer Markt für Lebendtiertransporte, hauptsächlich Rinder. Das sind weite Wege; und es sind gerade mal Verhandlungen aufgenommen worden, ob und wo die Tiere zum Beispiel in Russland überhaupt ausgeladen werden können, um sie auszuruhen, nach den Bedingungen der EU-Verordnung."
Der Tierarzt und Agrar-Ingenieur Michael Marahrens leitet den Arbeitsbereich "Transport und Schlachtung" am Friedrich-Löffler-Institut, das dem Bundeslandwirtschaftsministerium zugeordnet ist.
Branche schafft Fakten – ohne angemessene Infrastruktur
Der Experte bewertet solche Ferntransporte vor allem dann kritisch, wenn die Voraussetzungen fehlen. Die Branche habe bereits Fakten geschaffen und exportiere zum Beispiel trächtige Färsen nach Asien - ohne dass eine angemessene Infrastruktur auf dem weiten Weg dorthin existiert. Im Grunde müssten für die Tiere zahlreiche Versorgungsstationen bereitstehen - wie an einer Perlenkette aufgereiht. Doch das befinde sich erst im Aufbau, kritisiert der Tierarzt.
Gerade trächtige Rinder haben nur geringe Energiereserven. Sie dürfen während ihrer Trächtigkeit auch nicht allzu üppig gefüttert werden, weil sie sonst nach dem Abkalben das berüchtigte Milchfieber entwickeln.
"Und aus diesem Grund werden Zuchtfärsen per se restriktiv gefüttert, insbesondere in späten Stadien der Trächtigkeit. Und mit diesem physiologisch angelegten Energiedefizit gehen die in diese langen Transporte! Und die Transportorganisation müsste diesen Aspekt mit einbeziehen, in die Planung: Das heißt, diese Tiere müssen dringend, auch während des Transportes, mit relativ leicht umsetzbarer Energie aus dem Raufutter - damit der Pansenstoffwechsel nicht außer Rand und Band gerät - versorgt werden. Zum Beispiel Trockenrüben, Luzerne-Heu oder was auch immer; das sind Raufuttermittel mit hoher Energiedichte", erklärt Michael Marahrens.
Stroh und Heu allein reichen nicht, um die Tiere während längerer Transporte angemessen zu versorgen. Der Futtermittelmarkt bietet zum Beispiel Luzerne-Pellets an - ein hochwertiges, eiweißreiches Futter, aber nicht gerade billig im Einkauf.
Wer auf eine tiergerechte Versorgung jedoch verzichtet, riskiert Abgänge während der langen Reise - vor allem bei trächtigen Färsen, vier Wochen vor ihrer ersten Abkalbung:
"Man kann eigentlich annehmen, dass Zuchtrinder während langer Transporte generell ins Energiedefizit und damit in eine katabole Stoffwechsellage geraten; das bedeutet, auf die körpereigenen Reserven, die auch schwach ausgeprägt sind, zurückgreifen müssen, und dieser Umstand führt zur vermehrten Verwertung von Fettsäuren, die wiederum nicht bis zum Ende abgebaut werden können, um in den Energiestoffwechsel eingeschleust zu werden, sondern Ketonkörper ausgebildet werden. Und die vermehrte Ausbildung von Ketonkörpern im Kreislauf führt zu sogenannten Ketosen, die zum Festliegen der Rinder führen kann, bis hin zu komatösen Zuständen", so Michael Marahrens.
LKW-Dauerstau an der Außengrenze der EU
Schier endlos windet sich die LKW-Kolonne auf zwei Spuren voran – Stop-and-go unter wolkenlosem Himmel. Aufgeheizte Luft flimmert über schiefergrauem Asphalt. Gesäumt von trockenen Gräsern und niedrigen Sträuchern rollen unzählige Tiertransporter durch die brütende Hitze, jeder Sattelauflieger ist vier Stockwerke hoch, ihre metallisch-grauen Gitterwände blitzen und blinken im gleißenden Sonnenlicht.
Alltäglicher Dauerstau an der Außengrenze der Europäischen Union, am Grenzübergang von Kapitan Andreewo in Bulgarien, rüber nach Kapıkule in der Türkei. Iris Baumgärtner hat viele Beobachtungen per Video dokumentiert:
"Das ist noch die bulgarische Seite, und hier sieht man oft kilometerlange Staus; und es ist leider so, dass auch die Transporter mit den Tieren oft in diesem Stau stehen; eine Stunde, manchmal sogar bis zu zwei Stunden; auch im Sommer bei glühender Hitze. Es gibt zwar hier eine 'Priority Lane' für die Tiertransporte, aber die ist meistens blockiert."
Iris Baumgärtner arbeitet für den Tierschutzbund Zürich und die Animals Welfare Foundation. Ihre Einsätze führen sie wiederholt an diesen "Hot Spot" des internationalen Tierhandels an der bulgarisch-türkischen Grenze - in diesem Fall begleitet von einem dänischen EU-Parlamentarier und einem deutschen Amtstierarzt aus Baden-Württemberg. Beide wollten sich selbst ein Bild vor Ort machen.
Dokumente der schlimmen Zustände im Anhänger
In einer Sequenz ist ein digitales Thermometer zu sehen, das durch eine Aussparung in den Anhänger gehalten wird, sagt Iris Baumgärtner:
"Man sieht: Die Temperaturen sind bei 37 Grad. Da dürfte eigentlich gar kein Transport mehr stattfinden, wenn die Temperaturen im Innenraum so hoch sind."
Dann der Blick in trichterförmige Gebilde im Anhänger - das sollen die Tränken sein:
"Die sind verkotet, da ist Stroh drin oder das Wasser sieht aus wie Gülle. Also das heißt: Die sind nicht gesäubert worden während des Transportes oder eben ein einigen Fällen, wenn es komplett trocken ist und es ist Stroh drin, dann sieht man eben, dass das nicht benutzt wurde."
Iris Baumgärtner beteuert: Solche und ähnliche Bilder sind keine Ausnahme, sondern jedes Mal dort anzutreffen, wenn sie vor Ort ist. Allerdings beobachtet sie auch Fahrpersonal mit einem - wie sie es ausdrückt - stark ausgeprägten Berufsethos:
"Vor allem die deutschen Transporteure, die in die Türkei fahren, die haben immer Tränkebecken dabei und die tränken die Tiere immer einzeln und manuell durch, weil die eben auch wissen: Nur dieses Tränkesystem alleine - das ist nicht ausreichend, gerade bei den Temperaturen."
Iris Baumgärtner macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Sie lehnt diese Ferntransporte grundsätzlich ab. Gleichwohl will sie nicht alle Vertreter der Branche über einen Kamm scheren, weil das ein Zerrbild der Wirklichkeit wäre:
"Wir sehen das an der türkischen Grenze, dass gerade die deutschen Transporteure viel schneller durch die Grenze fahren, weil die Papiere stimmen. Und dass die Fahrer dann auch - wenn sie stehen, tatsächlich die Tiere versorgen. Die kaufen sofort Heu, die holen Wasser; und erst werden die Tiere versorgt, und dann die Fahrer."
Manche liegende Tiere kommen nicht mehr hoch
Leider kein Standard, bedauert sie. Schlecht oder gar nicht versorgten Tieren sieht man das sofort an beim Blick in den Anhänger. Einige liegen schon auf dem Boden und kommen nicht mehr hoch:
"Das ist auch das Problem: Gerade wenn die Transporter zu eng beladen sind, wenn Tiere mal liegen, dann passiert es sehr schnell, dass die anderen auf ihnen herumtrampeln wie hier. Weil sie einfach nicht wissen, wo sie sich hinstellen sollen. Und dann war es das. Dann kommen die in vielen Fällen auch nicht mehr hoch. Wir nennen die 'Downer'. Es sind Tiere, die festliegen und die wahrscheinlich während des Transportes sterben."
Exitus im Niemandsland - irgendwo zwischen Kapitan Andreewo und Kapıkule. Michael Marahrens vom staatlichen Friedrich-Löffler-Institut kennt diese Probleme aus eigener Erfahrung. Die augenscheinlich bevorzugte Abfertigung von Tiertransportern auf einer eigens dafür eingerichteten Fahrspur bringt nicht viel, wenn auf türkischer Seite abends um sechs die Schalter schließen:
"Die Transportplanung muss auf diese Zusammenhänge Rücksicht nehmen und Öffnungszeiten auf türkischer Seite mit einbeziehen. Wobei durch die EU-Kommission selber schon festgestellt, durch das Veterinäramt in Grange, dass die Mindestwartezeit an diesem Grenzübergang sechs Stunden beträgt. Wenn ein Transport die Grenze in Kapitan Andreewo später als 12 Uhr mittags erreicht, bei einer Schlusszeit auf türkischer Seite ab 18 Uhr, darf der im Grunde genommen auf EU-Seite gar nicht mehr durchgelassen werden, sondern er müsste zurückgeschickt werden in eine Versorgungsstelle oder eine Kontrollstelle, wo die Tiere abgeladen werden, damit sie dort ihre Wartezeit verbringen können, bis die türkische Seite wieder aufmacht. Das sind Zusammenhänge, die sind im Grunde genommen nicht in den Griff zu kriegen.
Wie ist die Lage innerhalb der EU?
Tierexporte in ein Drittland außerhalb der Europäischen Union geraten zu einem schwer kalkulierbaren Risiko. Vor allem für die Tiere selbst. Die Frage ist, wie es innerhalb der Union aussieht. Oder auch im Binnenland. Bei Schweinen zum Beispiel.
An der Sammelstation im münsterländischen Wettringen werden die Ferkel in Gruppen von zwölf bis 15 Tieren aus dem Stall getrieben, hinaus zum LKW, der an die Rampe gefahren ist. Dem Amtstierarzt Christoph Brundiers fallen zwei Ferkel auf, die getrennt von den anderen in einer kleinen Box stehen. "Was ist mit diesen beiden hier?", fragt er. "Die sind rausgeflogen, keine Ahnung", antwortet Markus Krümpel. "Die bleiben hier", bestimmt Christoph Brundiers.
Eines der Ferkel hat eine dicke Beule unter dem Bauch. Bei dem anderen sind die Hinterbeine blutverschmiert. Der Amtsveterinär schüttelt den Kopf:
"Die sind nicht transportfähig, gehen so auf den Transport nicht mit. Das eine hat einen Bruch und das andere hat - das ist wahrscheinlich eine Kastrationswunde, die aufgerissen ist oder der Mastdarm ist rausgepresst und angefressen. Also, diese Tiere bleiben hier, sind so nicht transportfähig. Der wird dann gleich von anderen Tieren benagt. Also, die werden hier direkt zum Schlachten gehen."
Für die beiden Aussortierten ist der Gang zur Schlachtbank kürzer als die Reise nach Italien. Kurzer Weg also. Deswegen auch weniger Transportstress? Nicht unbedingt. Die wenigsten Tiere kommen nämlich auf Ferntransporten um.
Große Probleme bei kurzen Transporten
Praxiserfahrungen zeigen, dass die Probleme eher auf kürzeren Wegen auftreten, die nicht so akribisch überprüft werden wie der Ferkeltransport nach Norditalien, erläutert Christoph Brundiers:
"Ganz großes Problem ist natürlich die Überbelegung der Fahrzeuge, aufgrund der geringen Entfernungen, vielleicht auch aufgrund der geringen Kontrolldichte wird natürlich das Maximum ausgenutzt; es ist sogar schon vorgekommen, dass also LKWs mit defekten Ladeklappen gefahren sind, dass also beim Brems- und Anfahrvorgang ein Schwein von der Ladefläche gefallen ist. Das sind also alles Sachen, die im nationalen Bereich vorkommen, die also bei internationalen Transporten - für uns ersichtlich - noch nicht aufgetreten sind."
Mehr als 100.000 Schweine dürften jedes Jahr allein in Deutschland bei Transporten sterben oder werden so schwer verletzt, dass sie eingeschläfert werden müssen. Die meisten Tiere werden dabei nicht über große Entfernungen transportiert, sondern von Hof zu Hof oder vom Stall zur Schlachtbank.
So etwas kann sich Markus Krümpel nicht leisten. Der Viehhändler und Stationsleiter in Wettringen muss Qualität liefern, weil seine Abnehmer in Italien später dem Handel ein hochpreisiges Premiumprodukt anbieten, den wertvollen, weil weltweit geschätzten Parmaschinken:
"Diese Tiere gehen jetzt nach Italien und werden da gemästet. Allerdings zur Schwermast. In Deutschland werden unsere Tiere lediglich 115 bis 120 Kilo schwer, in Italien werden die 170 bis 180 Kilo schwer; und die haben dann einen ganz anderen Markt und machen von vornherein eine ganz andere Rentabilitätsberechnung und von daher passt dieses Schwein da hin und wir verkaufen es da hin."
Die Ferkel sind keine Mastschweine im klassischen Sinne, die bei uns Schinken, Kotelett und Schnitzel liefern sollen, sondern es sind die Brüder der Zuchtsauen aus spezialisierten Vermehrungsbetrieben. Diese Schweine werden in Deutschland in der Regel nicht gemästet, weil sie einfach nicht genug mageres Fleisch in möglichst kurzer Zeit auf die Rippen packen, erklärt Markus Krümpel:
"Der Fettanteil ist höher und die Mastleistungen sind auch nicht so gut. Die Tiere brauchen mehr Futter, um heranzuwachsen und von daher sind die für deutsche Verhältnisse unrentabel."
Dänische Ferkel für das Geschäft mit dem Parmaschinken
Noch vor 30 Jahren sind in der Woche drei, vier LKWs mit solchen Ferkeln von Wettringen aus nach Italien gefahren. Inzwischen kommt das nur noch sehr selten vor. Markus Krümpel verkauft jetzt Rinder und Schweine vor allem nach Holland, Belgien und Nordfrankreich - relativ kurze Wege also. Das Geschäft mit dem Parmaschinken machen inzwischen vor allem Ferkel-Lieferanten aus Dänemark.
Die Tiere, die gleich den Hof der Sammelstation im Münsterland verlassen, werden auf ihrer 20-Stunden-Tour jederzeit Wasser aus kleinen Nippeltränken saugen können.
Zu Fressen bekommen die Tiere auf einer solchen "20-Stunden-Kurzstrecke" nichts, erklärt Professor Jörg Hartung von der Tierärztlichen Hochschule Hannover:
"Nach den gesetzlichen Rahmenbedingungen muss auf jeden Fall auf solch einer Reise bis zu 24 Stunden Wasser angeboten werden. Futter bietet man den Schweinen deshalb nicht an, weil sie unter den Transportbedingungen sehr leicht dazu neigen, sich zu übergeben. Und deshalb ist es für die Tiere auch besser, auch für die Hygiene auf den Wagen dann besser, dass die Tiere möglichst nüchtern für diese Zeit bleiben."
Jörg Hartung hat lange Jahre das Institut für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztierethologie an der TiHO geleitet und Doktorarbeiten betreut, die sich mit Tiertransporten befassten.
Auswirkungen auf die Schweine werden erforscht
Die Hannoveraner Forscher haben Rinder und Schweine auf ihren weiten Wegen begleitet, die Schweine dabei unter anderem bis nach Ungarn. Die Tierärzte hatten zum Beispiel Blutproben genommen und die Herzfrequenzen gemessen. Die Schweine reagierten unterschiedlich auf die ungewohnte Situation auf dem Transporter. Einige beruhigten sich sehr schnell und schliefen sogar ein, so Jörg Hartung:
"Wir haben die Herzfrequenzen gemessen bei solchen Tieren, und Sie finden bei einigen bereits nach einer halben Stunde eine deutlich auf die Normalität zugehende Herzfrequenz wieder. Die Herzfrequenzen bleiben über die Transportdauer immer leicht erhöht, aber nicht außerhalb des physiologischen Bereiches. Also, man kann nicht sagen, dass die Tiere nun dadurch krank würden oder so. Aber es gibt auch andere Individuen, die sehr schroff reagieren, die sehr aufgeregt sind, die mehrere Stunden brauchen, um sich mit der Situation abzufinden. Und für die stellt natürlich solch ein Transport dann auch eine erhöhte Belastung dar.
Wichtig ist es auch, die Buchten auf einem LKW so zu beladen, dass jedes Tier während der Fahrt genug Platz hat, um sich abzulegen.
"Wenn sie so in der Lage sind, nebeneinander zu liegen - und das tun Schweine ganz gerne, besonders, wenn sie ihr Gleichgesicht sehen - das beruhigt enorm. Im übrigen auch auf Schlachthöfen haben wir das gesehen, wenn wir dort Spiegel anbringen und vereinzelte Schweine im Spiegel ihr Ebenbild sehen, sinkt sofort die Herzfrequenz wieder ab, weil sie denken, sie sehen ein Individuum. Also, hier auf dem Transport ist das ganz ähnlich: Wenn sie das 'Gruppenerlebnis' haben bei diesem Transport - das ist wichtig. Aber jeder muss individuell genug Platz haben", sagt Jörg Hartung.
Genügend Platz während des Transportes ist wichtig, nicht nur für Schweine, sondern auch für Rinder. Für jene Mastbullen jedoch, die die Tierschützerin Iris Baumgärtner im Laderaum eines LKW an der bulgarisch-türkischen Grenze filmen konnte, ist die Frage, ob der Platz ausreicht, eigentlich kein Kriterium mehr.
Durstige Rinder vor dem Kollaps
Sie brauchen vor allem eines – Wasser, sagt Iris Baumgärtner: "Das sieht man ja auch, bis die Zunge so heraushängt. Also, man sieht andere Tiere, die hecheln mit offenem Maul, und die Zunge bleibt noch im Maul. Dann, in der nächsten Phase wird die Zunge herausgestreckt. Aber wenn die Zunge dann schon so schlaff heraushängt, dann ist es wirklich schon kurz vor dem Kollaps."
Was klingt wie eine rostige Metallsäge, sind die letzten Atemzüge eines kollabierenden Bullen. Das Tier lehnt erschöpft seinen massigen, schwarzen Kopf an die Wand des Anhängers, die Augen sind weit aufgerissen, die Zunge rollt von einer Seite zur anderen.
"Das waren Bullen aus Rumänien – und alle Bullen in diesem Abteil waren fix und fertig. Das war im Juni, die Temperaturen waren über 40 Grad; der Transporter – der Transporter war zu eng beladen; die Tiere - das ist schon die Vorstufe vorm Kollaps; einer ist kollabiert vor unseren Augen und der Schwarze, der ist dann auch vor unseren Augen gestorben", berichtet Iris Baumgärtner.
Der relativ kurze Weg von Rumänien über Bulgarien an die Grenze zur Türkei war in der Sommerhitze ohne ausreichende Wasserversorgung dann doch zu weit.
Die Klagelaute und Schmerzensrufe von Mastbullen gehen durch Mark und Bein – vor allem dann, wenn die mehr als 600 Kilo schweren Kolosse an einem Bein aufgehängt in der düsteren Halle eines Schlachthofes bei Ankara auf den Kehlschnitt warten müssen – ohne vorherige Betäubung. Die Frage ist, ob auch Mastbullen aus Deutschland diese qualvolle Prozedur erleiden müssen?
"Also, deutsche Bullen gehen nicht auf direktem Weg in Drittländer, aber eben über andere Mitgliedsstaaten. Manchmal kann man das nicht mehr weiterverfolgen, weil nach ein paar Monaten - wenn die zum Beispiel nach Ungarn gehen - dann bekommen die ungarische Ohrmarken. Es sind aber einige dabei, die ursprünglich aus Deutschland sind", so Iris Baumgärtner.
Möglichkeiten des EU-Binnenmarktes rigoros ausgenutzt
Manche Vertreter der Branche nutzen die Möglichkeiten des EU-Binnenmarktes rigoros aus, erklärt Iris Baumgärtner. Sie lassen die Tiere, die eigentlich für Drittländer wie die Türkei bestimmt sind, zunächst nach Ungarn, Tschechien oder in die Slowakei bringen. Dort sind große Sammelstationen entstanden. Anders als in Deutschland oder in den Niederlanden – so kritisiert Iris Baumgärtner - fertigen dortige Veterinärbehörden die Transporter häufig auch dann ab, wenn hohe Temperaturen auf dem Weg zu erwarten sind:
"Wenn die Temperaturen auf der Strecke voraussichtlich über 30 Grad sind. Das hat aber jetzt eigentlich dazu geführt, dass die Tiere schon vor den heißen Sommermonaten in Mitgliedsstaaten transportiert werden, die eben weniger restriktiv sind und dann von dort exportiert werden. Und das kann man eigentlich zur Zeit nicht unterbinden, weil wir haben ja einen EU-Binnenmarkt."
In der EU müsste jede Veterinärbehörde am Ausgangsort des Transportes - egal ob in Deutschland, Ungarn oder Tschechien - die Vorgaben der EU-Transportverordnung beachten, sagt Michael Marahrens vom staatlichen Friedrich-Löffler-Institut in Celle:
"Das ist ein Riesenproblem für jede abfertigende Behörde, dass der Europäische Gerichtshof im Jahre 2015 entschieden hat, dass die Bestimmungen der EU-Verordnung 1/2005 bis zum Bestimmungsort im Drittland gelten. Und: überprüft werden müssen. Nun gibt es im Drittland überhaupt keinen Vollzug, auf den zurückgegriffen werden könnte, ob diese Bestimmungen überhaupt eingehalten werden, bis zum endgültigen Abladeort aus diesen Fahrzeugen."
Einhaltung der Gesetze nicht überprüfbar
Die logische Folge dieses Urteils: Wenn sich die Einhaltung der Gesetze nicht überprüfen lässt und Verstöße dagegen auch nicht geahndet werden können, dürfte der LKW nicht auf die Reise gehen. Der Amtsveterinär am Abgangsort dürfte den Transport nicht freigeben.
Dabei gäbe es im Zeitalter der elektronischen Welten eine gute Chance, dass die Behörden dem gesetzlichen Auftrag einer Transportkontrolle besser nachkommen könnten.
Die Elektronik an Bord der modernen LKW registriert fortlaufend viele wichtige Daten auf einer einheitlichen Zeitachse und sendet sie an einen Server in der Heimat: Den Fahrtverlauf mit der aktuellen Position des LKW, die Temperaturdaten - ja selbst, wann und wo die Ladeklappen geöffnet und wieder geschlossen wurden.
Aus diesen Daten ließe sich viel über die Qualität eines Transportes herauslesen, sagt Michael Marahrens. Das Problem ist nur, kein Amtsveterinär hat einen Rechtsanspruch, auf diese Daten jederzeit nach eigenem Gusto zugreifen zu können:
"Und solange derartige Bedingungen in einer Art Black Box verbleiben und der zuständigen Behörde in Deutschland oder der EU gar nicht mehr zugänglich sind, fällt auch eigentlich jede Überwachungsmöglichkeit weg. Und damit sind die Anforderungen des EuGH-Urteils gar nicht mehr erfüllbar. Systematisch müsste dieser Transport untersagt sein."
Online-basierte Kontrollen nur auf freiwilliger Basis
Zwar werden wiederholt Datenschutzprobleme angeführt, die angeblich einer Online-Kontrolle durch die Abfertigungsbehörde entgegenstünden. Doch seien diese Daten nicht personenbezogen, argumentiert Michael Marahrens. Zumindest auf freiwilliger Basis zeigen auch einige Exporteure, wie die Zukunft aussehen könnte, sagt er:
"Es gibt einige, auch ausländische Transportunternehmer, die den jeweiligen zuständigen Behörden in Deutschland einen passwort-geschützten Zugriff auf den Server, der beim Systemanbieter steht, gewährt; teilweise geht das sogar so weit, dass die dort abrufbaren Daten sich nicht auf diesen einzelnen Transport beziehen, sondern auf sämtliche Bewegungen dieses Fahrzeugs über die Zeit."
Es sind aber nur wenige Tierexporteure, die aus freien Stücken den Behörden ermöglichen, der Rechtsprechung des EuGH zu folgen.
Wichtig wäre aber, dass kein Exporteur sich dieser Kontrolle entziehen könne, argumentiert Iris Baumgärtner. Doch bislang fehle der politische Wille, mehr für den Schutz der Tiere auf Ferntransporten zu tun - das zeigte sich zuletzt auch im Agarausschuss in Berlin, sagt sie:
"Da gab es einen Antrag der Grünen. Ein Antrag für ein Moratorium, dass eben beinhaltet, dass Tiere erst wieder in Drittländer exportiert werden, wenn gesichert ist, dass die geltenden Gesetze eingehalten werden. Und dass es in diesen Drittländern eben Versorgungsstationen gibt. Und das wurde leider mit einer Mehrheit der CDU/CSU und der SPD abgelehnt, was ich unmöglich finde. Es ging eigentlich in diesem Antrag nur um die Einhaltung der Gesetze. Und jetzt werden Zuchttiere weiterhin exportiert, obwohl nach wie vor unklar ist, ob die Gesetze eingehalten werden beim Transport in ein Drittland."
Gute Transportbedingungen erhöhen Qualität der Tiere
Auf dem Hof im Münsterland ist der LKW samt Anhänger inzwischen voll beladen. Knapp 650 Ferkel gehen gleich auf große Reise. Amtstierarzt Christoph Brundiers hatte zuvor den LKW samt Anhänger inspiziert. Die Tränkeanlage ist mit frischem Wasser gefüllt. Die Hydraulik der Hubböden des viergeschossigen Gefährts funktioniert einwandfrei.
Nur die Einstreu musste noch gleichmäßiger auf den Ladeflächen verteilt werden. Die Sägespäne sollen später den Kot und Urin der Ferkel aufsaugen. Stationsleiter Markus Krümpel legt selbst großen Wert darauf, dass alles in Ordnung ist. Allein schon aus ökonomischen Gründen muss er dafür sorgen, dass seine Ferkel die lange Reise unbeschadet meistern:
"Wir verkaufen nur Ankunft! Die Tiere werden da unten verwogen. Ankunftsgewicht! Und wenn Tiere nicht in Ordnung sein sollten, dann kriegen wir die natürlich abgezogen. Und deshalb legen wir natürlich größten Wert darauf, dass die Tiere gut ankommen, dass der Kunde damit zufrieden ist, weil daraus entstehen dann wieder Folgegeschäfte. Und wenn ich dann Qualitätskriterien nicht in der gewünschten Form wie bestellt anliefere, bekomme ich Abzug, und das ist natürlich wirtschaftlich unrentabel, und das wollen wir natürlich nicht!"
Wippende Ferkelohren lugen aus den Querspalten hervor. Und jede Menge feucht-schnüffelnder Schweine-Schnauzen saugen die Außenluft begierig ein. Später werden an den Seiten vier Ventilatoren - falls nötig - für ausreichende Belüftung sorgen.
Der Tiertransporter fährt vom Hof der Sammelstation in Wettringen. Die silberfarbenen Aufbauten funkeln im Licht der Nachmittagssonne. Aufgeregt stecken die Ferkel die rosa Steckdosen ihrer Schnauzen durch die Ritzen.
Viele von ihnen werden in wenigen Monaten den Weg zurück nach Deutschland finden - dann als Parma-Schinken, von westfälischen, mecklenburgischen und holsteinischen Schweinen.
"Unter Umständen, wenn der Verbraucher hier nach Parma-Schinken fragt, kauft er sogar von deutschen Schweinen in Italien gemästet den Parma-Schinken - ja, richtig", sagt Markus Krümpel.