Die Trompeterin und der Dirigent
Die Norwegerin Tine Thing Helseth spielt Trompete, als würde sie singen. Der russische Dirigent Vasily Petrenko gilt als Workoholic. Seit mehreren Jahren musizieren die jungen Stars erfolgreich zusammen. Am Sonntag sind sie in der Berliner Philharmonie zu erleben.
Es gehört zu den widerlegten Klischees, dass Trompeter männlich sein müssen. Das "ganz und gar kriegerische Instrument, das stählerne Lungenflügel erfordert", wie der Musikgelehrte Christian Friedrich Daniel Schubart es nannte – kennt kein Geschlecht. Wenn man der Norwegerin Tine Thing Helseth bei der Arbeit zusieht, hat man den Eindruck, sie ist mit der Trompete am Mund geboren – so sehr verschmilzt sie mit ihrem Instrument.
Für sie sei es ganz natürlich, sich durch ihr Instrument auszudrücken, sagt Tine Thing Helseth. Sie spielt Trompete, als würde sie singen. Gerade weil sie so verbunden ist mit ihrem Instrument, bekannte die junge Norwegerin: Die Trompete ist meine Stimme!
Tine Thing Helseth ist eine Musikerin, die den Boden unter den Füßen nie verloren hat. Sie ist ein Star ohne erkennbare Allüren. Das zeigt sich in ihrem unprätentiösen Auftreten genauso wie in ihrer Webpräsenz. Ob Facebook, Twitter oder Youtube. Wer daran interessiert ist, kann sich auf dem Laufenden halten, wo sich die agile Musikerin gerade wieder herumtreibt. Es gibt mittlerweile sogar eine Smartphone-App, mit der Tine Thing Helseth ihren Fans zeigt, was gerade in ihrer Welt passiert. Selfie mit Gitarrist Milos Karadaglić oder Radiosendung in Oslo – Tine ist nicht lange an einem Ort…
Gemeinsam sind wir mehr. Diesem Gedanken folgend sucht Tine Thing Helseth trotz ihrer solistischen Tätigkeit die musikalische Gemeinschaft. Zehn junge Frauen hat sie vor Jahren zum Ensemble Ten Thing zusammengeschlossen, um abgefahrene Bläserarrangements zu präsentieren. Mit dem Tine Thing Helseth Quintet geht es in Richtung Jazz, Rock oder Tango. Der Klang der Trompete, sagt sie, passt sich in viele Stile und Genres gut ein.
Die Chemie stimmt
Ihrem Geburtsort Oslo ist die Trompeterin treu geblieben. Hier kam es 2014 zur Begegnung mit dem russischen Dirigenten Vasily Petrenko, als dieser das Philharmonische Orchester übernahm. Dass die Chemie zwischen beiden stimmt, konnte man bereits im Konzert erleben. Der warme Ton von Helseths Trompete passt zum dynamischen Orchesterklang des Dirigenten.
"Musik ist nicht Noten. Musik ist mehr als Noten. Musik ist: Emotionen, sie ist Geschichte – andere Sachen. Noten sind ein abstraktes Symbol."
Der Dirigent Vasily Petrenko kommt aus Sankt Petersburg, hat dort eine harte Schule durchlaufen – berühmt berüchtigt ist die dortige älteste Musikschule Russlands: Capella, eine Kaderschmiede mit gnadenlosem Auswahlverfahren. Fast wie eine Olympiade, sagt Petrenko, und ist stolz darauf, unter den Finalisten gewesen zu sein.
"Am Ende wusste ich, dass es wie ein Leben sein muss. Jeden Tag muss ich mich verbessern – jeder Tag muss besser sein als der letzte Tag."
Dass der Workoholic Petrenko heute Chef mehrerer Orchester ist, ist also kein Zufall. Die harte Arbeit hat sich bezahlt gemacht. Mittlerweile lebt der gebürtige Petersburger in Oslo und Liverpool, absolviert 110 bis 120 Konzerte im Jahr auf der ganzen Welt. In Liverpool wurde sogar ein Bier nach ihm benannt. Und wenn es seine Zeit zulässt, geht der leidenschaftliche Fußballer auch gerne selbst auf’s Feld um zu spielen. Denn ein Leben ohne Musik ist für Vasily Petrenko genauso nutzlos wie Musik ohne Leben. Darin ist er sich mit Tine Thing Helseth einig.
"Ja, wenn ich keine Musik mache, dann fühlt sich mein Leben leer an. Ja, es muss eine Hingabe, es muss ein Lebenswerk sein."