Keine Ikone des Widerstands
Kaum ist Ai Weiwei in Deutschland, schon enttäuscht er seine Unterstützer. Der chinesische Künstler hatte sich nachsichtig über Repressionen im Heimatland geäußert. Der Sinologe Tilman Spengler sieht das Problem weniger bei Ai Weiewei als bei Bewunderern, die ihn hochstilisiert hätten.
In den Augen Tilman Spenglers wirkt Ai Weiwei wie ein aus der Flasche gelassener Geist. Seine Bewunderer hätten die Werke des Künstlers immer im Zusammenhang gesehen mit der Unterdrückung, die ihm widerfuhr. Künftig falle dieser politische Kontext und die Sicht auf Ai Weiwei als Menschenrechtsaktivist weg. "Es ist das traurige Schicksal des Geistes aus der Flasche", sagte Tilman Spengler im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.
Ai Weiwei ist seit gut eineinhalb Wochen in Deutschland. Er hat sein Atelier in Berlin bezogen, soll demnächst als Gastprofessor arbeiten und hat in Interviews nach seiner Ankunft die repressive Politik in China plötzlich nachsichtiger beurteilt. Der Konzeptkünstler, der in China zwischenzeitlich unter Hausarrest stand, hatte gesagt, Festnahmen fänden inzwischen "nicht mehr außerhalb des Gesetzes" statt. Für empörte Reaktionen in den Sozialen Netzwerken sorgte auch sein Satz: "Ich kann jeden verstehen, der an sich selbst denkt."
Tilman Spengler begründete die enttäuschte Reaktion auf Ai Weiweis Äußerung mit falschen Erwartungen an den Künstler: "Das ist nur eine besondere Äußerung, weil sie von einem Mann kommt, den wir hochstilisiert haben als Ikone des Widerstands. Ich glaube, schon das war falsch."
Die Unterstützer aus dem Ausland, die das Leben eines Regierungskritikers in China nicht aus eigener Erfahrung kennen, "haben gern eine Person, an der sie sich hochranken können", sagte Spengler und kritisierte die Empörung über den vermeintlich verloren gegangenen Widerstandsgeist des 57-jährigen Chinesen:
"Das sagt man sich in Deutschland erheblich leichter, als es sich unter den Bedingungen einer Diktatur des Proletariats oder eines autoritären Regimes wie in China sagen lässt."
Der Schriftsteller und Sinologe wies auf einen weiteren Widerspruch hin. Zwar akzeptiere die deutsche Öffentlichkeit, dass Wirtschaftsvertreter und Publizisten Verständnis äußern für die restriktive Politik der chinesischen Regierung, aber ein chinesischer Künstler werde dafür attackiert. "Warum soll er sich nicht verhalten, wie er will?", sagte Spengler.