Tod

Die Kunst der letzten Worte

Von Jörg Wunderlich · 20.11.2013
Wer sich professionell als Trauerredner verdingen möchte, sollte sich dazu berufen fühlen. Der Schriftsteller Konrad Potthoff übt diese Tätigkeit seit vielen Jahren aus und hat darüber hinaus Bücher zum schwierigen Thema Tod verfasst.
Konrad Potthoff: "Bankier Lehmann, der ist auch pleite gegangen – die Lehmann-Bank hier in Halle, in den Zwanzigerjahren, bei Spekulationen mit dem Zuckerrübenanbau ...“
Konrad Potthoff kennt sich aus auf dem Stadtgottesacker in Halle an der Saale und weiß Geschichten zu erzählen. Auf dem Renaissancefriedhof liegt viel Lokalprominenz bestattet.
Vor Kurzem wurde ein bekannter Bildhauer hier beerdigt, wenig später starb ein Malerfürst der DDR. Für beide Künstler hielt Konrad Potthoff die Grabreden. Der sensible Umgang mit Worten ist dem Schriftsteller und Philosophen vertraut.
Potthoff: "Ich persönlich halte das Gespräch für wichtiger als dieses Ritual, als diese Zeremonie, wie sie dann abläuft. Natürlich versuche ich dann in der Grabrede einiges von dem zu transportieren, was ich glaube im Gespräch herausbekommen zu haben und das den Leuten rüberzubringen."
Freie Trauerredner wie Konrad Potthoff werden bei nichtkirchlichen Bestattungen engagiert, wie es sie im Osten Deutschlands häufiger gibt. Über 2000 Trauerfälle hat der 63-Jährige bereits begleitet. Daneben arbeitet er als Journalist, Autor und ehrenamtlicher Notfallseelsorger.
Potthoff: "Also ich bin da in ziemlich harten Dingen unterwegs. Theoretisch heißt das sogar Kriseninterventionsteam Bindestrich Notfallseelsorge, wobei ich durch die Begräbnisrednertätigkeit sehr gern mit dem Begriff Seele auch umgehe. Das hat in dem Sinne mit klassischer Religiösität gar nichts zu tun."
Schlüsselerlebnis veränderte sein Leben
Schon als 18-Jähriger schrieb Potthoff seinen ersten Roman - vergnügliche Science-Fiction für Kinder. Die Weltraumgeschichte um einen schrägen weiblichen Roboter namens Wilhelmine wurde ein Bestseller. Noch bevor das Buch aber erscheinen konnte, hatte der Autor ein Schlüsselerlebnis, das seinen Werdegang veränderte und bleibend bestimmte.
Potthoff: "Ich war Bauleiter vom Studentenclub hier in Halle. Ich hatte mich in dem Jahr total übernommen und bin mit einer Herzgeschichte im Krankenhaus gelandet. Ich musste da sechs Wochen straff liegen und in diesen sechs Wochen waren sechs Leute in meinem Zimmer, von denen drei im Nachbarbett gestorben sind.
Die sind nicht einfach nur gestorben, sondern haben mir vorneweg ihr Leben erzählt. Albert Camus sagt 'Die Menschen sterben, und sie sind nicht glücklich'; und was die mir erzählten, kam auch so rüber. Und als wollten sie mir den Beweis dafür liefern, legten sie sich auf die Seite und starben."
Diese einschneidende Erfahrung brachte Potthoff dazu, eine akademische Karriere abzubrechen und stattdessen als Rettungssanitäter zu arbeiten. Parallel studierte er Philosophie und diplomierte schließlich über den Existenzialismus. Ende der Achtzigerjahre erschien sein Essayband "Die endlose Straße" - das erste und einzige Buch in der DDR, das sich ausschließlich mit dem Thema Tod beschäftigte.
Die Verfilmung seines Romans "Rückkehr aus der Wüste" war der letzte reguläre DEFA-Film und kam 1990 noch in die Kinos der untergehenden Republik. Zu diesem Zeitpunkt gab es für den Autor längst keine Aufträge und Projekte mehr.
Potthoff: "Mit meinen sämtlichen Abschlüssen und Berufen hatte ich erst mal schlechte Karten. Da habe ich das getan, was am sinnvollsten erschien und habe die Wende und nachfolgenden Ereignisse, während sich die meisten anderen in Position brachten, auf dem Rettungswagen erlebt mit völlig neuen Eindrücken. Das waren zum Beispiel Schussverletzungen, die wir zu DDR-Zeiten nicht gesehen hatten, oder dass uralte Westautos beim Fahren in der Mitte auseinanderbrachen und irgendwo dazwischen der Fahrer lag."
Für ihn hat der Tod seinen Schrecken verloren
In den Neunzigerjahren engagierte sich Konrad Potthoff stark im Soziokulturbereich und gründete unter anderem ein Künstlerhaus, einen Kreativverein und einen Verlag. Eine Freundin brachte ihn schließlich auf die Idee, sich als Trauerredner zu versuchen und verhalf ihm damit zu seiner neuen Berufung. Nach diesem Schritt hat der Autor auch die literarische Arbeit über den Tod wieder aufgenommen. 2010 erschien ein Kinderbuch zum Thema, aus dem er oft in Schulklassen vorliest.
Potthoff: "Die Lehrer laden mich ganz gern in den Ethikunterricht ein und die sind gar nicht so böse, wenn ich da mit voller Kanne einsteige. Die Kinder haben nicht das Päckel auf dem Rücken, das die Erwachsenen tragen. Die gehen damit so natürlich um, während die Lehrer in der letzten Reihe mit den Tränen kämpfen.
Ich halte jede Form für gut, sich mit diesem Thema zu Lebzeiten auseinanderzusetzen, weil die Verdrängung bringt nichts. Die fällt einem dann gewaltig auf die Füße. Nicht nur, wenn man selber stirbt, da ist es einem relativ Wurst, aber es passieren ja dann auch in dem Bereich der Menschen, die man liebt, naturgemäß solche Dinge."
Für Konrad Potthoff hat der Tod in all seinen Facetten seinen Schrecken verloren. Diese schwer erarbeitete Haltung weiß er nicht nur Kindern nahezubringen. Seit einem Jahr schreibt der Autor auch an einem neuen Buch für erwachsene Leser. Darin lässt er den Tod diesmal selbst als Hauptfigur auftreten.
Potthoff: "Alles, was so absurd und komisch wie möglich ist, nehme ich als äußeren Rahmen, um andere Dinge zu transportieren. Das ganze ist ein Schelmenroman, aber es geht auch sehr ernsthaft zu und wahrscheinlich kann man das gar nicht anders erzählen. Ich schreibe mit so viel Lust, Freude und innerer Zufriedenheit wie damals, als ich die Wilhelmine geschrieben habe."