Tinnitus

Der Feind im Ohr

Eine Frau hält sich die Ohren zu
Das Gehirn entscheidet, ob man den Tinnitus hört oder nicht, und nicht das Ohr. © dpa / Klaus Rose
Es kann ein hoher Ton sein, ein Pfeifen, Rauschen oder Brummen. Die Krankheit Tinnitus gibt selbst Experten noch Rätsel auf. Stress wird heute als Ursache weitgehend ausgeschlossen, steuert aber die Wahrnehmung des Störgeräuschs.
"Es ist dann belastend, wenn ich in völliger Ruhe bin, das bin ich zum Beispiel in meinem Arbeitszimmer, das bin ich, wenn ich abends zu Bett gehe und im Bett liege, das bin ich beim Autofahren, wenn ich auf langen Strecken leise oder ungestört vor mich hinfahre, dann höre ich ihn, und dadurch wird er auch lauter, das heißt wenn ich ihn wahrnehme und bewusst erlebe, dann steigert sich das auch so dass es manchmal wirklich unerträglich ist."
Stefan Müller, 47, ist Lehrer, Musiker in einer Rockband, Vater von drei Kindern. Der Tinnitus war auf einmal da, vor einem Jahr, in einer Phase privater und beruflicher Anspannung, in der er noch dazu viel laute Musik gemacht hatte. Seit fünf Wochen ist Müller, der in Wirklichkeit anders heißt, in der Schön Klinik in Prien am Chiemsee, in der vor rund 30 Jahren eine der bundesweit ersten Abteilungen für Tinnitus-Erkrankte eröffnet wurde. Aufgebaut hat sie Professor Gerhard Goebel, der auch im Vorstand der Deutschen Tinnitus Liga ist. Die Krankheit gibt selbst ihm als Experten noch Rätsel auf, etwa wie sie entsteht: Bei 30 bis 40 Prozent der Betroffenen ist unklar, was die primäre Ursache des Tinnitus ist.
Oft sind es Schwerhörige, die unter diesen seltsamen Geräuschen leiden, es kann ein hoher Ton sein, ein Surren, ein Rauschen, ein Brummen wie bei einem Rasenmäher. Bei vielen steht eine Schädigung des Innenohres am Anfang, etwa nach großer Lärmbelastung oder in Folge eines Hörsturzes. Wenn die Geräusche nicht innerhalb von drei Monaten verschwinden, wird das Leiden chronisch:
Goebel:"Vielleicht schon nach einigen Tagen macht sich der Tinnitus im Gehirn selbstständig und läuft da im Kreis herum, so wie so eine festgefahrene Software und da kann man am Ohr machen, was man will, das bleibt. Und der Kernsatz ist heute, nach den wissenschaftlichen Studien, die wir im Moment haben, dass das Gehirn entscheidet, ob man den Tinnitus hört oder nicht, und nicht das Ohr."
Mehrere Hirnregionen spielen eine Rolle
Man geht davon aus, dass beim Tinnitus mehrere Hirnregionen eine Rolle spielen, neben dem auditorischen Kortex, dem Hörzentrum. Wie das Zusammenspiel der Regionen genau funktioniert, weiß man jedoch noch nicht. Tinnitus kann entstehen, so eine Erklärung, weil das Gehirn versucht, eine Hörminderung zu kompensieren. Stress wird heute als Ursache weitgehend ausgeschlossen.
"Da würden wir sagen: der Stress ist die Ursache dafür, dass du den Tinnitus hörst, den du vorher nicht beachtet hast. Und beim chronischen Tinnitus wissen wir, dass der Stress das Ohrgeräusch rauf und runter machen kann, aber selbst wenn wir den Hörnerv durchtrennen, bleibt der Tinnitus und der Stress bewegt den Tinnitus rauf und runter, obwohl das Ohr quasi keinen Kontakt mehr hat zum Gehirn."
Aktuelle Forschungen interessieren sich deshalb besonders dafür, wie die Abläufe im Gehirn verändert werden können. Etwa durch die "repetitive transkranielle Magnetstimulation": Durch magnetische Impulse von außen hofft man, die Aktivität bestimmter überaktiver Hirnstrukturen beeinflussen zu können. Geforscht wird auch an auditorischen Stimulationsverfahren, in denen Töne oder Musiken eingesetzt werden, wobei der Frequenzbereich des Störgeräusches ausgewählt oder bewusst ausgespart wird.
Doch wirklich heilen lässt sich der Tinnitus, wenn er einmal chronisch ist, bisher nicht. Nur in der Anfangsphase können Medikamente wie Kortison helfen
Dem Patienten die Angst nehmen
Was bleibt, ist zu lernen, mit dem Rauschen und Brummen zu leben. Bewährt hat sich dabei die Kognitive Verhaltenstherapie, in Verbindung mit Entspannungstechniken. Ziel ist es, dem Patienten die Angst zu nehmen,
"Und ihm zu sagen: Bitte hör auf, jeden Morgen beim Aufwachen sofort nachzudenken, hab ich ihn noch, hat er sich verändert, ist er auf der anderen Seite auch? Also dieses sich auf den Tinnitus zu fokussieren, aufzugeben und zu schauen, wo ist eine seelische Belastung im Hintergrund, die mit in die Behandlung einbezogen worden muss."
Stefan Müller hat während seines Klinikaufenthalts die Hoffnung aufgegeben, den Tinnitus besiegen zu können.
"Was ich aber hier gelernt habe, ist, ihn anders zu bewerten, ihn anders wahrzunehmen. Ich habe ihn in der Anfangszeit als wirklichen Feind, als Bedrohung meines Lebens gesehen, als einen Feind, der mich möglicherweise ruinieren wird, der mich in eine Tablettenabhängigkeit führen wird, der mich beruflich ruiniert, der mein Familienleben zerstört. Das glaube ich jetzt nicht mehr, ich weiß, dass er das nicht ist, er ist ein lästiger Untermieter, so würde ich ihn jetzt bezeichnen, vielleicht auch ein Indikator, der mir sagt, dass ich aufpassen muss auf mich. Ich werde mit diesem Handicap weiter leben, aber ich kann damit leben, das glaube ich mittlerweile ganz fest."
Internetlinks:
Die Selbsthilfeorganisation Deutsche Tinnitus Liga 
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