Mahnwache im Morgengrauen
Im Hamburger Stadtteil Neugraben liegt das Areal der Firma LPT, eine der größten deutschen Tierversuchsanstalten. Dreimal pro Woche halten Tierschützer dort eine Mahnwache ab. Unsere Autoren waren dabei.
Halb Sieben. Bei Nieselregen um die Null Grad. Es ist noch dunkel. Die Frau mit der Pudelmütze hält ein Plakat in die Luft: "Würden Sie Ihren Hund für
Die Menschen, die hier zur Arbeit ins Versuchslabor gehen, starren stur geradeaus, während sie an Jenina Jeske und den anderen Demonstranten vorbei laufen.
Das Betriebsgelände des Laboratoriums für Pharmakologie und Toxikologie mitten im Wohngebiet ist mit Stacheldraht gesichert. Vom Betrieb selbst sind nur ein paar unscheinbare flache Gebäude zu erkennen.
Bunt gemischte Truppe
Die kleine Demonstranten-Gruppe am Tierversuchslabor ist bunt gemischt: eine Tanzlehrerin mit roten Haaren, ein Rentner über 70, eine BWL-Studentin oder die 31-jährige PR-Frau Janina Jeske. Das frühe Aufstehen bei Wind und Wetter fällt den Demonstranten nicht immer leicht.
"Ja, wenn wir's nicht machen, macht es keiner, […], es ist um diese Uhrzeit jetzt ein guter Zeitpunkt, um in Kontakt mit den Mitarbeitern zu treten. Es ist 6:52 Uhr. Bis acht Uhr sind dann alle Mitarbeiter da."
Die Tanzlehrerin Angela Fethke befestigt ein Plakat an einem Busch und arrangiert rote Grablichter am Wegrand.
"Also ganz früher, ich komm aus'm Osten, haben wir demonstriert kurz vor der Wende, […] aber dass ich auf die Straße gehe und mich für Tiere einsetze, gegen Tierversuche und generell gegen Massentierhaltung, das ist tatsächlich erst seit einem halben Jahr, mache ich das erst. - Ich habe selber Katzen und Hunde, und die Vorstellung, dass mit denen irgendwas passiert, finde ich ganz schrecklich, geschweige denn, dass ihnen jemand willentlich Gewalt zufügen würde. Und das ist ja genau das, was hier passiert."
Das Labor reagiert mit Abschottung
In den vergangenen Jahren mehren sich die Proteste gegen Tierversuche und das Tierversuchslabor LPT. Auf die kritische Öffentlichkeit reagiert die Unternehmensleitung mit Abschottung. Interviewanfragen werden rigoros abgelehnt.
"Damit macht sich das LPT und auch andere Unternehmen ja auch sehr verdächtig. Wenn es alles wirklich so in Ordnung wäre, was da stattfindet, könnte man die Türen ja auch öffnen."
Konnte jeder bis vor kurzem auf der Internetseite des LPT noch nachlesen, an welchen Tieren getestet wird, gewährt die Firma nun nicht einmal mehr virtuellen Einblick.
"Man hat hier schon so ein beklemmendes Gefühl, wenn man sich vorstellt, was da hinter diesen Mauern jetzt passiert, und es ist so komplett aus dem Sichtfeld herausgenommen."
Inzwischen hat sich die eine Hälfte der Protestierenden vor den zweiten Eingang des LPT begeben.
"Hier kommen die Fußgänger rein, und hier versuchen wir auch, die Mitarbeiter abzufangen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen."
"Ohne Forschung nicht möglich"
Am Tor ein Plakat mit dem Bild einer jungen Frau; darauf zu lesen, dass Impfungen gegen Gebärmutterhalskrebs - Zitat - "ohne Forschung nicht möglich" seien. Dass mit Forschung Tierversuche gemeint sind, wird nicht erwähnt. Die Rolle des ethisch sauberen Forschungslabors scheint hier in Hamburg-Neugraben zu funktionieren: Eingebettet in die Atmosphäre einer gutbürgerlichen Wohnsiedlung fällt es schwer zu glauben, dass hinter dem Zaun qualvolle Experimente an Kaninchen, Hunden, Katzen und Affen durchgeführt werden.
Eine Radfahrerin steuert auf das Tor zu. Angela Fethke spricht sie aus gebührender Entfernung an.
"Haben Sie selber Haustiere? Würden Sie sie auch im Tierversuch opfern?" - "Gehen Sie weg! Oder ich schreie Hilfe! - Hilfe! - Gehen Sie weg von mir! Gehen Sie weg von mir!" - "Warum schreien Sie jetzt? Wir haben Ihnen noch nie etwas getan." - "Gehen Sie weg von mir!" Mitarbeiter: "Wir gehen verschiedene Wege; Ihrer ist eine Sackgasse."
Die 38-jährige Demonstrantin schüttelt verwundert den Kopf. Auch ein weiterer LPT-Mitarbeiter will nicht mit den Demonstranten sprechen. Wir gehen verschiedene Wege, Ihrer ist eine Sackgasse, meint der Mann und geht durchs Tor. Es gab allerdings auch andere Reaktionen. Janina Jeske ist geschockt über die Aggression mancher Mitarbeiter, wenn die mit aufgeblendeten Scheinwerfern bedrohlich dicht an den Protestierenden vorbeifahren. Sie ist froh, dass zur Sicherung der Mahnwache immer ein Polizist anwesend ist.
"Einige versuchen natürlich auch, uns mit kleinen Gesten zu vertreiben, wir wurden ja auch schon beschimpft als Nazis und mit dem Hitlergruß begrüßt, das ist auch schon vorgekommen."
Mitten im Wohngebiet
Um kurz vor Sieben passiert ein scheinbar ganz gewöhnlicher Müllwagen das Tor und fährt kurz danach wieder heraus. Die Kadaver der toten Tiere werden abgeholt, vermuten die Demonstranten, wie jeden Freitag. - Eine Frau mit Kinderwagen hastet vorbei.
"Wir wohnen jetzt seit eineinhalb Jahren hier und haben uns immer gefragt, was das denn hier überhaupt sein mag, ja, und irgendwann haben wir dann die Information darüber bekommen und waren ehrlich gesagt ganz schön geschockt. Da drüben ist der Kindergarten, da arbeite ich und mein Sohn geht da auch hin, mmh, finde ich recht fragwürdig, das in so 'ner Wohnsiedlung zu haben. Wahnsinn, Wahnsinn, ja."
Die andere Anwohnerin hat kein Problem mit dieser Nachbarschaft.
"Wir wohnen seit 25 Jahren hier am Zaun, es ist eben ein Institut, was Tierversuche eben auch macht und versucht, für die Forschung irgendwas Gutes zu tun."
Kurz nach acht Uhr. Die LPT-Mitarbeiter sind bei der Arbeit. Janina Jeske, Angela Fethke und die anderen Aktivisten packen die Plakate und die Grablichter wieder ein. Die beschauliche Wohnstraße wirkt nun wieder, als wäre nichts gewesen.