Kaum einer kämpft für die Labormaus
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Wir verdanken der Maus viel: Sie hat etwa so viele Gene wie der Mensch und eignet sich hervorragend als Modell in der Forschung. Paulin Jirkof von der Uni Zürich ist eine Mäuseversteherin. Doch auch sie kommt um die ethischen Fragen nicht herum.
Sie sind klein. Sie sind pelzig...
"Sie sind unwahrscheinlich schön, Mäuschen, also auch gerade viele von den Laborstämmen, so die ganz schwarzen oder die mit den silbernen Haaren, sind einfach wunderschöne Tiere."
Und wenn man Paulin Jirkof fragt, werden sie oft unterschätzt.
"Alle Nager sind extrem neugierig und extrem aufgeweckt, aber Mäuse sind jetzt besonders wach. Die sind aktiv, sind neugierig, die explorieren alles. Wenn die die Möglichkeit haben was Neues sich anzuschauen, dann wird das sofort beschnuppert und auf Herz und Nieren getestet und das kann ich mir stundenlang angucken."
Keine Garderobe, aber einen kleinen Vorraum gibt es in der Tierhaltung der Uni Zürich, wo Paulin Jirkof sich blaue Schuhüberzieher, einen Labormantel und Handschuhe überstreift. Unsere Haare verschwinden unter Plastikhauben, bevor wir die Labormäuse besuchen dürfen.
Möglichst sanfte, artgerechte Behandlung
"Das, was wir jetzt gemacht haben, machen wir alles für die Tiere letztendlich, wir schützen die vor unseren Keimen nicht uns vor ihnen oder so."
Paulin Jirkof ist 3R-Koordinatorin. Diese 3R steht für "replace, reduce, refine" – ersetzen, reduzieren, verfeinern. Ihr Job ist es, das Kernprinzip von Tierversuchen umzusetzen: Nur so viele Tiere wie nötig dürfen in der Forschung zum Einsatz kommen – und die sollen möglichst sanft und artgerecht behandelt werden. Im Raum herrschen 24 Grad, die Nager haben es gern warm. In einem der durchsichtigen Plastikkäfige gibt es eine kleine Meinungsverschiedenheit.
"Da hat eine gesagt: 'Hör auf, mach das nicht!' Wenn man jetzt nachts kommen würde, dann wären die jetzt alle wach. Dann würden jetzt alle rumrennen, miteinander agieren, Nester bauen, buddeln, klettern… jetzt, man sieht es ja, die liegen alle jetzt ganz entspannt in ihren Nestern."
Die Käfige stehen in Regalen und sind mit Holzeinstreu gepolstert. Drinnen sitzen jeweils zwei bis vier Mäuse.
"Mäuse sind soziale Tiere und brauchen unbedingt eine Gruppenhaltung. Und sie haben immer Nestbaumaterial und in dem Fall halt zwei verschiedene Arten, damit sie sich so ein richtig schönes Nest bauen können, was auch rund und fest ist und so richtig so Wände hat, was sie dann mit diesen Tüchlein ausfüllen, damit es gemütlich ist."
Millionen Mäuse bevölkern die Labore
Wahrscheinlich gibt es wenige Tiere, denen wir Menschen so viel zu verdanken haben wie der Maus. Sie hat etwa genauso viele Gene wie der Mensch und eignet sich deshalb hervorragend als Modell in der biomedizinischen Forschung. Millionen von ihnen bevölkern Labore auf der ganzen Welt.
"Das sind in vielen Fällen so Forschungsgebiete wie Krebsforschung, Immunologie und Neurobiologie."
Paulin Jirkof ist eine echte Mäuseversteherin.
"Ich bin von der Ausbildung her Biologin, und zwar habe ich früher mit wilden mongolischen Wüstenrennmäusen gearbeitet und hab da so ein bisschen mein Herz an die Nager prinzipiell und vor allen Dingen an diese Mausartigen, Ratten und die ganzen Mäuse verloren."
Seit zwei Jahren arbeitet sie an der Uni Zürich mit Forschenden, Tierpflegerinnen und Tierpflegern zusammen und kümmert sich um das Wohl der Versuchstiere. Ob es einer Maus gut geht, ist gar nicht so leicht zu erkennen. Anders als Hunde oder Katzen haben Mäuse kein großes Interesse, uns an ihren Gemütszuständen teilhaben zu lassen. Doch Paulin Jirkof sieht es ihnen quasi an der Nasenspitze an.
"Das sind dann ganz, ganz spezifische Veränderungen, zum Beispiel, dass sie die Augen zusammenkneifen, dass sie ihre Ohren anlegen, wenn sie Schmerzen haben und noch so Veränderung um die Schnauze herum, das wird alles ein bisschen runder und angespannter. Und wenn man das weiß, kann man das ganz gut unterscheiden von dem normalen Gesicht einer Maus."
Das Stresslevel reduzieren
Jirkofs Spezialität ist die Refinement-Forschung. Sie bringt Forschenden bei, sanfter mit den Tieren umzugehen.
"Früher hat man wirklich gelernt, zum Beispiel, wenn man eine Maus von A nach B transportiert, dass man sie dann so an der Schwanzwurzel nimmt und dann unterstützt man sich natürlich mit der Hand. Und wir wissen heute, dass das Mäuse nicht besonders gerne mögen."
Stattdessen lassen Forschende die Mäuse heute in Plastiktunnel klettern, um sie in das Versuchs-Setup oder in einen neuen Käfig zu setzen.
"Das reduziert das Stresslevel extrem und es macht sie handzahmer augenscheinlich, sie haben viel weniger Angst vor der menschlichen Hand. Das heißt für die Tiere besser, für den Menschen viel angenehmer, man wird nicht gebissen und niemand versucht zu fliehen."
Das ethische Problem bleibt
Win-win also. Aber egal wie gut es Labormäusen auch geht, das ethische Problem bleibt: Dürfen wir Tiere für unser eigenes Wohl nutzen? In der Diskussion um Tierversuche hat ausgerechnet die Maus keine besonders starke Lobby.
"Primatenforschung, Hunde, Katzen, das sind so die Tiere über die geredet wird. Obwohl das typische Versuchstier die Maus ist, und da denkt man sich, die haben es genauso verdient, dass Leute für sie kämpfen eigentlich, ein bisschen schade."
Letzten Endes ist das Ziel das erste der drei Rs: Replacement. Computersimulationen oder in der Petrischale gezüchtete Organe ersetzen bereits einen Teil der Tierversuche. Und vielleicht können Labormäuse ihren Dienst irgendwann ganz aufgeben. Bis dahin bleiben Forschende gefangen in einem, wie Paulin Jirkof sagt, ethisch-moralisch-emotionalen Spannungsfeld.
"Das ist wichtig, dass wir das machen, weil wir diesen Fortschritt brauchen, aber auf der anderen Seite, das sind Tiere, die ich kenne, für die ich sorge und das belastet natürlich auch extrem. Und es gibt Personen, die damit auch wirklich Probleme haben und deswegen aufhören, Tierversuche zu machen. Ich glaube, das ist wichtig, dass man immer mit sich selber abwägt, ist das richtig, was ich mache, und zwar in jedem Schritt."