Tim Crane: Die Bedeutung des Glaubens. Religion aus der Sicht eines Atheisten
Aus dem Englischen von Eva Gilmer
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
188 Seiten, 22 Euro
Mehr Religion wagen?
05:47 Minuten
Religion stirbt nicht aus, sie ist sogar unausweichlich – das schreibt ausgerechnet ein Atheist. Tim Crane versucht eine verständnisvolle Annäherung an das Phänomen Religion und wendet sich gegen pauschale Verurteilungen von Religiosität.
Wenn ein Atheist den Versuch unternimmt, die Bedeutung des religiösen Glaubens zu erklären, muss er mit Skepsis in beiden Lagern rechnen: Die Gläubigen bezweifeln, dass er davon etwas versteht, die Atheisten sehen keinen Anlass für eine Erklärung, weil sie alles Religiöse ablehnen. Der britische Philosoph Tim Crane hat es trotzdem gewagt und ein Buch geschrieben, das den Nerv unserer Zeit trifft.
Vorurteile abbauen
Er will vor allem auf Seiten der Atheisten Vorurteile abbauen und vermitteln, worum es geht, wenn jemand gläubig ist. Dass dieses Unterfangen von hoher Relevanz ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Sechs Milliarden Menschen der 7,16 Milliarden umfassenden Weltbevölkerung sind Anhänger einer Religion. Die Massen an Menschen, die zu religiösen Festen und Zusammenkünften pilgern, sind ungebrochen hoch. Religion stirbt nicht aus, davon ist Crane überzeugt. Sie sei sogar, schreibt er, unausweichlich.
Gleichzeitig ist das Unverständnis gegenüber Religiosität in den westlichen, säkularisierten Gesellschaften groß; die Kirchen verlieren ihre Mitglieder, und mit dem Glauben schwindet auch das Wissen über Religion, die allzu schnell zur Projektionsfläche für politischen Unmut wird. Wo es Religion gibt, droht Unheil, das ist der Tenor radikaler Atheisten. Kriege, Terror, Verfolgung: Seit Jahrhunderten führe Religion zu Gewalt und Vernichtung.
Religion lässt sich nicht wissenschaftlich widerlegen
Crane wendet sich gegen diese pauschale Verurteilung von Religion. Dabei verkennt er nicht die Gefahr, die von ihr ausgehen kann; er bestreitet nur, dass sie größer ist als in nichtreligiösen Konflikten. Die Adressaten seiner Kritik sind die "Neuen Atheisten", zu denen etwa Richard Dawkins gehört, der mit seiner antireligiösen Abhandlung "Der Gotteswahn" berühmt geworden ist.
Er hält ihre Ansichten, wonach Religion irrational und wissenschaftlich widerlegbar sei, für falsch und fehlgeleitet, weil sie den Charakter der Religion verkennen.
Der religiöse Impuls
Kennzeichnend für den Glauben ist aus seiner Sicht ein "religiöser Impuls" und die Identifikation mit der Religion; verbunden würden beide Elemente durch "die Idee des Heiligen". Wer glaubt, verfüge über eine unsichtbare Ordnung und zweifle nicht am Sinn des Lebens.
Obgleich Crane hin und wieder als überzeugter Atheist an seine eigenen Grenzen stößt – etwa wenn er die alte Theodizee-Frage stellt und nach Erklärungen sucht, wie man am Glauben festhalten kann, obwohl es so viel Leid in der Welt gibt –, räumt er doch an entscheidenden Stellen mit Irrtümern und Vorurteilen auf. "Glaube ist nicht Gewissheit", stellt Crane klar: nicht einmal im Tod.
Sein Impuls ist richtig: Religion ist vielen Menschen so fern, dass man sie ihnen ganz neu erklären muss. Er setzt auf Toleranz, wo andere ein gegenseitiges Verständnis torpedieren. Seine leicht geschriebene Studie, die in der deutschen Übersetzung von Eva Gilmer an einigen Stellen ein gründlicheres Lektorat vertragen hätte, ist in diesen Zeiten ehrenvoll.
Obwohl er selbst nicht gläubig ist, erkennt er, wie wichtig es ist, Religion zu verstehen: Es fehlte uns sonst ein angemessenes Verständnis für einen fundamentalen Teil "der menschlichen Zivilisation und Geschichte – also unserer selbst".
Viele Fragen schließen sich an dieses Buch an. Es könnte der Auftakt sein für einen offenen Austausch zwischen Gläubigen und Atheisten – nicht nur zur Weihnachtszeit.