Tobias Rapp: Loveparade wird niemandem fehlen
Nach der Katastrophe von Duisburg haben die Veranstalter das Ende der Loveparade bekanntgegeben. Dem Ruhrgebiet werde sie jedoch nicht fehlen, glaubt der Journalist Tobias Rapp, denn anders als in Berlin wurde durch die Loveparade kein "warmer Geldstrom in die ganze Infrastruktur vor Ort gespült".
Joachim Scholl: Dance or die - tanz oder stirb. Dieser Slogan prangte auf Buttons und Stickern bei der Loveparade in Duisburg, und aus dem makaber-gedankenlosen Partyspruch ist für 19 Menschen tödlicher Ernst geworden. Wer verantwortlich ist, wird die Justiz klären müssen, die Loveparade als Spaß- und Tanzfest jedenfalls ist am Ende, der Veranstalter hat gestern das Aus erklärt. Im Studio ist jetzt Tobias Rapp, Musikjournalist beim "Spiegel", Autor des Buches "Lost and Sound" über die Berliner Technoszene. Ich grüße Sie, Herr Rapp!
Tobias Rapp: Hallo!
Scholl: 1989 begann die Geschichte der Loveparade, Sie, Herr Rapp, haben das Ereignis seither journalistisch verfolgt. Haben Sie jetzt am Samstag, Sonntag angesichts dieser schlimmen Bilder auch gedacht, jetzt ist die Party endgültig aus?
Rapp: Nein, also der Kulturkritiker in mir, der hat dann doch erst später angefangen zu ticken. Zuerst war bei mir tatsächlich das blanke Entsetzen. Das waren ja fürchterliche Bilder, die da zu sehen war. Was das alles zu bedeuten haben könnte, da habe ich erst viel später drüber nachgedacht. Zunächst mal habe ich - und auch die Freunde, mit denen ich dann drüber gesprochen habe - mich tatsächlich gewundert, und die Verwunderung hält ja immer noch an: Wie kann so was passieren, was ist da los? Eigentlich denkt man doch, dass es genug Erfahrungen gibt mittlerweile im Organisieren von solchen Großveranstaltungen, im sicheren Organisieren von solchen Großveranstaltungen, es gab genug davon. Dass so was passieren kann, macht mich doch immer noch fassungslos.
Scholl: Ich meine, wir wollen jetzt hier nicht mit spekulieren, wer wie wo warum versagt hat. Mittlerweile klären sich aber diese Dimensionen. Das Gelände in Duisburg war höchstens für 250- bis 350.000 Besucher angelegt, an die 1,4 Millionen sind gekommen. Man hat den Eindruck, es war eine Katastrophe mit Ansage, oder?
Rapp: Ja, wenn man die Zeitungen so liest, hat man das. Ich habe da jetzt allerdings auch keine besseren Informationen als die, die wahrscheinlich auch jeder Hörer hat. Was sich mir so aufdrängt, ist doch der Eindruck, als wäre eine Stadt mit ihren eigenen Erwartungen und Träumen nicht fertig geworden. Ich glaube, Duisburg wollte da irgendwie mitspielen in so einem Konzert der großen Kulturevents und war aber nicht in der Lage oder auch nicht willens, das dann so durchzuziehen, wie das in den anderen Städten gemacht wurde.
Scholl: Sie, Herr Rapp, haben in der Hochzeit der Loveparade ja fast jede mitgemacht. Ich meine, binnen weniger Jahre ist aus so einer kleinen Sache ein Megaevent mit Millionen Zulauf geworden. Nachgerade ist es ja fast erstaunlich, dass nie etwas Ähnliches passiert ist.
Rapp: Ja, von heute aus wundert man sich da vielleicht auch ein bisschen, wobei auf der einen Seite muss man sagen, die Technoszene ist ja eine sehr friedliche Szene, also es kommt ja sehr selten zu Schlägereien oder Messerstechereien oder Ähnlichem, was ja sonst oft der Fall ist, wenn viele junge Leute auf einem Platz sich versammeln. Und die Technoszene, das ist ja auch allgemein bekannt, ist jetzt auch keine Szene von Kostverächtern, also da wird ja auch viel getrunken und da werden auch Drogen konsumiert. Also das ist schon erstaunlich, dass da nie was passiert ist.
Auf der anderen Seite muss man jetzt einfach mal sagen, in Berlin die Loveparade war immer sehr gut organisiert. Es gab einmal tatsächlich eine Loveparade, wo es zu ein paar kritischen Situationen kam, das war, als sie das letzte Mal auf dem Kurfürstendamm war. Die Entscheidung, dass man dann gesagt hat, wir können das nicht mehr verantworten, das in der Stadt zu machen, wir müssen das jetzt raus in den Tiergarten tragen, weil anders die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, man braucht Fluchtwege, das war natürlich vollkommen richtig. Im Tiergarten hätte so was wie jetzt in Duisburg nie passieren können, weil man konnte ja einfach in die Bäume gehen.
Scholl: Kommen wir mal zum Wesen der Loveparade, Herr Rapp. Die Loveparade war ja so zumindest in der ersten Zeit gewissermaßen ja die Erste-Mai-Demonstration der Technobewegung, so die zentrale Kundgebung. Was war das eigentlich für ein Lebensgefühl, das sich hier damals ausgedrückt hat?
Rapp: Ich glaube, dass da mehrere Sachen zusammengekommen sind. Also zum einen war natürlich ganz prominent ... von heute aus betrachtet ist natürlich diese ... ist die Loveparade der sinnfälligste Ausdruck des neuen Images der Stadt Berlin geworden, also dass Berlin eben nicht mehr diese Trümmerstadt, nicht mehr diese halbierte Stadt, die da im Schatten des Kalten Krieges irgendwie vor sich hin vegetiert, sondern dass man auf diesen Trümmern tanzen kann, dass diese Trümmer bunt sein können, dass sich da was Neues entwickelt, mit dem Zentralsymbol eben dieser, der Umwidmung der Siegessäule, dass das eben kein Symbol mehr war für den deutschen Militarismus, sondern auf einmal die Bühne für Hunderttausende von Menschen, die da hingegangen sind, um Musik sich anzuhören. Das ist das eine.
Auf der anderen Seite muss man sagen, die Loveparade selbst hat ihren popkulturellen Kern oder ihren avantgardistischen Impetus, den sie in den ersten Jahren doch ganz stark hatte, schon ab Mitte der 90er doch aufgegeben. Also das war schon, ich weiß nicht, ab der Mitte der 90er, ab 1997/98 war das doch schon mehr Volksfest als Undergroundspektakel.
Scholl: Ich meine, die Loveparade hat ja damals also gerade zu Beginn auch ausgestrahlt, für die Technobewegung, auf die vielen, vielen Raves, die überall stattfanden und am Wochenende auch Hunderttausende hinpilgerten, nicht nur in Berlin, sondern in Frankfurt, Dortmund, München oder sogar ins Ausland nach Ibiza flogen und diese Geschichten. Wie wichtig ist eigentlich im Verlauf so dieser Jahre dann die Musik geblieben, und spielte sie überhaupt dort diese Rolle, diese zentrale?
Rapp: Am Anfang war die Musik tatsächlich sehr wichtig, also das war ja auch noch die Vor-Internet-Zeit. Man wollte mal gucken, was machen denn die DJs aus den anderen Städten so und so. Das hat sich tatsächlich aus mehreren Gründen mit der zunehmenden Größe des Ganzen geändert.
Zum einen war es ja so, wenn man bei einer Millionen Menschen, wenn man da stand, die meiste Zeit hat man sowieso keine Musik gehört. Also bis ein Wagen bei einem ankam, das dauerte. Und dann war der Wagen schon wieder weg, und dann musste man noch mal eine halbe Stunde warten, bis der nächste Wagen kam. Also so viel Musik war da gar nicht. Das haben die Organisatoren dann irgendwann ausgeglichen, indem sie überall Lautsprecher aufgestellt haben, dass man zumindest bei der Abschlusskundgebung alles hören könnte.
Aber das war doch auch wegen der Anforderungen der Sponsoren und so, das war doch die letzten 15 Jahre schon eher eine Veranstaltung, wo mainstreamartige Technomusik lief. Die große Vielfalt, die da in den ersten Jahren war, die konnte man bei der Loveparade tatsächlich nie finden.
Aber diese Idee, dass man diese Musik eben nicht nur im Keller hören möchte oder im Club, sondern dass diese Musik an der frischen Luft auch funktioniert, da war die Loveparade natürlich wichtig, für die Propagierung dieser Idee. Aber da gab es auch andere - in England haben auch Hunderttausende von Leuten irgendwelche Grafschaften platt getanzt. Also das Starke nach der Loveparade war tatsächlich dieser Symbolwert, den die Veranstalter ja auch für sich in Geld umsetzen konnten.
Scholl: Die Loveparade am Ende. Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Musikjournalisten Tobias Rapp. Mit 150 Leutchen und ein paar Wagen ging es damals 1989 auf dem Berliner Ku'damm los, eine Idee des Dr. Motte, der immer noch in der Szene irrlichtert. Als dann die Sache zur Millionenshow wurde, hieß es bald, es ist nur noch Kommerz, nur noch eine Zuschütt- und Zudröhnorgie. Wie haben Sie diese Entwicklung empfunden, Herr Rapp?
Rapp: Ja, ich tu mich immer sehr schwer mit diesem Kommerzargument. Ich meine, wir haben es hier mit Popkultur zu tun. Popkultur ist immer Kommerz. Also die nichtkommerzielle Popkultur gibt es nicht. Es gibt höchstens irgendwie subventionierte Kultur, das ist dann Oper und Theater, aber auch da muss das Geld irgendwo fließen.
Also ich glaube, was man gegen die Loveparade ab einem gewissen Punkt schon einwenden konnte, war, dass sie sehr viel einförmiger wurde, was die musikalische Auswahl angeht und dass sie natürlich für viele Leute, die am Anfang dabei waren, die für sich in Anspruch nahmen, dieses: Wir sind dabei, wenn etwas passiert, wir erfinden hier gerade eine neue Jugendkultur. Dieses Gefühl, das geht natürlich verloren, wenn man auf einmal mit 1,5 Millionen bunt kostümierten Arbeiterhelmträgern, Bauarbeiterhelmträgern so da rumsteht und Bier trinkt. Da hat man dieses Gefühl der Avantgarde, das hat man da nicht mehr. Und das ist ja in so popkulturellen Undergroundzusammenhängen auch immer wichtig, dass man das Gefühl hat, ich weiß es und die anderen wissen es nicht.
Scholl: Ich meine, die Kritik des Kommerzes wird nun jetzt nach der Katastrophe natürlich überall ventiliert, nur noch irgendwas zwischen Ballermann und Public Viewing sei die Loveparade, heißt es etwa. Wenn wir uns jetzt mal vorstellen, am Wochenende wäre nichts passiert, dann wäre ja der Dinosaurier Loveparade vermutlich nächstes Jahr in die nächste Stadt gestampft. Wie finden Sie es eigentlich, dass jetzt Schluss ist?
Rapp: Nun, ich glaube tatsächlich, dass der Welt mit der Loveparade jetzt nichts fehlt. Also der Stadt Berlin fehlt mit der Loveparade nichts, ich glaube nicht, dass es in Berlin irgendjemanden gibt, der sie vermisst hat. Ich glaube, dass das Ruhrgebiet, das tatsächlich eher Probleme …Also, dass es im Ruhrgebiet so ein Ausmaß annehmen konnte, das hat, glaube ich, eher was damit zu tun, dass das Ruhrgebiet tatsächlich größere Probleme hat, sich kulturell zu finden. Also wenn man die Loveparade in Berlin damals gesehen hat, dann war das ja immer was, wo ganz viel Partys drumrum stattfanden, auch, das war ja auch Teil, was den Charme ausgemacht hat.
Die Loveparade, so wie sie in den Ruhrgebietsstädten stattgefunden hat, in meiner Wahrnehmung, war doch immer eine Party, wo wenn die Loveparade vorbei war, alle nach Hause gefahren sind. Also so ein Großevent wie die Loveparade, finde ich, macht ja nur dann, hat dann nur wirklich Sinn gemacht, wenn es so eine Art warmen Geldstrom in auch die ganze Infrastruktur vor Ort gespült hat. Und da das im Ruhrgebiet eh nicht der Fall war, also weder in Dortmund noch jetzt in Duisburg, glaube ich, fehlt auch dem Ruhrgebiet da nichts.
Scholl: Also Popkulturhistoriker, Herr Rapp, wenn Sie diesen Blick ansetzen würden, was wird von der Loveparade bleiben?
Rapp: Nun, ich glaube, dass diese Bilder, die wir von der Loveparade kennen, also diese fröhlichen Bilder von bunten Leuten, die in der Sonne tanzen, die an Laternenmasten hochgekraxelt sind und da so mitwippen, das sind, glaube ich, die entscheidenden Bilder, die von der Loveparade bleiben werden. Also diese Idee, dass es da eine zum ersten Mal eine gesamtdeutsche, die erste gesamtdeutsche Popkultur gegeben hat, die so ein ganz anderes Bild von Deutschland und von Berlin und von Jugend, wie wir das hier haben, produziert hat, das, finde ich, bleibt davon.
Und ich finde auch, dass man wirklich immer noch mal sagen muss, dass Technomusik auch 20 Jahre später nach der Erfindung immer noch wirklich radikale, außergewöhnliche Musik ist. Das ist Musik, die ganz anders ist als alles, was in den letzten 300 Jahren im Abendland an Musik gemacht worden ist. Es ist Musik, die einen Rhythmus favorisiert, nicht die Melodie. Das ist Musik, die sehr auf den Körper wirkt, nicht auf den Kopf. Das ist keine intellektuelle Musik. Das sollte ...
Scholl: Techno wird die Loveparade überleben?
Rapp: Ja sicher, ja sicher. Dass diese Musik so viele Menschen anziehen kann, also dass so eine radikale Musik so viele Menschen auf die Straße holen kann, ich glaube, das ist das, was auch jetzt immer noch mich begeistern und überraschen kann. Und ich meine, ob das jetzt eine Loveparade ist oder ob es eins dieser zahllosen, einer der zahllosen Raves ist, die ja auch jedes Wochenende im Sommer in mehreren Orten in Deutschland auf dem Land stattfinden, wo ja auch 20-, 30-, 40.000 Menschen dann immer hinfahren, das ist dann am Ende auch irrelevant.
Scholl: Diese Party ist jedenfalls aus, die Loveparade am Ende. Das war eine Rückschau mit Tobias Rapp. Er arbeitet als Musikjournalist beim "Spiegel". Sein Buch "Lost and Sound" ist im vergangenen Jahr im Suhrkamp-Verlag erschienen. Herzlichen Dank, Herr Rapp!
Rapp: Gerne!
Tobias Rapp: Hallo!
Scholl: 1989 begann die Geschichte der Loveparade, Sie, Herr Rapp, haben das Ereignis seither journalistisch verfolgt. Haben Sie jetzt am Samstag, Sonntag angesichts dieser schlimmen Bilder auch gedacht, jetzt ist die Party endgültig aus?
Rapp: Nein, also der Kulturkritiker in mir, der hat dann doch erst später angefangen zu ticken. Zuerst war bei mir tatsächlich das blanke Entsetzen. Das waren ja fürchterliche Bilder, die da zu sehen war. Was das alles zu bedeuten haben könnte, da habe ich erst viel später drüber nachgedacht. Zunächst mal habe ich - und auch die Freunde, mit denen ich dann drüber gesprochen habe - mich tatsächlich gewundert, und die Verwunderung hält ja immer noch an: Wie kann so was passieren, was ist da los? Eigentlich denkt man doch, dass es genug Erfahrungen gibt mittlerweile im Organisieren von solchen Großveranstaltungen, im sicheren Organisieren von solchen Großveranstaltungen, es gab genug davon. Dass so was passieren kann, macht mich doch immer noch fassungslos.
Scholl: Ich meine, wir wollen jetzt hier nicht mit spekulieren, wer wie wo warum versagt hat. Mittlerweile klären sich aber diese Dimensionen. Das Gelände in Duisburg war höchstens für 250- bis 350.000 Besucher angelegt, an die 1,4 Millionen sind gekommen. Man hat den Eindruck, es war eine Katastrophe mit Ansage, oder?
Rapp: Ja, wenn man die Zeitungen so liest, hat man das. Ich habe da jetzt allerdings auch keine besseren Informationen als die, die wahrscheinlich auch jeder Hörer hat. Was sich mir so aufdrängt, ist doch der Eindruck, als wäre eine Stadt mit ihren eigenen Erwartungen und Träumen nicht fertig geworden. Ich glaube, Duisburg wollte da irgendwie mitspielen in so einem Konzert der großen Kulturevents und war aber nicht in der Lage oder auch nicht willens, das dann so durchzuziehen, wie das in den anderen Städten gemacht wurde.
Scholl: Sie, Herr Rapp, haben in der Hochzeit der Loveparade ja fast jede mitgemacht. Ich meine, binnen weniger Jahre ist aus so einer kleinen Sache ein Megaevent mit Millionen Zulauf geworden. Nachgerade ist es ja fast erstaunlich, dass nie etwas Ähnliches passiert ist.
Rapp: Ja, von heute aus wundert man sich da vielleicht auch ein bisschen, wobei auf der einen Seite muss man sagen, die Technoszene ist ja eine sehr friedliche Szene, also es kommt ja sehr selten zu Schlägereien oder Messerstechereien oder Ähnlichem, was ja sonst oft der Fall ist, wenn viele junge Leute auf einem Platz sich versammeln. Und die Technoszene, das ist ja auch allgemein bekannt, ist jetzt auch keine Szene von Kostverächtern, also da wird ja auch viel getrunken und da werden auch Drogen konsumiert. Also das ist schon erstaunlich, dass da nie was passiert ist.
Auf der anderen Seite muss man jetzt einfach mal sagen, in Berlin die Loveparade war immer sehr gut organisiert. Es gab einmal tatsächlich eine Loveparade, wo es zu ein paar kritischen Situationen kam, das war, als sie das letzte Mal auf dem Kurfürstendamm war. Die Entscheidung, dass man dann gesagt hat, wir können das nicht mehr verantworten, das in der Stadt zu machen, wir müssen das jetzt raus in den Tiergarten tragen, weil anders die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, man braucht Fluchtwege, das war natürlich vollkommen richtig. Im Tiergarten hätte so was wie jetzt in Duisburg nie passieren können, weil man konnte ja einfach in die Bäume gehen.
Scholl: Kommen wir mal zum Wesen der Loveparade, Herr Rapp. Die Loveparade war ja so zumindest in der ersten Zeit gewissermaßen ja die Erste-Mai-Demonstration der Technobewegung, so die zentrale Kundgebung. Was war das eigentlich für ein Lebensgefühl, das sich hier damals ausgedrückt hat?
Rapp: Ich glaube, dass da mehrere Sachen zusammengekommen sind. Also zum einen war natürlich ganz prominent ... von heute aus betrachtet ist natürlich diese ... ist die Loveparade der sinnfälligste Ausdruck des neuen Images der Stadt Berlin geworden, also dass Berlin eben nicht mehr diese Trümmerstadt, nicht mehr diese halbierte Stadt, die da im Schatten des Kalten Krieges irgendwie vor sich hin vegetiert, sondern dass man auf diesen Trümmern tanzen kann, dass diese Trümmer bunt sein können, dass sich da was Neues entwickelt, mit dem Zentralsymbol eben dieser, der Umwidmung der Siegessäule, dass das eben kein Symbol mehr war für den deutschen Militarismus, sondern auf einmal die Bühne für Hunderttausende von Menschen, die da hingegangen sind, um Musik sich anzuhören. Das ist das eine.
Auf der anderen Seite muss man sagen, die Loveparade selbst hat ihren popkulturellen Kern oder ihren avantgardistischen Impetus, den sie in den ersten Jahren doch ganz stark hatte, schon ab Mitte der 90er doch aufgegeben. Also das war schon, ich weiß nicht, ab der Mitte der 90er, ab 1997/98 war das doch schon mehr Volksfest als Undergroundspektakel.
Scholl: Ich meine, die Loveparade hat ja damals also gerade zu Beginn auch ausgestrahlt, für die Technobewegung, auf die vielen, vielen Raves, die überall stattfanden und am Wochenende auch Hunderttausende hinpilgerten, nicht nur in Berlin, sondern in Frankfurt, Dortmund, München oder sogar ins Ausland nach Ibiza flogen und diese Geschichten. Wie wichtig ist eigentlich im Verlauf so dieser Jahre dann die Musik geblieben, und spielte sie überhaupt dort diese Rolle, diese zentrale?
Rapp: Am Anfang war die Musik tatsächlich sehr wichtig, also das war ja auch noch die Vor-Internet-Zeit. Man wollte mal gucken, was machen denn die DJs aus den anderen Städten so und so. Das hat sich tatsächlich aus mehreren Gründen mit der zunehmenden Größe des Ganzen geändert.
Zum einen war es ja so, wenn man bei einer Millionen Menschen, wenn man da stand, die meiste Zeit hat man sowieso keine Musik gehört. Also bis ein Wagen bei einem ankam, das dauerte. Und dann war der Wagen schon wieder weg, und dann musste man noch mal eine halbe Stunde warten, bis der nächste Wagen kam. Also so viel Musik war da gar nicht. Das haben die Organisatoren dann irgendwann ausgeglichen, indem sie überall Lautsprecher aufgestellt haben, dass man zumindest bei der Abschlusskundgebung alles hören könnte.
Aber das war doch auch wegen der Anforderungen der Sponsoren und so, das war doch die letzten 15 Jahre schon eher eine Veranstaltung, wo mainstreamartige Technomusik lief. Die große Vielfalt, die da in den ersten Jahren war, die konnte man bei der Loveparade tatsächlich nie finden.
Aber diese Idee, dass man diese Musik eben nicht nur im Keller hören möchte oder im Club, sondern dass diese Musik an der frischen Luft auch funktioniert, da war die Loveparade natürlich wichtig, für die Propagierung dieser Idee. Aber da gab es auch andere - in England haben auch Hunderttausende von Leuten irgendwelche Grafschaften platt getanzt. Also das Starke nach der Loveparade war tatsächlich dieser Symbolwert, den die Veranstalter ja auch für sich in Geld umsetzen konnten.
Scholl: Die Loveparade am Ende. Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Musikjournalisten Tobias Rapp. Mit 150 Leutchen und ein paar Wagen ging es damals 1989 auf dem Berliner Ku'damm los, eine Idee des Dr. Motte, der immer noch in der Szene irrlichtert. Als dann die Sache zur Millionenshow wurde, hieß es bald, es ist nur noch Kommerz, nur noch eine Zuschütt- und Zudröhnorgie. Wie haben Sie diese Entwicklung empfunden, Herr Rapp?
Rapp: Ja, ich tu mich immer sehr schwer mit diesem Kommerzargument. Ich meine, wir haben es hier mit Popkultur zu tun. Popkultur ist immer Kommerz. Also die nichtkommerzielle Popkultur gibt es nicht. Es gibt höchstens irgendwie subventionierte Kultur, das ist dann Oper und Theater, aber auch da muss das Geld irgendwo fließen.
Also ich glaube, was man gegen die Loveparade ab einem gewissen Punkt schon einwenden konnte, war, dass sie sehr viel einförmiger wurde, was die musikalische Auswahl angeht und dass sie natürlich für viele Leute, die am Anfang dabei waren, die für sich in Anspruch nahmen, dieses: Wir sind dabei, wenn etwas passiert, wir erfinden hier gerade eine neue Jugendkultur. Dieses Gefühl, das geht natürlich verloren, wenn man auf einmal mit 1,5 Millionen bunt kostümierten Arbeiterhelmträgern, Bauarbeiterhelmträgern so da rumsteht und Bier trinkt. Da hat man dieses Gefühl der Avantgarde, das hat man da nicht mehr. Und das ist ja in so popkulturellen Undergroundzusammenhängen auch immer wichtig, dass man das Gefühl hat, ich weiß es und die anderen wissen es nicht.
Scholl: Ich meine, die Kritik des Kommerzes wird nun jetzt nach der Katastrophe natürlich überall ventiliert, nur noch irgendwas zwischen Ballermann und Public Viewing sei die Loveparade, heißt es etwa. Wenn wir uns jetzt mal vorstellen, am Wochenende wäre nichts passiert, dann wäre ja der Dinosaurier Loveparade vermutlich nächstes Jahr in die nächste Stadt gestampft. Wie finden Sie es eigentlich, dass jetzt Schluss ist?
Rapp: Nun, ich glaube tatsächlich, dass der Welt mit der Loveparade jetzt nichts fehlt. Also der Stadt Berlin fehlt mit der Loveparade nichts, ich glaube nicht, dass es in Berlin irgendjemanden gibt, der sie vermisst hat. Ich glaube, dass das Ruhrgebiet, das tatsächlich eher Probleme …Also, dass es im Ruhrgebiet so ein Ausmaß annehmen konnte, das hat, glaube ich, eher was damit zu tun, dass das Ruhrgebiet tatsächlich größere Probleme hat, sich kulturell zu finden. Also wenn man die Loveparade in Berlin damals gesehen hat, dann war das ja immer was, wo ganz viel Partys drumrum stattfanden, auch, das war ja auch Teil, was den Charme ausgemacht hat.
Die Loveparade, so wie sie in den Ruhrgebietsstädten stattgefunden hat, in meiner Wahrnehmung, war doch immer eine Party, wo wenn die Loveparade vorbei war, alle nach Hause gefahren sind. Also so ein Großevent wie die Loveparade, finde ich, macht ja nur dann, hat dann nur wirklich Sinn gemacht, wenn es so eine Art warmen Geldstrom in auch die ganze Infrastruktur vor Ort gespült hat. Und da das im Ruhrgebiet eh nicht der Fall war, also weder in Dortmund noch jetzt in Duisburg, glaube ich, fehlt auch dem Ruhrgebiet da nichts.
Scholl: Also Popkulturhistoriker, Herr Rapp, wenn Sie diesen Blick ansetzen würden, was wird von der Loveparade bleiben?
Rapp: Nun, ich glaube, dass diese Bilder, die wir von der Loveparade kennen, also diese fröhlichen Bilder von bunten Leuten, die in der Sonne tanzen, die an Laternenmasten hochgekraxelt sind und da so mitwippen, das sind, glaube ich, die entscheidenden Bilder, die von der Loveparade bleiben werden. Also diese Idee, dass es da eine zum ersten Mal eine gesamtdeutsche, die erste gesamtdeutsche Popkultur gegeben hat, die so ein ganz anderes Bild von Deutschland und von Berlin und von Jugend, wie wir das hier haben, produziert hat, das, finde ich, bleibt davon.
Und ich finde auch, dass man wirklich immer noch mal sagen muss, dass Technomusik auch 20 Jahre später nach der Erfindung immer noch wirklich radikale, außergewöhnliche Musik ist. Das ist Musik, die ganz anders ist als alles, was in den letzten 300 Jahren im Abendland an Musik gemacht worden ist. Es ist Musik, die einen Rhythmus favorisiert, nicht die Melodie. Das ist Musik, die sehr auf den Körper wirkt, nicht auf den Kopf. Das ist keine intellektuelle Musik. Das sollte ...
Scholl: Techno wird die Loveparade überleben?
Rapp: Ja sicher, ja sicher. Dass diese Musik so viele Menschen anziehen kann, also dass so eine radikale Musik so viele Menschen auf die Straße holen kann, ich glaube, das ist das, was auch jetzt immer noch mich begeistern und überraschen kann. Und ich meine, ob das jetzt eine Loveparade ist oder ob es eins dieser zahllosen, einer der zahllosen Raves ist, die ja auch jedes Wochenende im Sommer in mehreren Orten in Deutschland auf dem Land stattfinden, wo ja auch 20-, 30-, 40.000 Menschen dann immer hinfahren, das ist dann am Ende auch irrelevant.
Scholl: Diese Party ist jedenfalls aus, die Loveparade am Ende. Das war eine Rückschau mit Tobias Rapp. Er arbeitet als Musikjournalist beim "Spiegel". Sein Buch "Lost and Sound" ist im vergangenen Jahr im Suhrkamp-Verlag erschienen. Herzlichen Dank, Herr Rapp!
Rapp: Gerne!