Tod und Sterben
Sterben gehört zum Leben dazu. Für den Tod Vorkehrungen zu treffen, ist trotzdem für viele Menschen eine große Überwindung. © IMAGO / Trigger Image / IMAGO / Leslie Ann O'Dell
Über den Umgang mit der Sterblichkeit
Er gehört zum Leben dazu und doch ist kaum ein Thema in der westlichen Gesellschaft so tabuisiert wie der Tod. Vor allem die Ungewissheit über das Ende des Lebens treibt viele um. Doch es gibt Wege, wie man mit dem Unausweichlichen besser klarkommt.
Schlafe ich friedlich ein oder wird es qualvoll? Sterbe ich so, wie ich es mir gewünscht habe, oder bestimmen am Ende andere? Wie viel Selbstbestimmung in der letzten Phase unseres Lebens möglich ist, ist eine Frage, die viele Menschen gerne erst einmal beiseiteschieben - gerade dann, wenn man noch mitten im Leben steht. Spätestens mit dem Älterwerden wird sie aber immer präsenter, oft verbunden mit der Sorge, ausgeliefert zu sein – nicht nur möglichen Schmerzen, sondern auch medizinischen Maßnahmen, die man eigentlich für sich ausschließt.
Und so treffen viele Menschen Vorkehrungen: Manche füllen Patientenverfügungen aus, andere hegen den Wunsch, selbstbestimmt aus dem Leben scheiden zu wollen, wenn für sie ihr Leben nicht mehr lebenswert erscheint. Was vielen von uns Angst macht bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit und welche rechtlichen Möglichkeiten es in Deutschland gibt: ein Überblick.
Inhalt
Die Angst vor dem Ungewissen
„Ich würde sagen, dass eine gewisse Angst vor dem Tod da ist, wenn man sich mit seiner Endlichkeit und mit dem Sterben auseinandersetzt“, sagt Robert Roßbruch, Jurist für Gesundheits- und Medizinrecht und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Die Organisation besteht seit 1980 und hat es sich zum Ziel gemacht, das Selbstbestimmungsrecht gerade kranker und alter Menschen an deren Lebensabend umzusetzen. Eine Sterbehilfeorganisation ist die DGHS nach eigener Aussage nicht.
Roßbruch setzt sich tagtäglich mit dem Tod auseinander. Er hat vor allem die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen nicht so sehr Angst vor dem Tod hätten, sondern vielmehr vor der Art und Weise, wie sie sterben werden. Umso wichtiger sei es, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, darüber zu sprechen und sich bewusst zu machen, wie schön dieses Leben ist, sagt er. Doch das eigene Sterben werde in unserer Gesellschaft stark verdrängt.
Das kritisiert auch der deutsch-indische Philosoph Krisha Kops. Im öffentlichen Diskurs in Deutschland sei der Tod meist nur eine abstrakte Ziffer einer Statistik. "Eine Zahl, die uns nicht betrifft." So werde das Sterben meistens verdrängt, der Tod zu einem Tabuthema.
Dass viele Menschen nicht über ihre Furcht vor dem Ungewissen und doch Unausweichlichen sprechen wollen, kann die Palliativmedizinerin Alexandra Scherg nachvollziehen. Die allermeisten Menschen hingen nun einmal am Leben und wollten nicht sterben. Während auf den meisten Palliativstationen ein offener Umgang mit dem Tod gepflegt werde, beobachtet Scherg auf anderen Stationen „sehr viel mehr Zurückhaltung von professioneller Seite“. Gerade wenn sich abzeichne, dass ein Leben bald ende, funktioniere die Kommunikation häufig nicht gut, sagt Alexandra Scherg.
Personalknappheit und Zeitmangel seien Gründe dafür, aber auch die Tatsache, dass es Ärztinnen und Ärzten schlicht an Qualifikation „im Feld der Kommunikation, im Feld der Verantwortungsübernahme für Therapieentscheidungen“ fehle. Die Palliativmedizinerin wünscht sich deswegen eine bessere Aus- und Weiterbildung für Medizinerinnen und Mediziner. Offene Gespräche über den Tod oder Todeswünsche empfänden Betroffene und Angehörige oft als sehr entlastend.
Gute wie schlechte Erfahrungen in der Sterbebegleitung prägen sich zudem ein. Zu dem Ergebnis kam eine Studie des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung aus dem Jahr 2020. So lässt diese Erfahrung bei den Hinterbliebenen Wünsche und Sorgen hinsichtlich des eigenen Sterbens entstehen, sorgt dadurch für eine zwangsweise Auseinandersetzung mit dem Thema. 90 Prozent der Menschen, die sich bereits um Sterbende gekümmert haben, sprechen mindestens selten über das Sterben. Unter jenen ohne diese Erfahrung sind es nur 72 Prozent.
Jüngere Menschen trifft eine Sterbebegleitung meist sehr unvorbereitet. 46 Prozent der Studien-Befragten zwischen 16 und 29 Jahren gaben an, dass sie damit überfordert waren.
Wie wir sterben wollen
Schmerzfrei, nah am Gewohnten, selbstbestimmt, sozial eingebunden und gut versorgt: So lauten die Wünsche der meisten Menschen in Deutschland, wenn sie nach ihrer idealen Sterbesituation gefragt werden. In einer repräsentativen Studie des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands (DHPV) von 2022 gab jeder zweite an, zu Hause sterben zu wollen.
In der Realität aber sterben weit mehr als die Hälfte der Menschen im Krankenhaus oder in einem Pflegeheim, so Benno Bolze, Geschäftsführer des DHPV. Eine Alternative dazu sind Hospize. Dort werden Menschen palliativ behandelt oder beim Sterben begleitet. Bei der Befragung des DHPV gaben vier von zehn Menschen an, dass sie in einer solchen Einrichtung aus dem Leben treten möchten.
Palliativmedizinerin Petra Anwar begleitet seit mehr als 20 Jahren Menschen auf ihrem letzten Weg. Palliativ kommt dabei vom lateinischen Wort „Pallium“ und bedeutet „Mantel“. Menschen wie Petra Anwar wollen Patientinnen und Patienten umhüllen und vor unerträglichem Leid schützen.
Nicht die Behandlung der Grunderkrankung steht mehr im Vordergrund, sondern die Behandlung der Symptome. Dabei werden auch Medikamente eingesetzt, nicht nur zur Linderung von Schmerzen, sondern manchmal auch zur Linderung von existenziellen Ängsten. Anwar ist es wichtig zu betonen, dass zwischen der palliativen Behandlung und dem Tod „noch ein gutes Stück Leben liegen kann“, das mitunter auch besser sein kann, als mit einer Chemotherapie oder Ähnlichem, sagt sie.
Ich mache meine Arbeit sehr gern, auch wenn das Ende meiner Arbeit ja eigentlich immer der Tod des Patienten ist.
Wenn jemand „gut sterben“ und „gut von dieser Welt gehen kann“ schenke ihr das sehr viel, sagt Anwar über ihre Arbeit. Wobei „gut sterben“ für jeden etwas anderes sein könne. Für die einen bedeute es einfach, nur einzuschlafen, für die anderen, mit der Familie am Bett den letzten Atemzug zu tun. Auch sie hat die Erfahrung gemacht, dass der Großteil der Menschen zu Hause sterben wolle, das aber, aus Angst, er oder sie könne jemandem zur Last fallen, nicht ausspreche und entgegen dem eigenen Wunsch beispielsweise ins Hospiz gehe. Anwar findet es wichtig, dass man am Ende seines Lebens der Mensch sein darf, der man ist, und sich nicht zurücknimmt, weil man in fremder Umgebung ist.
Wenn man stirbt, ist man ja im Grunde wieder nackt, denn man hat eigentlich keine Kraft mehr, irgendetwas zu bedecken.
Welche Vorkehrungen kann man vor seinem Tod treffen?
Ein schwerer Unfall, ein Schlaganfall oder eine andere Erkrankung können von einem Tag zum anderen alles verändern. Deswegen raten Expertinnen und Experten, sich lieber früher als zu spät im Leben auf solche Situationen vorzubereiten. Dafür muss man sich zwangsweise mit dem eigenen Tod auseinandersetzen, aber auch mit den möglichen, bevollmächtigten Angehörigen darüber ins Gespräch gehen. Diese rechtlichen Möglichkeiten gibt es:
Patientenverfügung:
In einer Patientenverfügung wird geregelt, welche ärztlichen Maßnahmen man zu seiner medizinischen Versorgung wünscht und welche man ablehnt. Damit sorgt man für den Fall vor, dass man bei einer schweren Krankheit oder nach einem Unfall seinen Willen nicht mehr äußern kann. Die Verfügung kann man bis dahin jederzeit ganz oder in Teilen ändern, sie ist für Ärzte und Pflegekräfte bindend. Vorlagen oder Hilfestellungen bekommt man inzwischen an vielen Stellen online, beispielsweise bei der Verbraucherzentrale.
Grundsätzlich kann man eine Patientenverfügung in eigenen Worten frei formulieren, auch handschriftlich. Viele Ratgeber bieten aber auch Formulare oder Textbausteine an, die man in seine persönliche Patientenverfügung einsetzen kann. Wichtig ist, dass eine Patientenverfügung eindeutig und konkret genug verfasst ist, rät Robert Roßbruch, Jurist für Gesundheits- und Medizinrecht.
Gut ist es, wenn man sich vor dem Schreiben oder Ausfüllen mit diesen Szenarien auseinandersetzt.
- Was soll passieren, wenn ich für lange Zeit im Koma liege?
- Was tun, wenn ich zum Beispiel durch einen Schlaganfall entscheidungsunfähig werde?
- Wie soll bei einer Krebsdiagnose verfahren werden?
- Kann ich mir vorstellen, mit einer Lähmung weiterzuleben?
- Welchen Umgang wünsche ich mir in Bezug auf lebensverlängernde Maßnahmen oder Reanimation?
- Wie möchte ich, dass mit künstlicher Ernährung, Medikamentengabe oder Blutwäsche umgegangen wird?
In Notfallsituationen kann die Umsetzung einer Patientenverfügung aber problematisch sein. Die Verfügungen seien oft sehr umfangreich, in akuten Notfällen oft nicht vorliegend oder könnten in der Notfallsituation nicht vollständig durchgelesen werden, sagt die Palliativmedizinerin und Notfallärztin Alexandra Scherg.
Für sinnvoller hält sie die Erstellung eines sogenannten Notfallausweises. Aktuell gebe es verschiedene regionale Varianten, man arbeite aber an einem bundesweit gültigen Ausweis. Dieser stelle für den Notfall eine Art Kurzfassung der Patientenverfügung dar: Welche Diagnose liegt vor, möchte ich ins Krankenhaus eingewiesen werden, sollen intensivmedizinische Maßnahmen getroffen werden. Versehen werden sollte der Ausweis mit einem Kontakt zu einem Hausarzt oder einem Palliativ-Team.
Vorsorgevollmacht:
Eine Vorsorgevollmacht gibt den befugten Personen die Erlaubnis, andere bei Behörden zu vertreten oder gesundheitliche Entscheidungen für sie zu treffen. Darum sollte sie auch nur Menschen gegeben werden, denen man unbedingt vertraut. Mit der Ernennung eines Vorsorgebevollmächtigten verhindert man, dass man später über ein Gericht einen gesetzlichen Betreuer zugesprochen bekommt. Dass automatisch der Ehepartner oder Kinder bevollmächtigt wären, ist ein verbreiteter Irrtum. Ohne gültige Vollmacht bekommt ein Ehepartner im Krankenhaus unter Umständen noch nicht einmal eine Auskunft vom Arzt.
Viel Verantwortung, die man nur an Menschen abgeben sollte, denen man absolut vertraut. Dennoch muss man nicht alle Bereiche in eine Hand geben, sagt Rechtsanwalt Ulrich Sandhövel aus München: „Man kann das auch wunderbar als Baukasten nehmen und sagen, der Nichte gebe ich die Vollmacht hinsichtlich meiner Gesundheit, und dem Bankkaufmann Ralf, der auch ein Neffe ist, der soll sich um meine finanziellen Dinge kümmern.“ Der Medizinrechtler Robert Roßbruch rät dazu, ein Exemplar der Vollmacht an die Vorsorgebevollmächtigten, an einen behandelnden Arzt oder auch an ein Krankenhaus, in dem man öfter ist, herauszugeben.
Betreuungsverfügung:
Wenn man aufgrund von Krankheit oder Behinderung seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann und keine Vorsorgevollmacht vorliegt, bestimmt das Betreuungsgericht einen rechtlichen Betreuer, das schreibt das Bürgerliche Gesetzbuch so vor. In einer Betreuungsverfügung kann man festlegen, welche Person das Gericht als Betreuer oder Betreuerin auswählen soll oder auch wer das auf keinen Fall werden soll.
Eine Betreuungsverfügung ist dabei eine Art „kleine Schwester“ einer Vorsorgevollmacht. Ein Dokument, das umfangreiche Rechte verleihen kann, aber gewissermaßen mit Sicherheitsschranken, denn die beauftragte Person steht unter der Aufsicht eines Betreuungsgerichts. Wichtig ist auch hier, dass man seine Wünsche ausdrücklich und möglichst konkret beschreibt, damit das Gericht diesen Willen auch gut nachvollziehen kann. Die Verfügung ist jederzeit und ohne Begründung widerrufbar.
Selbstbestimmt sterben - welche Regelungen gibt es in Deutschland?
In Deutschland haben die Ärztekammern lange die Position vertreten, Sterbehilfe sei keine Aufgabe der Medizin. Sterbehilfeorganisationen rückten daraufhin in diese Lücke. 2015 verbot der Bundestag Sterbehilfe mit einem entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch und stellte die sogenannte geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Geld- oder Freiheitsstrafe.
2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot der "geschäftsmäßigen Sterbehilfe" für verfassungswidrig, weil es das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletze. Im Sommer 2023 sollte im Bundestag über eine Liberalisierung abgestimmt werden, doch die beiden vorliegenden Gesetzesentwürfe verfehlten im Plenum die Mehrheit.
Assistierter Suizid:
Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 ist die Beihilfe zum Suizid (assistierter Suizid) in der Praxis straffrei. Dies betrifft vor allem die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung durch Sterbehilfevereine. „Geschäftsmäßig“ bezieht sich hierbei nicht auf Geld, sondern auf wiederholte Handlungen.
Beim assistierten Suizid nimmt der Betroffene eigenständig eine Substanz ein, die zum Tod führt, während ihm von einer anderen Person geholfen wird, beispielsweise durch Bereitstellung der tödlichen Substanz. Diese Handlung ist in Deutschland nicht strafbar.
Hinweis der Redaktion: Sollten Sie Hilfe in einer schwierigen Situation benötigen, können Sie sich jederzeit an die kostenlose Hotline der Telefonseelsorge wenden: 0800/1110111. Spezielle Hilfsangebote zum Thema Suizid finden Sie bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention unter https://www.suizidprophylaxe.de/
Aktive Sterbehilfe:
Bei der aktiven Sterbehilfe wird dem Suizidenten die tödliche Substanz von einem anderen Menschen auf ausdrücklichen Wunsch hin verabreicht. Dieses ist allerdings „Töten auf Verlangen“ und in Deutschland weiterhin verboten und strafbar.
Passive Sterbehilfe:
Bei der passiven Sterbehilfe verzichtet man entweder auf lebensverlängernde Maßnahmen oder zieht diese zurück, um den natürlichen Sterbeprozess einzuleiten oder zu ermöglichen. Dies geschieht, wenn ein Mensch beispielsweise keine lebenserhaltenden Maßnahmen wie künstliche Beatmung, Ernährung oder eine Bluttransfusion wünscht. Das ist in Deutschland erlaubt, wenn es dem Patientenwillen entspricht.
Indirekte Sterbehilfe:
Von indirekter Sterbehilfe spricht man, wenn durch die medikamentöse Schmerzbehandlung, die kurzfristig zu einer Verbesserung des Zustands führen können, der Tod begünstigt oder beschleunigt wird. Dies ist in Deutschland erlaubt.
Heiner Melching von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin spricht sich - statt für ein neues Sterbehilfegesetz - für eine breite Aufklärung aus. Vielen Menschen sei es nicht bekannt, welche Möglichkeiten bestünden, das Lebensende zu gestalten – „jenseits des Suizides, aber auch mit der Unterstützung bei einem Suizid“. Auf der anderen Seite brauche es massive Weiterbildung in der Ärzteschaft. Viele wüssten nicht, wie sie mit der „Freiheit, die sie jetzt haben“ umzugehen hätten.
O Herr, gib jedem seinen eignen Tod.
Die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert ist weiterhin für ein Gesetz, denn zumindest der liberale Entwurf hätte „Rechtssicherheit für alle Beteiligten geschaffen“. Sie wünscht sich eine Regelung, die eine Praxis schafft, bei der jeder, der einen Sterbewunsch „außerhalb von Krisen und außerhalb von akuten psychischen Erkrankungen hat“, diesen auch mit freiwillig gebotener Unterstützung realisieren kann.
nsh