Tillie Olsen: „Ich steh hier und bügle“

Das Schweigen der Literatur

05:06 Minuten
Buchcover "Ich steh hier und bügele" von Tillie Olsen
© Aufbau Verlag

Tillie Olsen

Übersetzt von Adelheid Dormagen und Jürgen Dormagen

Ich steh hier und bügleAufbau , Berlin 2022

160 Seiten

22,00 Euro

Von Miriam Zeh |
Audio herunterladen
Vier Kurzgeschichten begründeten ihren Ruhm, danach verstummte Tillie Olsens literarische Stimme. Denn die US-Amerikanische Autorin, Arbeiterin und Mutter hatte andere Kämpfe auszutragen. Auch davon handelt ihre Literatur.
Die Literaturgeschichte kennt das Schweigen. Gründe dafür gibt es viele: religiöse oder politische Zensur, als „ungeeignet“ oder „nicht marktfähig“ abgelehnte Werke. Eine Bezeichnung aber für das Schweigen aller, die überhaupt nicht zum Schreiben gekommen sind, weil sie zum Überlebenskampf gezwungen waren, gibt es noch nicht. Die US-amerikanische Autorin Tillie Olsen (1912 oder 1913 – 2007) nennt es: „das verborgene Schweigen“ der kaum Gebildeten, der Analphabeten und Frauen.

Politisch engagiertes Leben

Tillie Olsens literarische Stimme schwieg die meiste Zeit ihres Lebens selbst im Verborgenen. Als zweites von sechs Kindern wurde sie in eine russisch-jüdische Familie geboren, in prekäre Verhältnisse und in die Große Depression. Das Geld war knapp, aber die Energie der jungen Frau unermüdlich. Früh engagierte sich Olsen in der Kommunistischen Partei, in der Gewerkschaft, Frauen- und Streikbewegung – ein persönliches Risiko während der restriktiven McCarthy-Ära.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Die High School schloss Olsen nie ab. Stattdessen arbeitete sie in verschiedenen schlecht bezahlten Jobs, zog vier Kinder groß und bestritt den Lebensunterhalt ihrer Familie.

Schreiben trotz Hausarbeit

Neben ihrem langen kämpferischen Leben steht ein schmales literarisches Werk. Olsen schrieb in den wenigen freien Momenten zwischen politischem Engagement und familiärer Verpflichtung. „Es ist kein Zufall“, konstatiert sie in einem Essay über die Produktionsbedingungen ihrer Literatur, „dass das erste Werk, bei dem ich an eine Veröffentlichung dachte, so begann: ‚Ich steh hier und bügle, und was Sie von mir hören wollen, gleitet gequält mit dem Bügeleisen hin und her.‘“
In der Kurzgeschichte, die Olsens einzigem Erzählband den deutschen Titel gab, wendet sich eine Mutter an eine besorgte Lehrerin oder einen Sozialarbeiter. Sie erzählt mit der ganzen Schwere einer entbehrungsreichen Existenz aus ihrem Leben als Arbeiterin und junge Mutter, die ihr erstes Kind zeitweise zu Verwandten geben muss.

Mündlicher Rhythmus der Texte

Olsens Literatur lebt von Mündlichkeit, ihren unterschiedlichen Sprechweisen und -rhythmen. Die rasant verdichteten Dialogfetzen haben Adelheid und Jürgen Dormagen in aller Lakonie und Bildlichkeit ins Deutsche übertragen. In „Erzähl mir ein Rätsel“ schwankt ein altes Ehepaar zwischen Grausamkeiten, die sich in ihren Umgang miteinander geschlichen haben, und einer neuen Zärtlichkeit im Angesicht von Krankheit und Tod: „Essig hat er sein Leben lang über mich geträufelt; ich bin gut mariniert; wie kann ich jetzt Honig sein?“
Es sind Sätze wie dieser, die beim Lesen bedauern lassen, dass die meisten Texte dieser Autorin ungeschrieben blieben. Als 1961 ihr Erzählungsband erschien, war Olsen bereits über 50 Jahre alt, die Autorin verstummt. 1978 folgte zwar ein Band mit gesammelten Essays. Doch literarische Werke wollten keine Form mehr annehmen.

Aktualität bis heute

Wessen Literatur institutionell gefördert wird, steht auch heute in der Diskussion. Gegenwartsautorinnen kritisieren, wie schwer Aufenthaltsstipendien mit Sorgearbeit vereinbar sind. Und seitdem in diesem Jahr mit Kim de l’Horizon die erste non-binäre Person den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, wird auch über die Sichtbarkeit queerer Literatur gesprochen.
Die Aktualität von Tillie Olsens Schreiben liegt in seiner Intersektionalität. Denn nach wie vor gilt: „Es gibt so viel Ungeschriebenes, das noch geschrieben werden muss.“
Mehr zum Thema