Die integrative Kraft des Schlagers
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Griechischer Wein, Azzurro, die Capri-Fischer: Über Schlager hätten sich die Deutschen das Fremde ins Wohnzimmer geholt, so Kulturhistoriker Ingo Grabowsky. Durch Sänger wie Costa Cordalis, Karel Gott oder Roberto Blanco hätten auch die Akzeptanz von Fremden erhöht.
Ute Welty: Vater, Großvater und vor allem Schlagerstar – der Tod von Costa Cordalis hat viele Fans erschüttert. Gestorben ist Cordalis auf Mallorca und geboren wurde er vor 75 Jahren in Griechenland. Überhaupt spiele das Ausland früher eine große Rolle in der Schlagerwelt. Von den spanischen Gitarren über den griechischen Wein bis hin zum Sehnsuchtsort Italien. Warum sich das womöglich geändert hat, darüber spreche ich jetzt mit Ingo Grabowsky. Der Kulturhistoriker weiß, wovon er spricht, denn er ist selber großer Schlagerfan.
"Anita" ist sicherlich Cordalis größter Hit gewesen, er träumte aber auch von Athen, warum war er damit 1979 keine Ausnahme?
Ingo Grabowsky: Das Ausland oder die Fremde vielmehr ist ja im deutschen Schlager seit jeher ein Thema. Das war in den 20er-Jahren, in den 30er-Jahren schon so, dann ganz besonders in den 50ern, als zumeist von Italien geträumt wurde, Italien auch seinerzeit erstmals so richtig als Urlaubsziel entdeckt wurde. Und in den 70ern ging das dann noch mal einen Schritt weiter, damals kamen dann auch etwas fernere Länder wie Griechenland als Urlaubsziel infrage, aber eben auch nicht für den Durchschnittsverdiener vielleicht.
Und der Schlager bot eben auch die Möglichkeit, schon mal für drei Minuten eine kleine Reise zu unternehmen, bevor man sich vielleicht die große leisten konnte. Das ist ein Punkt, ein weiterer wichtiger Punkt ist auch, dass der Schlager gerne auch exotische Musiken, also Sirtaki-ähnliche Melodien und Rhythmen importiert, und dass man natürlich auch für diese exotischen Musiken dann entsprechende Texte braucht. Ich kann zu einem Sirtaki schlecht über Bratkartoffeln und Spiegelei singen.
Via TV kam das Fremde ins Wohnzimmer
Welty: Wäre vielleicht auch eine interessante Kombination. Aber inwiefern haben solche Titel dann auch zur Akzeptanz von Fremdheit in Deutschland beigetragen?
Grabowsky: Ich glaube, tatsächlich sehr stark, auch wenn sich das empirisch nicht belegen lässt. Ich glaube vor allem, dass wir in der Hitparade ja am laufenden Band Sänger aus dem Ausland hatten, die mit Akzent deutsch sangen. Also ich nenne außer Costa Cordalis einfach mal Karel Gott, Mireille Mathieu und viele, viele andere ...
Welty: Später dann Howard Carpendale ...
Grabowsky: Und die hat man sich ja gleichsam ins Wohnzimmer geholt, die wurden zu Freunden der Menschen, die da vor dem Fernseher saßen – und das war ja ungefähr die Hälfte der Nation, kann man sagen. Ich glaube, das hat auch zur Akzeptanz zumindest dieser europäischen Fremden beigetragen. Roberto Blanco ist ja eine der wenigen Ausnahmen, der auch aus dem ferneren Ausland, aus Kuba, kam, aber auch der hat sicherlich dazu beigetragen, dass man vor schwarzen Gesichtern nicht mehr unbedingt Angst hatte.
"Problematische Rolle": Xavier Naidoo
Welty: Heute ist Schlager ja wieder ziemlich in, mit welchem Narrativ – auch im Gegensatz zu früheren Zeiten?
Grabowsky: Also, die Fremde als Topos, die gibt es zwar immer noch, die spielt aber nicht mehr so diese Rolle, das liegt auch, glaube ich, einfach daran, dass für alle hier – leider, muss man ja sagen – mit dem Flieger die Fremde sehr viel schneller erreichbar ist. Aber, ich sage mal, Sänger, die aus dem Ausland kommen und hier Erfolg haben, die gibt es durchaus noch, spielen aber nicht mehr diese Rolle. Ich will mal Semino Rossi nennen, der auch so ein bisschen dieses Argentinische in den Schlager bringt.
Helene Fischer ist übrigens ja auch eine Einwanderin, die ist ja in Russland geboren, kultiviert allerdings dieses Motiv der Fremde heute nicht mehr in ihren Liedern, sodass sie im Grunde diesen Charakter nicht mehr erfüllt. Aber es gibt auch durchaus problematische Rollen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte im Schlager. Ich kann mal an Xavier Naidoo erinnern, der mit seinem Lied "Marionetten" ja gleichsam eine Reichsbürgerhymne gesungen hat – und das eben obgleich er selbst ausländische Wurzeln hat.
"Grenzfigur" Andreas Gabalier
Welty: Manche Teile der heutigen Gesellschaft zeigen Angst vor Fremden, Sie haben gerade schon die Reichsbürger angesprochen. Spiegelt sich das dann auch in der Hitparaden-Musik wider?
Grabowsky: Nicht besonders. Im Wesentlichen, würde ich sagen, stehen die Schlagersänger zum Grundgesetz. Ich erwähnte ja schon Helene Fischer, die ja deutlich auch gegen antisemitische, frauenfeindliche, ausländerfeindliche Texte Stellung bezogen hat. Es gibt aber so Grenzfiguren, Andreas Gabalier gehört etwa dazu, dem durchaus auch vorgeworfen wird, er bediene also mit seinen Liedern so etwas versteckt homosexuellenfeindliche oder frauenfeindliche Muster.
Welty: Inwieweit ist der Schlager also immer auch ein Spiegel der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation?
Grabowsky: Das ist er in irgendeiner Art und Weise immer. Manchmal stärker ausgeprägt, manchmal auch mit Absicht, manchmal einfach, weil wir alle natürlich Spiegel unserer gesellschaftlichen Situation sind. In den 70er-Jahren war es ja so, dass gesellschaftskritische Lieder sehr populär wurden, ich erinnere an Juliane Werdings "Am Tag als Conny Kramer starb", wo es um einen Drogentoten ging, da gab es Lieder, die die Emanzipation der Frau besangen, also Gitte Henning mit "Ich will alles".
Heute ist es so, dass die meisten puren Schlager eher unpolitisch sind. In Teilen wird aber auch hier ein Gesellschaftsbild besungen, das zumindest nicht dem Leitbild der Grünen entspricht, da wird die Frau also häufig zur Person, die eben zu Hause auf den arbeitenden Ehemann wartet.
Welty: Ihnen ist jetzt schon klar, dass ich jetzt den ganzen Tag Juliane Werding im Ohr haben werde?
Grabowsky: Das ist doch eigentlich auch ganz schön! Sie können ja auch das amerikanische Original im Ohr haben.
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