Was ist seriöse Krebstherapie?
Der Tod von Patienten eines alternativen Krebszentrums am Niederrhein hat die Debatte um die Wirksamkeit von alternative Therapien gegen den Krebs neu entfacht. Der anthroposophische Krebsspezialist Friedemann Schad plädiert für ein integratives onkologisches Konzept.
Zwei Frauen und ein Mann aus den Niederlanden waren Ende Juli kurz nach der Behandlung in einem alternativen, selbsternannten "Krebszentrum" eines Heilpraktikers in Brüggen am Niederrhein gestorben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und fahrlässiger Körperverletzung. Die genaue Todesursache ist noch nicht bekannt.
Der Leiter der Onkologie des anthroposophischen Krankenhauses Havelhöhe, Friedemann Schad, plädiert für integrative Therapiekonzepte bei Krebserkrankungen und warnt vor unseriösen Behandlungsangeboten an Krebspatienten.
Hellhörig und misstrauisch werden, wo Schulmedizin "verteufelt" werde
Patienten sollten hellhörig werden, wenn Behandlungsverfahren angeboten würden, die sehr teuer seien. Auch dort, wo von klassischer Schulmedizin radikal abgeraten und diese auf ideologische Art "verteufelt" werde oder Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Patient und Behandler geschaffen würden, gelte es misstrauisch zu sein, sagte Schad im Deutschlandradio Kultur. Angebotene Infusionen mit unbekannten Inhaltstoffen für 2000 Euro pro Ampulle seien nicht serös, erklärte der leitende Arzt des Onkologischen Zentrums im anthroposophischen Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe.
Integrativer Behandlungsansatz
In der neu entfachten Debatte um alternative Behandlungsmethoden nach den Todesfällen von Patienten eines alternativen Krebszentrums am Niederrhein plädierte Schad für einen integrativen Behandlungsansatz und für Begriffsklärungen. Im Unterschied zu alternativer Medizin, die die Ablehnung von Schulmedizin und naturwissenschaftliche Methoden umfasse, sei in den letzten Jahrzehnten der Begriff komplementäre Medizin (CAM) entstanden. Dabei werde auf ergänzende Verfahren gesetzt. In den letzten Jahren sei der Begriff der integrativen Medizin aufgekommen, so der Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie und Arzt für Anthroposophische Medizin (GAÄD).
Ressourcen von Patienten aktivieren helfen
Ergänzend zu den drei klassischen schulmedizinischen Methoden moderner Krebstherapie, Operation, Chemotherapie und Strahlentherapie, arbeite beispielsweise die anthroposophische Klinik Havelhöhe mit einem solchen integrativen Ansatz. Verfahren wie künstlerische und Bewegungstherapie sowie Psychoonkologie zielten darauf ab, die Ressourcen von Patienten angesichts der mit großen Ängsten verbundenen Krankheit zu aktivieren. "Integrativ meint in diesem Fall, wir stehen voll und ganz auf dem Boden der naturwissenschaftlichen Medizin, der Schulmedizin. Wir gehen auch, wo immer es sinnvoll ist, leitlinienorientiert vor zum Beispiel, aber wir ergänzen diese Verfahren durch ein etwas breiteres Angebot, um den Patienten durch diese sehr schwere Erkrankung durchzuhelfen." Wichtig sei für das Onkologische Zentrum der hohen Qualitätsnachweis durch die Zertifizierung der Deutschen Krebsgesellschaft für die gesamte Expertise der medizinischen Onkologie.
Das Interview im Wortlaut:
Katrin Heise: Gegen eine alternative Krebspraxis in Brüggen am Niederrhein wird ermittelt, nachdem drei Patienten verstorben sind. Sie alle wurden kurz vor ihrem Tod mit einem sogenannten experimentellen Wirkstoff behandelt. Das heißt, dieser Wirkstoff wird zur Tumorbehandlung verwendet, der Heilpraktiker darf das auch, der Wirkstoff ist aber im engeren Sinne kein zugelassenes Medikament. Ich begrüße Friedemann Schad vom Anthroposophischen Krankenhaus Berlin-Havelhöhe. Die anthroposophische Medizin ist eine ganzheitliche Medizin, die sowohl auf Schulmedizin setzt und diese ergänzt beispielsweise durch Heilpflanzen, Misteltherapie nenne ich da mal, oder auch Farbtherapien, rhythmische Massagen, also alles das, was man vielleicht so unter alternativer Medizin zusammenfasst. Schönen guten Morgen, Herr Schad!
Friedemann Schad: Schönen guten Morgen!
Heise: Wenn man jetzt Meldungen wie die aus Brüggen liest, da fragt man sich ja, wie konnten die Patienten auf diese Therapie eigentlich vertrauen? Vertrauen, das ist ja die wichtigste Währung in der Behandlung, entsteht beispielsweise durch wissenschaftliche Nachweise oder so was. Wodurch wird in Ihrem Haus Vertrauen aufgebaut?
"Wenn man meint, man ist nicht ausreichend beraten, gibt es das Instrument der Zweitmeinung"
Schad: Ja, da haben Sie recht. Das ist einmal die zentrale Frage, wieso vertraut sich ein Patient einem Arzt oder einem Behandlungskonzept an? Und da ist es ja in der Tat nicht so einfach, sich zu orientieren. Am Anfang steht doch, wenn es gut geht, der Kontakt mit dem Arzt seines Vertrauens, den man eben kennt, meistens der Hausarzt oder aber auch ein Spezialist, der einen dann berät in der akuten Situation, zum Beispiel bei der Diagnose Krebs. Auf der anderen Seite, wenn man da meint, man ist nicht ausreichend beraten, gibt es ja das Instrument der Zweitmeinung. Man kann zu einem zweiten Arzt oder zu einem anderen Zentrum gehen. Und auf diesem Weg sollte, wenn es gut geht, eben Vertrauen entstehen. Und so ist es auch bei uns.
Heise: Vertrauen ist ja – ich habe zum Beispiel die Schulmedizin genannt, da hat man immer das Gefühl oder haben viele Menschen das Gefühl, das ist ja alles wissenschaftlich bewiesen, das wird immer wieder untersucht. Und dann gibt es eben dagegen die alternative Medizin, und da, beispielsweise Homöopathie – viele Leute machen da ein großes Fragezeichen dran.
Der Unterschied zwischen alternativem und integrativem Ansatz
Schad: Ja, da haben Sie recht. Vielleicht darf ich noch mal ganz kurz zur Begriffsklärung sagen: Im herkömmlichen Sinne versteht man unter alternativer Medizin etwas, was sich aus irgendwelchen Traditionen herleitet, aber dem Konzept nach die Schulmedizin oder die sogenannte naturwissenschaftliche Medizin ablehnt. Dann hat sich in den letzten, kann man sagen, zehn, 20 Jahren, der Begriff CAM oder Komplementäre Medizin etabliert, wo gesagt wird, wir lehnen die Schulmedizin zumindest nicht ab, wir nehmen sie auch ernst, aber wir ergänzen das durch andere Verfahren. Und in den letzten Jahren ist eigentlich eher der Begriff Integrative Medizin aufgekommen, den wir zum Beispiel auch für uns als anthroposophische Klinik in Anspruch nehmen wollen. Und integrativ meint in diesem Fall, wir stehen voll und ganz auf dem Boden der naturwissenschaftlichen Medizin, der Schulmedizin. Wir gehen auch, wo immer es sinnvoll ist, leitlinienorientiert vor zum Beispiel, aber wir ergänzen eben diese Verfahren durch ein etwas breiteres Angebot, um dem Patienten durch diese zum Teil sehr schwere Erkrankung ja besser durchzuhelfen.
Heise: Zum Beispiel bieten Sie Musiktherapien an, auch Krebspatienten. Wie kann denn eine Musiktherapie einem Krebspatienten helfen?
Schad: Also vorweg vielleicht, bevor wir zur Musiktherapie kommen, bieten wir vor allem natürlich die gesamte Expertise der onkologischen Medizin an. Also wir sind ja als Haus ein zertifiziertes Zentrum, ein onkologisches Zentrum. Das ist ein ziemlich hoher Qualitätsnachweis, der von der Deutschen Krebsgesellschaft rausgegeben wird. Wir sind seit fünf Jahren mehrfach reauditiert als zum Beispiel Brustkrebszentrum oder auch Darmkrebszentrum, Lungenkrebszentrum. Das weist jetzt erst mal einen sehr hohen Standard nach, ich möchte mal sagen, bei der Diagnose, bei der Erstbehandlung, bei einer hohen Expertise für Operation, Chemotherapie und Strahlentherapie. Das nur mal vorneweg. Aber, wonach Sie jetzt gefragt haben, ja, das ist richtig. In unserer Klinik werden wir noch ein breites Angebot dem Krebspatienten anbieten zu künstlerischen Therapien, zu Bewegungstherapien, zu Psychoonkologie. Und wenn Sie jetzt die Musiktherapie ansprechen, dann ist eben der Augenblick der Krebserkrankung häufig ja mit großen Ängsten verbunden, mit einer Schockstarre. Und wie kann der Betroffene wieder lernen, in sich zu vertrauen, in seinen Körper hineinzuhorchen, seine Gefühle wieder wahrzunehmen trotz dieser schweren oder niederschmetternden Diagnose? Und in diesem Bereich seine Ressourcen aktivieren, schöpferisch sein zu können, da ist der Stellenwert der Kunsttherapie und eben auch der Musiktherapie.
Heise: Jetzt ist Ihr Haus eine Klinik, Sie haben aufgezählt, welche Nachweise Sie auch bringen können. Jetzt geht ein Patient ja vielleicht auch zu einem Heilpraktiker, der ihm von einem Freund oder einer Freundin empfohlen worden ist. Wann muss er hellhörig werden, wann muss er misstrauen?
Infusionen für 2000 Euro pro Ampulle sind nicht seriös
Schad: Da ist also meine Erfahrung der letzten Jahre Folgende: Ich rate bei mindestens drei Dingen, hellhörig zu werden. Das Erste ist, wenn jetzt bei ernsthaften Erkrankungen – wir sprechen ja jetzt über Krebs beispielsweise oder auch fortgeschritten erkrankte Patienten mit einem Krebsleiden –, wenn dort auf eine ideologische oder radikale Art und Weise von schulmedizinischen Verfahren abgeraten wird und diese komplett abgelehnt wird, manchmal ja auch verteufelt wird. Dann muss man etwas hellhörig werden, ist das wirklich sachlich so? Der zweite Punkt ist, wenn solche Verfahren, die einem dann angeboten werden, sehr teuer sind. Also man bekommt irgendeine Infusion angeboten, von der man auch vielleicht nicht mal weiß, was da drin ist. Die kostet aber pro Ampulle 2.000 Euro. Das ist nicht seriös, also hier muss man sicherlich vorsichtig werden. Und das Dritte ist, meine Erfahrung schon auch, wenn Ärzte oder Behandler eine Art Abhängigkeit zum Patienten erzeugen, also ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Arzt und Patient entsteht, nach dem Motto, auf keinen Fall woandershin gehen, auf jeden Fall immer wieder zu mir kommen, wenn Probleme sind – sollte man hellhörig werden. Unser Ziel ist ja nicht, den Patienten abhängig zu machen, sondern vor allem ihn, wie soll man sagen, auf seinem Weg zu begleiten, ihn eher frei zu machen, nämlich für den Weg, den er gehen möchte. Und da ist die integrative Onkologie und zum Teil diese komplementären Verfahren eben sehr hilfreich.
Heise: Empfehlungen von Friedemann Schad vom Anthroposophischen Krankenhaus Berlin-Havelhöhe. Danke schön, Herr Schad!
Schad: Gern, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.