Timo Daum: "Die Künstliche Intelligenz des Kapitals"

Alte Logik im neuen Gewand

05:42 Minuten
Ein Roboter mit einem Tabelet steht in einer Messehalle und begrüßt die Passanten.
Das freundliche Gesicht des digitalen Kapitalismus: Timo Daum fordert die Vergemeinschaftung von Algorithmen © Nautilus / Imago / C. Hardt
Von Vera Linß · 29.03.2019
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Der Kapitalismus erfinde sich immer wieder neu, erklärt der Physiker Timo Daum. Und Dank der riesigen Datenmengen von heute würden Algorithmen zum Herrschaftsinstrument. Mit seinem Buch hebt Daum die Debatte über Algorithmen auf ein neues Level.
Künstliche Intelligenz (KI) gehört zu den meist diskutierten Phänomen unserer Zeit. Jeder begegnet ihr – beim Onlineshopping, im Gespräch mit Sprachassistenten oder bei der Kreditvergabe. Selbst Sozialleistungen werden in manchen Ländern schon mithilfe von KI verteilt.

Werbetrick zur Geldakquise

Die Debatte über diese Technologie muss aber viel analytischer geführt werden als bisher, lautet die Botschaft von Timo Daums neuem Buch. Vor zwei Jahren hat der preisgekrönte Autor die Funktionsweise der "digitalen Ökonomie" beschrieben. Jetzt geht es ihm darum, welche Rolle Künstliche Intelligenz darin spielt.
Immer wieder wird diese im Guten wie im Schlechten mystifiziert. Timo Daum wundert das nicht. Er hält die Wortschöpfung "Künstliche Intelligenz" für nicht mehr als einen "werbewirksamen Marketingbegriff", den der Mathematiker John McCarthy 1956 erfunden hat, weil er Geld für einen Sommerworkshop akquirieren wollte.
Ein Bärendienst, findet Daum. Er warnt: Alles was Maschinen mit Intelligenz und Lernen in Verbindung bringt, ist irreführend und umhüllt sie mit einer metaphorischen Aura. Stattdessen fordert er, eine Sprache zu nutzen, die aussagt, worum es tatsächlich geht: Algorithmen werden mit Daten gefüttert und trainiert, um daraus Muster oder Vorhersagen zu erstellen.

Marx hatte recht

Doch warum werden sie ausgerechnet jetzt überall eingesetzt? An den vielen Beispielen, die der studierte Physiker anführt, wird klar: Mit dem Siegeszug des digitalen Kapitalismus, der riesige Datenmengen produziert, können Algorithmen erst jetzt ihr Potential entfalten.
Und es gibt noch einen weiteren Grund. Die klassische Produktion wirft immer weniger Mehrwert ab, deshalb habe sich das Kapitel den viel profitableren Daten zugewandt. Karl Marx habe Recht behalten: Der Kapitalismus erfindet sich immer wieder neu.
Das ist der spannende Blickwinkel, den der IT-Experte den vielen Publikationen hinzufügt, die derzeit zu Künstlicher Intelligenz auf dem Markt sind. Er beschreibt die Technologie als Teil des kapitalistischen Wirtschaftssystems, entlarvt sie als "Herrschaftsinstrument" und zieht mit Hilfe von Theoretikern wie Karl Marx oder dem noch jungen Kanadier Nick Srnicek Parallelen zu vordigitalen Stadien des Kapitalismus.

Alternativen zum Datenkapitalismus

"Ihre Leitlinien und Ethik sind diejenigen des Kapitals", resümiert Daum mit Blick auf die Algorithmen. Nur logisch: Die meisten Investitionen dienten in erster Linie dazu herauszufinden, was wir als nächstes kaufen werden.
Nötig ist aus Daums Sicht eine Kritik der politischen Ökonomie der Datengesellschaft mit dem Ziel einer "Datenwende". Seine Vorschlag: Zuallererst die Vergemeinschaftung von Technologien rund um KI. Eine Wikipedia für alle stellt er sich vor.
Menschen sollten nur Arbeiten ausüben, die Maschinen nicht können. Das könne die Konkurrenz zwischen Mensch und Maschine beenden. Radikale Ideen. Sein lesenswertes Buch, soviel ist klar, belebt nicht nur die Debatte über Algorithmen. Es hebt sie auch auf ein neues Level.

Timo Daum: "Die Künstliche Intelligenz des Kapitals"
Edition Nautilus, Hamburg 2019
192 Seiten, 16 Euro

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