Tim Mälzer: Mehr investieren für das Essen unserer Kinder

Mälzer: Wir müssen uns monetär ein wenig steigern.
Mälzer: Wir müssen uns monetär ein wenig steigern. © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Tim Mälzer im Gespräch mit André Hatting |
Wie können Ernährung und Kochen im Unterricht eine Rolle spielen? Diese Frage hat Fernsehkoch Tim Mälzer direkt an die Kinder gestellt, die er spielerisch kulinarisch erziehen möchte. An die Eltern appelliert er, etwas mehr Geld für die Mahlzeiten in Schule und Kita auszugeben und solidarisch ärmere Familien zu unterstützen.
André Hatting: Grießbrei mit Erdbeerkompott und Kirschen – wer das Ende September in einer ostdeutschen Kita als Nachtisch wählte, der hatte Pech. Die Erdbeeren waren mit Noroviren verseucht, 11.000 Kinder in Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erkrankten an Brechdurchfall. Dieser Fall hat dazu geführt, wieder einmal über die Qualität von Kita- und Schulessen nachzudenken. Was nehmen unsere Kinder da eigentlich jeden Tag zu sich? Ist das wirklich gesund? – Am Telefon ist jetzt Tim Mälzer. Er ist nicht nur einer der berühmtesten Köche Deutschlands, das wussten Sie sicher. Mälzer hat 2010 auch eine Auszeichnung bekommen in der Kategorie "Ernährungsaufklärung für Deutschlands Schulküchen". Guten Morgen, Herr Mälzer!

Tim Mälzer: Ja, schönen guten Morgen!

Hatting: Ist Schulessen entweder preiswert und schlecht oder teuer und gut?

Mälzer: Ich glaube nicht, dass man das alles immer so verallgemeinern sollte. Ich glaube, die endgültige Lösung, die ist wirklich schwer zu finden. Ich denke aber, dass es doch eine ganze Menge Missverständnisse und auch Missstände gibt in schulverpflegenden Kantinen. Ich glaube also, ein Anspruch, dass das Essen, das man Kindern zur Verfügung stellt, so günstig wie möglich sein muss, in Verbindung mit der Qualität sich manchmal ein bisschen beißt. Ich will jetzt nicht sagen, dass dann so was wie der Norovirus eine logische Konsequenz ist, aber ich würde schon so weit gehen, dass der Inhalt dessen, was da viele Kinder zu sich nehmen, nicht unbedingt das ist, was ihnen eigentlich zusteht.

Hatting: Das Problem, Sie haben es schon angesprochen, ist oftmals ein finanzielles. Die Schulen sagen, na ja, wenn wir ein geringes Budget haben für Mahlzeiten, Kostendurchschnitt 3,50 Euro, der Elternbeitrag liegt dann etwa bei 2,50 Euro, dann nehmen wir eben Küchen, die das so anbieten können, und dann müssen es eben die Erdbeeren nicht mehr aus Polen, sondern aus China sein. Wie löst man den Widerspruch auf?

Mälzer: Es ist ja teilweise sehr unterschiedlich, inwiefern dieses Schulessen subventioniert ist. Generell würde ich sagen, wenn wir uns jetzt mit der Zukunft beschäftigen und solche Dinge nicht mehr haben wollen, dann sollte man wirklich einen allgemein gültigen Satz für alle Schüler entwickeln. Ich denke schon, dass wir inhaltlich als auch monetär uns ein wenig steigern müssen. Soll heißen: Wir sind nun mal in einer Gesellschaft, wo auch der Stärkere den Schwächeren schützen müsste oder stärken sollte, und wenn ich jetzt finanziell in der Lage bin, 3,50 Euro für ein Schulessen zur Verfügung zu stellen, damit mein Kind jeden Tag hochwertiges Essen bekommt, das dann zusätzlich noch subventioniert wird, und ich eventuell mit meinen 3,50 Euro auch 50 Cent für eventuell Familien mit zur Verfügung stelle, die es nicht ganz so dicke haben, ich finde, dann ist das eigentlich eine sinnvolle Konsequenz. Und ich finde auch, dass Eltern einfach erst mal umdenken sollten. Wenn jetzt irgendjemand die finanziellen Mittel zur Verfügung stellt und sagen, ja, ich will ja nichts ausgeben für mein Kind und 2,50 Euro ist mir schon zu viel, dann muss ich ganz ehrlich sagen, dann holt man sich lieber einen Hund und nicht ein Kind.

Hatting: Finden Sie es eigentlich grundsätzlich besser, wenn in den Schulen und Kitas selbst gekocht würde, statt dass man aufgewärmtes Essen quer durch die Stadt karren muss?

Mälzer: Tendenziell ja. Aber das ist, glaube ich, ein Wunschglaube. Der finanzielle Aufwand, die räumlichen Möglichkeiten als auch die fachliche Qualifikation, an jeder einzelnen Schule selber zu kochen, das halte ich für schwachsinnig. Aber ich glaube schon, dass es zum Beispiel eine Restriktion geben sollte für Schulverpfleger, eine bestimmte Größenordnung nicht zu überschreiten, denn ich denke, auch mit professionellem Hintergrund, ich sage mal, 3 bis 5000 Kids in der regionalen Ebene, die werde ich verpflegen können. Wenn ich aber jetzt anfange, ein Schulverpfleger zu sein, der 60.000 Essen macht, dann bin ich lange genug zur Schule gegangen und kann eins und eins zusammenzählen, was am Ende des Tages daraus wird.

Hatting: Sie haben, Herr Mälzer, Anfang Oktober einen Wettbewerb gestartet, bei dem Schüler aus ganz Deutschland Vorschläge machen können, wie die Themen Ernährung und Kochen unterrichtet werden können, also wie sie eine Rolle im Schulunterricht spielen können. Was kommen denn da für Vorschläge?

Mälzer: Das schöne ist, wir haben ein Konzept entwickelt, dass ich schon möchte, dass Jugendliche sich auch mit dem Thema Ernährung auseinandersetzen, aber nicht so dogmatisch, wie es sonst so ist. Mir geht es jetzt nicht zwangsläufig um den Vitamin B12-Gehalt der roten Paprika, sondern ich möchte, dass die Kinder genauso wie wir Sport, Musik oder Kunst erlernen dürfen, spielerisch mit dieser Welt in Verbindung gebracht werden. Das heißt, wir bauen Unterrichtsräume zu Küchen aus, und diese Räume sollen dann auf unterschiedliche Art und Weise genutzt werden. Das kann, ich sage mal, die wirtschaftliche Schul-AG sein, die jetzt auf einmal anfängt, gegebenenfalls Schulfeste, Geburtstage oder Ähnliches zu catern und kann damit einen kleinen Umsatz machen, dadurch komme ich ein wenig in diese Wirtschaftsberechnung rein. Es kann aber der soziale Austauschpunkt sein, das heißt das gemeinsame Kochen, die gemeinsame Mahlzeit. Es kann Sprachunterricht stattfinden, es kann irgendein Moralunterricht in solchen Sachen stattfinden, nicht zwangsläufig immer mit einem Bewertungssystem, aber Essen und Trinken ist eigentlich so ein Verbindungsglied in so vielen unterschiedlichen Themen, dass da wirklich der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind.

Hatting: Immer weniger Schüler nutzen die Schulküche. Das könnte damit zusammenhängen, dass Tomatensoße mit Gabelspaghetti jetzt auch nicht unbedingt kulinarisch so wahnsinnig reizvoll klingt. Es könnte aber auch damit zusammenhängen, dass, wenn man lieber Burgern geht, das ein Problem ist einer mangelnden kulinarischen Erziehung. Wie sehen Sie das?

Mälzer: Ich glaube, das ist eher ein Erwachsenenproblem. Wir haben selber eine Forsa-Umfrage in Auftrag gegeben, und da sind wirklich überraschende Ergebnisse zum Vorschein gekommen, nämlich sprich, dass über 70 Prozent der Kinder sich wirklich für gutes Essen interessieren. 30 bis 40 Prozent finden Kochen sogar ziemlich lässig und cool auf eine Art und Weise. Es gibt einen ganz kleinen Bestandteil, dem es nun wirklich, wirklich egal ist, aber ich denke schon, dass eine gewisse kulinarische Erziehung auch dazu gehört, um eine Vielfalt zu sich zu nehmen, und dann steht ja auch dem Burger nichts im Wege.

Hatting: Also Kochen gehört in den Stundenplan, gehört in den Unterricht?

Mälzer: Für mich gehört eigentlich Ernährung und Essen eher in den heimatlichen Bereich, in die Haushaltsküche. Aber wir haben nun mal ein anderes Freizeitverhalten, wir haben andere Familienmodelle. Wir leben ein anderes Leben als noch vor 30 Jahren, uns werden immer mehr und mehr Aufgaben "zugemutet", und ich finde halt, dass man das Thema Ernährung da nicht vernachlässigen sollte, weil es hat eine ganze Menge Konsequenzen, und ich meine jetzt nicht nur die gesundheitlichen.

Hatting: Der Fernsehkoch Tim Mälzer über das Essen an deutschen Kitas und Schulen und wie man es verbessern kann. Vielen Dank für das Gespräch und noch eine gute Fahrt!

Mälzer: Danke schön!

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