Die Spaßplattform wird politischer
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Mit unterhaltsamen Kurzvideos ist TikTok zu einer der international erfolgreichsten Plattformen im Netz geworden. Die Reichweite weckt auch politische Interessen. Der Journalist Marcus Bösch hat TikTok als politische Plattform untersucht.
Bereits zwei Milliarden Mal wurde die App TikTok heruntergeladen. Bekannt geworden ist die Video-App vor allem wegen der kurzweiligen und oft kreativ gestalteten Spaßvideos, die sich hier besonders leicht produzieren lassen.
Alles nur zerstreuende Kurzweil also? Falsch gedacht, sagt der Journalist Marcus Bösch. Denn mit steigender Reichweite wird die Plattform auch für politische Einflussnahme immer interessanter.
TikTok wird politischer
In der Studie "Schluss mit lustig - TikTok als Plattform für politische Kommunikation" hat sich Bösch gemeinsam mit Chris Köver im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung eingehend mit Formen des Aktivismus auf TikTok befasst.
Ihr Ergebnis: Nicht nur Politiker und Nichtregierungsorganisationen interessieren sich vermehrt für TikTok, sondern auch immer mehr normale User flechten politische Themen in ihren Feed ein. Prominente Influencerinnen, die sonst eher Beauty-Tipps geben, sprechen auf TikTok etwa auch über Sexismus, das Recht auf Abtreibung und andere feministische Themen, so Bösch.
Politiker interessieren sich zunehmend für die Plattform
Wahlkämpfe werden wohl auch weiterhin nicht mit TikTok gewonnen werden, sagt Bösch weiter. TikTok steht im Ruf, ein besonders junges Publikum anzuziehen, das oft noch gar nicht wahlberechtigt ist. Dennoch werde die Plattform auch von Politikern wahrgenommen.
Als Beispiel nennt Bösch Markus Blume. Der CSU-Generalsekretär setzt auf TikTok mit Mitmachvideos. Dass solche Videos auch von der politischen Gegenseite kreativ für die eigene Sache genutzt werden können, gehört dabei allerdings zur besonderen Kommunikationskultur der Plattform.
Authentizität ist alles
Zentral für den Erfolg ist die "realness", also für wie authentisch das Publikum Videos hält. Die TikTok-Community habe "ein feines Gespür" dafür, ob sich jemand nur anbiedern wolle, sagt Bösch. Das Alter sei dabei im Übrigen nicht entscheidend - auch im Vergleich zum Durchschnittsalter eher ältere Menschen können hier Erfolge feiern.
Dabei ist eine Besonderheit der Plattform entscheidend: Nicht die Zahl der eigenen Follower, sondern allein der Algorithmus entscheiden hier über die Reichweite. Je nachdem, wie gut ein Video in den zunächst kleinen Kreisen, an die es ausgespielt wird, ankommt, vergrößert sich auch die Gruppe, die ein Video in ihre Timelines gespült bekommt.
Daraus folgt allerdings auch: Es reiche nicht, die eigene politische Agenda einfach nur zu setzen, meint Bösch. Sondern Videos müssten den Gepflogenheiten auf der Plattform entsprechen.
TikTok stellt sich auf den Richtungswechsel ein
Was bedeutet das im Hinblick auf Zensur? TikTok ist immerhin kein Produkt des Silicon Valley, sondern stammt aus China und stand schon häufig im Verdacht, politische Inhalte zu zensieren. Zu den Protesten in Hongkong etwa seien bemerkenswert wenige Videos ausgespielt worden.
Tatsächlich habe man bei der Studie einen Richtungswechsel feststellen können, sagt Bösch. Dies sei nach Druck von Nutzern geschehen. Mittlerweile gebe es bei TikTok auch Förderprogramme etwa für Schwarze Kreative.
(thg)