Martin Hossbach, Jens Balzer, Tocotronic: Die Tocotronic Chroniken.
Verlag Blumenbar 2015, 384 Seiten, 49,90 Euro
Stilbildender Eckensteher-Pop
Mit Adorno-Zitaten, Trainingsjacken und Eckensteher-Pop avancierte Tocotronic zum Dauerliebling des Feuilletons. Jetzt sind die "Tocotronic Chroniken" erschienen. Keine klassische Band-Biografie, aber Bilder mit "fast literaturkritischen" Essays, sagt Autor Jens Balzer.
Asymmetrische Frisuren, Parka, Cordhose, Trainingsjacken: Mit dem Mut zum Uncoolen prägen Tocotronic seit Mitte der 1990er Jahre den deutschen Indie-Rock. Jetzt hat die Band ihr Archiv geöffnet - und präsentiert auf knapp 400 Seiten Fotos und Skizzen, Konzertflyer, Rezensionen und anderes Material, dazu Texte des Popkritikers Jens Balzer.
Eine klassische Band-Biografie sei dabei nicht herausgekommen, sagt Balzer. Stattdessen habe er zu jeder Tocotronic-Platte einen Essay geschrieben und die Bilder und Dokumente den chronologischen Zusammenhang herstellen lassen. Das habe ihm den Freiraum gegeben, sich den Songtexten "fast literaturkritisch" zu nähern und "Close Reading" zu betreiben.
"Das fand ich als Aufgabe als Autor ganz reizvoll."
"Ausgesucht uncool"
Die Tocotronic-Chroniken erinnerten auch noch einmal an den Beitrag der Band zur Ikonografie des Pop: Als Tocotronic die Bühne betreten hätten, sei die Szene gerade von den gestählten, ausdauernden Körpern auf den Love-Parades oder vom späten Grunge-Rock geprägt gewesen, sagt Balzer.
"Was es nicht mehr gab, war so der klassische, so der Vorstadt-Jugendliche in seinen uncoolen Klamotten, der - wie es ja eigentlich bei Pop-Musikern häufig so war - in der Klasse immer gedisst wurde, nicht mitmachen durfte, eigentlich eher immer so der Eckensteher war."
Diese Außenseiter-Ikonografie habe Tocotronic wieder zurück auf die Bühne gebracht - unter anderem durch ihre stilbildenden, "ausgesucht uncoolen" Trainingsjacken:
"Es ist aber bei diesen schmächtigen, eben auch leicht gekrümmten, asymmetrischen Körpern immer auch völlig klar, dass die nie gut im Fußball gewesen sind und wahrscheinlich auch nie die Mädchen abgekommen haben, die am Spielfeldrand standen."