Till Eulenspiegel als anarchistische Figur

Alexander Schwarz im Gespräch mit Alexandra Mangel · 25.03.2011
Das Eulenspiegel-Museum im niedersächsischen Schöppenstedt feiert den 500. Jahrestag der Figur mit einer Jubiläumsausstellung. Kurator Alexander Schwarz spricht über die Schau und erklärt, was Eulenspiegel ausmacht.
Alexandra Mangel: Vor 500 Jahren druckte der Verleger Johannes Grüninger in Straßburg ein anonymes Volksbuch, das ziemlich bald zu einem der ersten Bestseller des Abendlandes werden sollte, "Ein kurtzweilig Lesen von Dyl Ulenspiegel, wie er sein leben verbracht hat", so der Titel. In 96 Kapiteln konnte man da die Streiche des Till Eulenspiegel nachlesen, wie er dem Junker in den Senf schiss, wie er dem Kaufmann in Hildesheim das Haus räumte, wie er sich als Bierverderber erwies, wie er bekannte, dass er gern noch mehr Bosheit verübt hätte.

Schon im 16. Jahrhundert wurde das Buch in viele europäische Sprachen übersetzt, ins Französische, ins Niederländische, ins Englische, ins Polnische, bis heute in über 280 Sprachen. Und was damals an dieser anarchistischen Figur, an diesem Quertreiber so fasziniert hat, darüber wollen wir gleich sprechen.

In Büddenstedt gewann er die Tonne Bier, und 20 Kilometer entfernt davon, im niedersächsischen Schöppenstedt, steht heute ein Eulenspiegel-Museum, das den 500. Jahrestag von Eulenspiegel heute mit der Eröffnung einer großen Ausstellung feiert, und erarbeitet hat die der Literaturwissenschaftler Alexander Schwarz, der schon seit Jahren den Spuren von Till Eulenspiegel nachforscht und jetzt für uns im Studio in Braunschweig sitzt. Herzlich Willkommen, Herr Schwarz!

Alexander Schwarz: Dankeschön!

Mangel: Vom Pfarrer eine Tonne Bier, weil der nicht genau in die Mitte der Kirche geschissen hat - ist das eine typische Eulenspiegelei?

Schwarz: Das ist eine typische Eulenspiegelei, denn mitten in die Kirche oder in die Mitte der Kirche hat mehrere mögliche Bedeutungen, die, an die der Pfarrer gedacht hat, in die Kirche, nicht ganz versteckt, nicht hinter einer Säule, aber einfach irgendwo in die Kirche, und Eulenspiegel hat hier eben genommen, es muss haargenau die Mitte sein im Rahmen dieser Wette.

Mangel: Gab es ihn denn nun wirklich, also gab es ein reales Vorbild für diese Figur?

Schwarz: Diese Frage höre ich nicht zum ersten Mal und muss immer ein bisschen schmunzeln, was Sie jetzt nicht hören können. Ich stelle mir die Frage: Warum wird diese Frage gestellt? Also bei Harry Potter stellt sich kein Mensch diese Frage oder bei Don Quichotte, das heißt, das Interessante ist, dass diese Unsicherheit eben dahintersteckt: Also es könnte ja so eine Figur gegeben haben, aber vielleicht ist es auch nur eine literarische, und wir wissen es nicht, aber wir wüssten es gerne. Und das gehört für mich zu den vielen Widersprüchlichkeiten dieses Buches eigentlich dazu.

Mangel: Man staunt ja auch schon genug, dass es diese literarische Figur in dieser Zeit gibt. Lässt der sich denn überhaupt aus seiner Zeit heraus erklären?

Schwarz: Ich würde mal sagen, ja und nein. Es gibt Figuren, die Streiche verübt haben, zu denen man Texte hat. Interessanterweise – wir haben ja mit einem Pfarrer angefangen hier –, interessanterweise sind es zwei Pfarrersbiografien, eine aus dem Mittelalter von einem Pfaffen Amis aus England, und eine aus dem 15. Jahrhundert vom Pfaffen vom Kahlenberg bei Wien, und einige der Streiche oder Geschichten von dort sind in das Eulenspiegelbuch sogar übernommen worden.

Abgesehen von diesen Pfarrer-Vergleichsmöglichkeiten ist eben das Auffällige und das schwer zu Erklärende, wie ein Buch einen so großen Erfolg haben konnte, das überhaupt nicht zu den Büchern der Zeit passt: Es ist nicht religiös, es ist ja sogar anti-kirchlich, muss man sagen, bei den Geschichten, die wir kennengelernt haben hier schon; es ist nicht Lateinisch, sondern in der Volkssprache; man kann nicht Informationen oder Lehren daraus ziehen – also all die Erfolgsrezepte für Bücher in der Zeit werden hier missachtet. Und aus irgendeinem Grund muss dann der Erfolg des Buches genau in dieser Missachtung liegen.

Mangel: Es tauchen ja aber auch ständig Akteure dieser neuen bürgerlichen Ordnung auf: Kaufleuten spielt er bevorzugt übel mit, die werden um ihr Geld betrogen, jedes Geschäft wird zur Groteske gemacht. Ist er da auch so ein Kritiker seiner Zeit, so eine Art Kritiker des Frühkapitalismus?

Schwarz: Die Streiche spielen ... Wenn sie mit mehreren Bedeutungen spielen, und mit einer Bedeutung, die das Gegenüber erwartet, und mit der anderen, die es überrascht, spielen sie mit Kommunikation. Und ein Merkmal der frühen Neuzeit ist, dass beispielsweise Kaufleute unterwegs waren, dass Handwerker Auftraggeber hatten, die nicht nur aus der nächsten Gegend stammen. Das heißt, man hatte mit Leuten zu tun, die man nicht kannte, und es gab als Basis nur das Aushandeln, die Kommunikation, das Miteinander-Reden.

Und Eulenspiegel macht sich diesen Umstand zunutze, indem er eben nicht nützliche Verträge abschließt, wo beide Seiten einen Vorteil haben, sondern schädliche Verträge, wo er manchmal einen Vorteil hat, beispielsweise, wenn er eine Tonne Bier gewinnt, aber eher scheint es wichtig zu sein, dass das Gegenüber einen Nachteil hat. Und ich sehe da eher ein anarchistisches Element als jetzt ein Element, das eine bestimmte politische Richtung bevorzugt und befördert und gegen eine andere kämpft.

Mangel: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit dem Literaturwissenschaftler Alexander Schwarz über Till Eulenspiegel, dessen Streiche vor 500 Jahren veröffentlicht wurden. Herr Schwarz, was weiß man denn heute darüber, wie und von wem diese Geschichten im 16. Jahrhundert gelesen wurden?

Schwarz: Gelesen hat es – im wahrsten Sinne des Wortes –, gelesen hat es natürlich nur jemand, der lesen konnte, und um 1500 waren das in Deutschland vielleicht 5 Prozent der Bevölkerung, also sehr wenig. Die Leute dachten sich möglicherweise: Oh, ich kaufe mal dieses Buch, erstens ist es schick, ein Buch zu besitzen, und ich werde schon jemanden finden, der es mir vorliest. Beispielsweise in jedem Dorf gab es einen Pfarrer, und die konnten im Normalfall lesen, in größeren Städten gab es Amtsleute, Schreiber, und die konnten natürlich auch vorlesen, und es gibt ja ein auffälliges Merkmal bei den ältesten Drucken, nämlich die Illustrationen, die Holzschnitte. Ich denke, dass die auch, wie bei Bilderbüchern für kleine Kinder, die Möglichkeit boten: Jemand liest es mir vor, ich sehe das Bild dazu, und wenn der dann weg ist, dann kann ich mir selbst anhand des Bildes die Geschichte wieder in Erinnerung rufen, kann sie mir selbst wieder erzählen, kann sie weitererzählen.

Mangel: Erstaunt es Sie nicht als Historiker, dass diese Schichten, die lesen konnten, dass die so eine Freude an diesem Anarchisten hatten?

Schwarz: Wenn jemand zum Pfarrer im Dorf sagte, hör mal, ich habe da ein Buch, ich kann das nicht lesen, lies du mir das vor, dann hat sich der Pfarrer wahrscheinlich gefreut, dass er einen positiven Kontakt mit einem seiner Schäfchen hatte, er hat sich aber wahrscheinlich auch gefreut, dass er etwas Neues kennenlernte, was er sich jetzt vielleicht selber nicht gekauft hat. Und es ist interessant, also wenn man die Reaktionen der Zeitgenossen auf das Buch sich anschaut – beispielsweise Martin Luther höchstpersönlich hat mehrfach auf dieses Buch reagiert. Er schimpft über das Buch, und er sagt, also Leute, die das lesen, statt den Evangelien, die lesen ja nur unnützes Zeug, und an einer anderen Stelle wieder sagt er, na ja, es ist besser, dass die Leute das lesen, als dass sie trübsinnig werden, dass sie melancholisch werden, dass sie verzweifeln, also hat das so etwas wie eine medizinische Funktion.

Mangel: Und was weiß man denn heute über den Autor? Also ist man sich heute einig, wer das Buch geschrieben hat?

Schwarz: Also erstens, es steht nicht deutlich da, also der Autor möchte sich nicht zu erkennen geben. Nun hat man aber versucht, die ersten Buchstaben, die Initialen der 96 Geschichten untereinander zu schreiben und dahinter eine Botschaft zu finden, und man hat gesehen: Die letzten sechs Buchstaben ergeben die Buchstabenfolge Erman B, und in Braunschweig um 1500 gab es einen Schreiber, einen Chronikschreiber, einen Zollschreiber namens Hermann Bote. Und so nimmt man heute doch mehrheitlich an, dass dieser Hermann Bote das gesammelt und zum Druck gegeben hat.

Mangel: Der wird aber immer im Schatten seiner Figur bleiben.

Schwarz: Das wird er immer, und ich denke, das hätte ihn auch nicht gestört.

Mangel: Alexander Schwarz, Eulenspiegel-Forscher und Kurator der großen 500-Jahr-Jubiläumsausstellung im Eulenspiegel-Museum im niedersächsischen Schöppenstedt, dort ab heute zu sehen noch bis zum 17. Juli, und dann wandert die Ausstellung weiter nach Belgien und dann nach Bernburg in Sachsen-Anhalt. Dankeschön fürs Gespräch, Herr Schwarz!

Schwarz: Danke, danke, tschüss!