Tim Hackemack: "Yesterday's Kids"
Archiv der Jugendkulturen Verlag KG
500 Seiten, 36,00 Euro
Was vom Punk übrig bleibt
Tim Hackemack hat in die Jahre gekommene Punks fotografiert. In seinem Bildband spürt er nach, was Punk überhaupt ist und was aus diesem Lebensgefühl wird, wenn Kinder und Verantwortung kommen. "Das ist genauso facettenreich wie bei den jungen Leuten", sagt er im Gespräch mit Marietta Schwarz.
Marietta Schwarz: Jenseits des Hipstertums gibt es immer noch andere Szenen, auch wenn die inzwischen weniger sichtbar, weniger marktgängig, nicht so modisch gekleidet, nicht so konform. Der Mainstream interessiert sich dafür einfach weniger. Und man muss ja auch sagen, die Hochzeiten des Punks sind nun mal vorbei, um ein Beispiel zu nennen. Der Fotograf Tim Hackemack hat seinen Bildband wohl deshalb "Yesterday's Kids" betitelt, die harten Kids der 80er sind inzwischen ein bisschen in die Jahre gekommen, das Leben hat sich in ihre Gesichter eingeschrieben – was sie für einen Fotografen nicht unbedingt weniger interessant macht. Tim Hackemack, hallo erst mal!
Tim Hackemack: Ja, hallo! Dazu muss man sagen, dass es natürlich auch schon die harten Kids Ende der 70er waren.
Schwarz: Okay! Warst du denn selbst Punk?
Hackemack: Ja, war, und ich würde mich jetzt heute noch als Punk bezeichnen.
Schwarz: Okay!
Hackemack: Ich weiß nicht, was die anderen Menschen sagen, aber ich sage das.
Schwarz: Wie funktioniert das, wenn man älter wird als Punk? Das wird ja nach wie vor als Jugendkultur zumindest eingestuft, vielleicht ist es auch falsch.
Hackemack: Ja, genau. Das ist grundsätzlich, denke ich mal, also nicht nur durch mein Buch, auch durch viele andere Dinge schon erwiesen, dass es natürlich keine Jugendkultur ist, mehr oder weniger eine Subkultur oder eine Gegenkultur. Und wie das Älterwerden sich entwickelt, das ist genauso facettenreich wie bei den jungen Leuten. Man findet ja auch bei den Punks, die heute 20 sind – und ich werde nicht für die sprechen, weil ich viel zu alt dafür bin –, aber auch da findet man kaum bei vielen Dingen einen Konsens. Das sind immer noch Menschen, die gehen alle irgendwo ihre eigenen Wege, und das Wort Punk verbindet sie, aber darüber hinaus kann es trotzdem sein, dass es weiter keine Verbindung da gibt.
Die Menschen vor ihre alten Kulissen gesetzt
Schwarz: Na ja, es gibt zumindest, würde ich sagen, eine Verbindung über die Ästhetik, oder? – über die Kleidung, über das Äußere, wenn man so diesen Bildband von dir durchblättert.
Hackemack: Ja, das kann man sicherlich so sehen, wobei ich auch finde, dass es da auch noch deutliche Unterschiede gibt zwischen den Personen, die dann wirklich sich nennen, noch einen Iro haben, und den Leuten, die dann vielleicht auch einfach nur noch nur kurze Haare haben, also es ist schon noch so ein Unterschied, aber es geht in die gleiche Richtung. In meinem Buch ist es natürlich auch so, dass ich die Fotos gemacht habe, und dann ist das natürlich schon so ein bisschen ein kleiner Eingriff von mir in diese Ästhetik rein. Das sind ja keine Selfies in dem Sinne, so ein bisschen mische ich mich ja da ein.
Schwarz: Ja, wenn man sich mal die Settings betrachtet, du hast die ja schon oft in so aufgelassene Industriebrachen gestellt – Schrottplätze, Bahnanlagen, vor die Graffitiwand, auch oft in so einer starken Pose. Wolltest du das oder haben sich deine Porträtierten auch so in Szene gesetzt?
Hackemack: Es war jetzt so, dass ich immer sagte, wenn ihr was habt, was ihr noch mit der damaligen Zeit oder mit der heutigen Zeit verbindet, dann sagt mir einfach, wo das ist, dann fahren wir dahin. Es gab halt ein paar Personen, die haben dann gesagt, hab ich eigentlich keine Idee, vielleicht auch weil sie vor einer Zeit erst umgezogen sind, und da hab ich dann was ausgesucht, aber ich glaube, in den meisten Fällen haben sie das selber gemacht. Und ja, klar, zieht es einen dann so ein bisschen zum Klischee, was ja auch nicht unbedingt falsch ist. Wenn man jetzt anguckt, wo Punk in den 70ern, 80ern stattfand, das waren dann ja auch oftmals alte Hallen, die sonst keiner haben wollte, oder irgendwelche kaputten alten Discos oder noch irgendwas, irgendwelche besetzten Häuser, das passte ja schon zusammen.
Schwarz: Gut, das ist aber auch halt 30 oder 40 Jahre her, und von den Brachen gibt es ja gar nicht mehr so viele. Also die Frage ist, ob das vielleicht auch so ein bisschen ein nostalgischer Blick auf die guten alten Zeiten ist.
Hackemack: Auf jeden Fall. Ich hab das versucht so ein bisschen zu verhindern, dass es so ein extremer Zeigefinger- und Damals-war-alles-besser-Kontext wird, aber natürlich, wenn man jetzt die Situation nimmt, wie sie heute ist, und man setzt die Leute dann aber vor ihre alten Kulissen, hat das natürlich trotzdem einen kleinen Widerspruch, weil die meisten Personen im Buch sind jetzt relativ gesetzt, die wenigsten wohnen noch in besetzten Häusern – wohnt überhaupt noch einer, ich überlege gerade –, zumindest wohnen Menschen in ehemals besetzten Häusern noch.
Schwarz: Was ist denn aus den Punks von damals geworden oder aus denen, die immer noch heute sich als Punk definieren, aber es ist ja gar nicht so leicht, dieses Konzept dann auch in so ein gesetztes Leben hinüberzuführen, ne?
Hackemack: Das war auch der Ansatz für mein Buch. 2012 war meine Frau schwanger, ich hab mich sehr gefreut, aber zeitgleich natürlich auch so, wahrscheinlich klassisch, halb Midlife-Crisis-, männlichmäßig gedacht, oh mein Gott, ich kann jetzt nie wieder rausgehen, was ist nur los. Und dann war ich auf einem Konzert und hab Frank Herbst, der auch im Buch drin ist, getroffen, und der hat drei Kinder, und dann fiel mir auf, dass ich den eigentlich relativ oft auf Konzerten sehe. Und dann hab ich gedacht …
Schwarz: ...das Leben ist noch nicht zu Ende.
"Ganz sicher nicht nur Äußerlichkeiten"
Hackemack: Das einmal, gut, aber ich hab dann auch für mich jetzt so gedacht, ich guck mich mal um, und hab gesehen, dass eigentlich ganz viele Leute in seinem Alter da sind. Und dann hab ich gedacht, okay, wenn man jetzt 16 ist und man wohnt bei Mama und Papa und man kriegt ein bisschen Taschengeld und man muss dann morgens von acht bis eins zur Schule und das war's, dann ist Punksein ein relativ einfach, weil dann passiert nichts. Aber wenn man zwei, drei Kinder hat und man hat Verantwortung und man muss dafür sorgen, dass man auch das nächste Mal, wenn das Auto kaputt geht, es repariert wird, dann ist das natürlich deutlich schwieriger, noch diese ideelle Seite des Punk mit reinzubringen – entweder Konzerte zu veranstalten oder auch nur Konzerte zu besuchen, eine Band zu haben, ein Fanzine zu machen oder irgendwas in diese Richtung. Das erfordert natürlich deutlich mehr Idealismus, denn die wenigsten in diesem Bereich verdienen Geld damit.
Schwarz: Es gibt in dem Buch zum Beispiel auch einen Bilanzbuchhalter im Anzug, der aber bis zum Fingeransatz tätowiert ist. Sind das Äußerlichkeiten oder sind das dann doch Geisteshaltungen, die den Ex-Punk vom Spießer unterscheiden?
Hackemack: Es sind ganz sicher nicht nur Äußerlichkeiten. Es gibt so diesen Begriff im Punk, der heißt so Hülse, das ist jemand, der nach außen hin alles mitmacht und dann aber nichts dahintersteckt. Die gibt es natürlich und die gibt es auch im Punk, ich würde aber sagen, dass die nicht in meinem Buch drin sind. Und ich meine Tätowierungen, das macht es heute nicht mehr aus. Jeder Edeka-Kassierer ist heutzutage tätowiert, und während damals die Menschen noch an einem Punkt anfingen, sich mal den Oberarm zu tätowieren, dass man das also nicht sah, wenn man ein Hemd trägt, fangen ja alle heute genau da an zu tätowieren, damit es sofort jeder sieht. Entweder tätowiert man sich den Hals und kauft sich dann V-Ausschnitt-T-Shirts, die dann bis zum Bauchnabel runtergehen, damit auch wirklich keiner es nicht mitkriegt, oder man tätowiert sich direkt die Hand, damit es jeder mitkriegt. Das ist ja eine ganz andere Situation. Also die Tätowierung macht es nicht aus, es macht schon aus, was da drin ist.
Schwarz: Aber – was ist da drin?
Hackemack: Ach, das ist schön. Jeder einzelne Mensch, der jemals Punk definieren wollte, der ist gescheitert, und deswegen will ich da jetzt auch nicht mit anfangen, das zu versuchen, das kann nur nach hinten losgehen. Ich glaube, das muss halt jeder für sich selber machen, das ist das Schöne dabei, und dann zum Teil auch das Frustrierende. Man muss einfach verstehen, dass es da zum einen natürlich ganz viel um Musik geht und um Spaßhaben, zeitgleich gibt es Menschen, die das rein auf Politik reduzieren. Es gibt keine einheitliche Erklärung dafür, und das macht es ja irgendwie auch spannend, und das führt ja auch zu diesen ganzen, ich nenne es jetzt mal 'Grabenkämpfen', dass dann wieder einzelnen Personen abgesprochen werden kann, dass sie Punk sind.
Schwarz: Tim Hackemack, vielen Dank!
Hackemack: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.