Mühsamer Wiederaufbau einer Wüstenperle
Einst war Timbuktu ein magischer Ort, das Zentrum des mystischen Islams. Die legendäre Oasenstadt war reich an kulturellen Gütern und Gebäuden, bevor Islamisten die meisten Mausoleen und Teile der berühmten Manuskript-Sammlung verbrannten.
"Jeder Reisende, der nach Timbuktu kommt, wird sofort erkennen: Diese Stadt liegt am Boden. Immer noch. So wie ihr Symbol am Boden liegt - die Reiterstatue des Al Farouk."
Hallé Ousmane, der Bürgermeister von Timbuktu, musste die Zerstörung seiner Stadt mit ansehen, als die Islamisten kamen, im Frühjahr 2012. Al Farouk haben sie den Kopf abgeschlagen. Und seinem Pferd die Vorderbeine. Der stolze Reiter, Jahrhunderte als Heiliger verehrt, kann Timbuktu nicht mehr beschützen. Das müssen jetzt Soldaten erledigen.
"Wer die Tore zur Stadt durchschreitet und zum Platz der Unabhängigkeit geht, der wird sofort an die furchtbarste Zeit erinnert, die Timbuktu je erlebt hat. Wir versuchen ja, das alles hinter uns zu lassen. Aber ein einziger Blick auf diese Statue zerreißt mir das Herz."
"Hier gab es sicher weit mehr als eintausend Islamisten. Alle möglichen Gruppen waren hier."
Als wäre es gestern gewesen, sagt Ali Baba, der früher einmal Touristen durch die Stadt geführt hat: Bärtige Männer mit dunklen Turbanen rasten durch Timbuktu, in tarnfarbenen Pick-Up-Geländewagen, mit schweren Maschinengewehren auf den Ladeflächen. Wie in vielen anderen Städten im Norden Malis wehte auch über Timbuktu die schwarze Fahne der Islampolizei. Mehr als zehn Monate, bis zur Befreiung durch französische, malische und andere afrikanische Truppen Ende Januar 2013, wüteten hier selbst ernannten Heiligen Krieger in der Stadt. Plünderten Häuser, vergewaltigten Frauen, hackten Dieben die Hände ab, verboten den Menschen Alkohol, Sport und Musik.
Mit den Tuareg-Rebellen kamen die Islamisten
"Es war einfach furchtbar, als die Tuareg-Rebellen kamen, und mit ihnen die Islamisten ..."
Boubacar Diallo arbeitet in Timbuktu als Regionaldirektor für das malische Kulturministerium:
"Diese Leute sagten, der Ahnenkult, die Verehrung der Heiligen, die Masken, die Schriften... - alles hier sei unislamisch, es sei Teufelszeug, Gotteslästerung. Von Allah dürfe es keine Bildnisse geben, Götzen dürften nicht angebetet werden – deshalb wollten sie alles zerstören. Aber sie wussten auch ganz genau, dass die Mausoleen weltberühmt waren. Und sie wussten, dass sie eine Menge Aufmerksamkeit bekommen würden, wenn sie sie einfach kurz und klein schlagen... so kam es ja dann auch ..."
Die Bilder gingen um die Welt: Unter Allahu-Akbar-Rufen, mit Spitzhacken und Äxten, zertrümmerten die Besatzer binnen weniger Wochen Dutzende Grabstätten zu Wüstenstaub: die Mausoleen von Sidi Mahmud, Sidi Moctar, Alpha Moya, Cheikh Ousmane el Kabir und vielen anderen. Alle waren sie große Gelehrte des mystischen, weltoffenen Sufi-Islam. Durch ihren Einfluss wurde Timbuktu, die Karawanen- und Handelsstadt an der nordwestlichsten Biegung des Niger, im 15. und 16. Jahrhundert zu einem blühenden Zentrum der islamischen Welt.
Inzwischen sind die ersten Mausoleen restauriert – das Geld für den Wiederaufbau der beschädigten oder zerstörten Bauwerke kommt vor allem von der UNESCO und der UN-Blauhelmmission MINUSMA.
Mohamed Alhousseyni Traoré steht auf einer schmalen Hausmauer, auf der Schulter trägt er einen schweren Eimer Lehm. Mit vier anderen Handwerkern versucht der Maurermeister, eine der 35 privaten Bibliotheken von Timbuktu zu restaurieren. Hier war eine der berühmten Schriftensammlungen untergebracht, heute ist nur noch eine Ruine übrig.
"Der Selbstmordattentäter hat mit seinem Sprengstoff eine so massive Explosion ausgelöst, dass hier die Decke eingestürzt ist. Das Grab der zwei Heiligen, die hier bestattet sind, ist schwer beschädigt."
Der schwerste Bombenanschlag, den Timbuktu je erlebt hat, ereignete sich im September 2013 – da galt die Stadt offiziell längst als befreit. Mehrere Tonnen Sprengstoff zerstörten das Camp der malischen Armee und rissen einen mehr als sieben Meter tiefen Krater. Die gesamte Medina wurde beschädigt - die mit traditionellen Lehmziegeln gebaute, hunderte Jahre alte Innenstadt von Timbuktu. Jedes zweite Haus, das zum Welterbe gehört, hat Risse in den Wänden, es droht Einsturzgefahr.
"Jeder Schuss, jede Granate, jede Bombe hat Druckwellen ausgelöst. Das hat diese alten Lehmbauten hier schwer belastet, genauso wie die schweren Fahrzeuge, die hier noch immer durchfahren: damals waren es die Geländewagen-Konvois der Islamisten, heute sind es die Lkws der UN-Mission. Überall sind Risse in den Wänden, manche Dächer sind eingestürzt. Oft müssen wir beschädigte Mauern erst einmal bis auf den Grund abtragen – um sie wieder aufzubauen!"
Sebastien Diallo ist Architekt und leitet die Bauarbeiten.
Zwar fließt endlich Geld aus den Töpfen der UNESCO. Doch von den geschätzten zehn Millionen Euro, die für die Restaurierung von Bibliotheken, Mausoleen und Manuskripten nötig wären, haben die Vereinten Nationen bislang nur zweieinhalb Millionen zusammenbekommen. Auch das ein Grund, warum in Timbuktu nur an maximal drei Baustellen gleichzeitig gearbeitet werden kann. Die Sanierung soll so traditionsgerecht sein wie möglich – deswegen ist sie teuer. Mauern sollen wie üblich mit „Banco" gesetzt werden– mit den sonnengetrockneten Ziegeln aus Lehm und Stroh. Verputzt werden die Wände dann mit „Alhor": Dafür braucht Architekt Sebastien Diallo die so genannte Bourem-Erde – ein Phosphatpulver, das extra aus der 45 Kilometer entfernten Stadt Bourem nach Timbuktu gebracht werden muss. Ein Zentner kostet derzeit rund 40 Euro. Kleine Pinassen transportieren die Säcke auf dem Niger – die Strecke ist momentan wegen neuer Anschläge von Islamisten nicht sicher. Aber das Risiko, sagt der Architekt, müsse man eingehen.
"Die Bourem-Erde wird mit Sand aus den Dünen von Timbuktu vermischt, dann kommt Karité-Butter dazu, und auch Gummi Arabicum: der klebrige Saft der Akazie ist das perfekte Bindemittel. Das Ganze wird zu einem Brei eingekocht und als elastischer Putz auf die Lehmziegelwände aufgetragen. Die verputzten Mauern bleiben luftdurchlässig: So wurde hier immer schon gebaut. Heute aber verwenden viele Menschen Zement. Sie denken, der sei stabiler als Alhor – aber Zement ist eine Katastrophe! Er verschandelt nicht nur die Optik der Medina. Er bekommt auch schnell Risse, im Winter ist es in zementierten Räumen sehr kalt, im Sommer sehr heiß. Mit Alhor dagegen braucht man keine Klimaanlage ..."
Dschihadisten spritzen sich Drogen und plünderten
Alhassane Hasseye versucht, die Erinnerung an die Islamisten irgendwie wegzuspachteln. Der neue Fensterrahmen passt immer noch nicht: Als hätten sie nicht schon genug Schaden angerichtet, sagt der Maurer - auch hier, in der verwüsteten Bibliothek des Imams Ben Essayouti, direkt gegenüber der Djingareyber-Moschee:
"Diese bösen Menschen.. - ich kann es kaum beschreiben, weil es mich so schmerzt und weil alles wieder hochkommt. Sie haben diese Stadt zerstört und ihr die Seele geraubt. Als sie kamen, konnte niemand diese Bibliothek verteidigen. Hier in diesem Raum haben Wissenschaftler geforscht, hier standen Computer. Jetzt ist alles weg. Sie haben sich einfach alles genommen."
Abdoulaye Cissé leidet noch immer unter Alpträumen. Der stellvertretende Direktor des staatlichen Ahmed-Baba-Instituts hat alles miterlebt. Hilflos musste er zusehen, wie Al Kaida-Kämpfer und Tuareg-Milizen in Timbuktu herum schossen. Wie Dschihadisten monatelang im Neubau seines Forschungszentrums hausten, sich Drogen spritzen, plünderten – ausgerechnet dort, wo wertvolle, hunderte Jahre alte Manuskripte gelagert waren. Als der Befreiungskampf um Timbuktu begann und französische Spezialeinheiten anrückten, legten die Islamisten dann Feuer. Mitten in der Bibliothek.
"Sie haben die Manuskripte verbrannt, weil sie uns im tiefsten Innern verletzen wollten. Sie wussten genau, was sie uns bedeuten, wie wertvoll sie sind. Es war Absicht. Sie hätten mehr als zehn Monate Zeit gehabt, um hier alles zu zerstören – aber sie haben abgewartet und erst in letzter Minute Feuer gelegt."
Genau 4203 Schriften hat das staatliche Ahmed-Baba-Institut verloren. Abdoulaye Cissé erzählt, wie die Asche jahrhundertealter Manuskripte durch die Flure wehte: ein bitterer Verlust. Doch zu dieser Zeit waren die allermeisten Manuskripte aus dem Ahmed-Baba-Institut und aus vielen privaten Bibliotheken schon in Sicherheit.
Während der ersten Tage der Besatzung hatte der Archivar Abdelkader Haidara erkannt, dass er dringend handeln musste – die Islamisten waren dabei, die Mausoleen zu zerstören. Er wusste: Das schriftliche Erbe von Jahrhunderten stand auf dem Spiel.
"Ich kenne die Besitzer der Schriften schon lange, sie vertrauen mir, denn ich habe mich mein ganzes Leben damit befasst. Ich wusste, was für einen Schatz wir in unserer Stadt haben, und mir ging es immer darum, diesen Schatz vor Feinden zu schützen – diesmal mussten wir eben schneller sein als die Islamisten!"
Abdelkader Haidara startete eine einzigartige Rettungsaktion. Mitarbeiter des Ahmed-Baba-Instituts und viele Privatleute brachten ihm ihre Schätze in Säcken. Nach und nach kaufte Haidara fast 2500 unauffällige Metallkisten, wie sie in Westafrika für Transporte und Umzüge verwendet werden. Darin versteckte er fast 300.000 Manuskripte und schmuggelte sie nach Süden – fast tausend Kilometer, bis in die Hauptstadt Bamako. Geschehen musste das so diskret wie möglich, damit die Islamisten keinen Verdacht schöpften. Auf Eselskarren, auf Booten, in Sammeltaxis oder in Bussen konnten immer nur wenige Kisten auf einmal transportiert werden, versteckt unter Obst und Gemüse oder getrocknetem Fisch. Jede einzelne Seite Weisheit sei die Lebensgefahr wert gewesen, sagt Abdelkader Haidara heute.
"Unter den Manuskripten gibt es Koran-Ausgaben, Koran-Kommentare, religionsphilosophische Texte. Es gibt Schriften zu Geschichte, Musik und Literatur, zu Naturwissenschaften wie Biologie, Astronomie, Medizin, Physik, oder Mathematik. Außerdem finden wir dort Gedichte, Tagebücher, auch Manuskripte, die von Korruption sprechen, von Menschenrechten, von guter Regierungsführung, von der Lösung von Konflikten, von Toleranz!"
Mit den Manuskripten wird auch die Seele der Stadt restauriert
In Bamako drängt nun die Zeit. Hier ist es viel feuchter als in der Wüstenstadt Timbuktu, das Klima in der Hauptstadt ist Gift für die Manuskripte, die zum Teil bis ins 10. und 11. Jahrhundert zurückreichen. In den Metallkisten sammelt sich das Kondenswasser, die Termiten die sich in den Seiten eingenistet haben, zernagen das venezianische Büttenpapier und die Umschläge aus Ziegen- oder Kamelleder. Unter der Leitung von Abdelkader Haidara arbeitet ein Team von Helfern und Wissenschaftlern fieberhaft daran, die Schriften vor dem Zerfall zu retten – eine mühsame, aufwändige und teure Arbeit.
"Das Analysieren und Katalogisieren dauert rund zwei Stunden, die Reinigung der Manuskripte ebenfalls zwei Stunden, die Digitalisierung 30 Minuten – pro Seite. Für diese säurefreien Pappkartons braucht man zwei bis drei Stunden. Ja – diese Arbeit erfordert viel Geduld. Die Männer machen hier im Erdgeschoss alles Handwerkliche. Um das eigentliche Restaurieren der Manuskripte kümmern sich im ersten Stock die Frauen – sie sind einfach sensibler und vorsichtiger als die Männer."
Vielen internationale Partner finanzieren das Konservierungsprojekt in Bamako: Dubai, die Niederlande, die USA, Luxemburg, die Schweiz, und auch Deutschland. Das Auswärtige Amt und die Gerda-Henkel-Stiftung in Düsseldorf steuern rund eine Million Euro bei. Wissenschaftler vom Sonderforschungsbereich „Manuskriptkulturen" der Universität Hamburg sind regelmäßig vor Ort. Abdelkader Haidara hofft, dass die Unterstützung aus aller Welt anhält. Denn es sind noch zehntausende Seiten zu retten.
"Wir müssen diese Manuskripte veröffentlichen, übersetzen, in die großen Weltsprachen, und auch in die lokalen Dialekte. In diesen Texten liegt die Medizin für unsere Sorgen. Afrikanische Toleranz, die Friedfertigkeit des Islam – all das steckt in diesen alten Schriften. Sie sind von großer Bedeutung für die gesamte Menschheit. Sie sind der Schlüssel für all unsere aktuellen Probleme, die Krisen, die uns belasten, in Afrika und anderswo auf der Welt."
Es sei, sagt der Archivar aus Timbuktu, als würde mit den Manuskripten auch die Seele einer tief verletzten Stadt restauriert - und damit die Seelen ihrer Bewohner.