Der Alternativ-Bestatter
"Lebensnah" nennt sich das Institut von Eric Wrede. Sein Geschäft sind die Toten. Neben der reinen "Versorgung" von Verstorbenen bietet er auf einem alten Hof in Berlin vor allem Raum und Zeit für individuelles Abschiednehmen.
"Wir befinden uns hier auf dem Hof des Fuhrunternehmens Gustav Schöne. Auf dem Hof sind verschiedene Bestatter, die diese bauernhofmäßige Atmosphäre nutzen, um hier mit den Verstorbenen zu arbeiten, um hier den Raum zu haben für Abschiednahmen."
Eric Wrede steht in einer Toreinfahrt und schaut auf das Kopfsteinpflaster des Innenhofes. Drei Kaninchen, ein Hund und vier Pferde leben auch hier. Hinter großen, braunen Doppeltüren befinden sich mehrere Kammern. In ihnen sind Tote aufgebahrt. Bestatter waschen ihre Körper, in der Kühlkammer stehen die Särge.
Eric Wrede strahlt Herzlichkeit und Ernst zugleich aus. Mit Vollbart und weißem Hemd erinnert der 36-Jährige auf den ersten Blick an einen würdevoll gealterten Hipster.
"Wir werden gleich in einen Raum gehen, wo wir gemeinsame eine Totenfürsorge machen …"
"Und was wir jetzt hier vor uns haben, ist ein älterer Herr, der vor fünf Tagen verstorben ist."
"Wir werden jetzt den Herren erst mal aus dieser Folie, in der er liegt, befreien. Ich werde die Zugänge, die da sind, entfernen. Und ich denke, dass wir ihn nochmal waschen werden, dass wir ihn nochmal rasieren werden. Und dann werden wir ihn gemeinsam einkleiden."
Der Tote erscheint wie eine riesige Skulptur aus Wachs. Der Körper liegt noch auf einer Metallbahre, Krankenhauskanülen ragen aus der Haut. Der Raum ist kalt, vielleicht fünf Grad, die Wände im blassen Ockerton gestrichen. Hinter einer Stellwand ein Plastikheizstrahler. Es riecht nach Seife. Die dezente Trostlosigkeit des Todes wirkt fast beruhigend.
Eine Neigung zu dieser Aura spürt man bei Eric Wrede aber nicht. Er hat Germanistik studiert bis zum Magister. Und mit klarer Stimme spricht er einen erstaunlichen Satz über seine universitären Jahre mit der deutschen Literatur:
"Es hat nie die Größe zum Beruf gehabt."
Über die Literatur und Popkultur zur Leichenhalle
Ein nahezu theatralischer Satz, der das Vulgäre des Alltäglichen bekämpft. Während seines Studiums beschäftigt er sich viel mit dem Schriftsteller Peter Handke. Dessen Werk springt von der Feier der Popkultur zu Wortkunstwerken des Ernsten.
Das Leben von Eric Wrede kennt auch diese Schnitte, nach dem Literatur-Studium folgt der Sprung in die Unterhaltungsindustrie. Eric Wrede wird Manager bei der Schallplattenfirma Motor Music, arbeitet mit am Erfolg von Künstler wie Selig oder Marius Müller Westernhagen. Dann plötzlich, das Ende der Karriere:
"Ich glaube, am Ende hat es mir nicht die dauerhafte Befriedigung gebracht. Spätestens dann wenn man in Gesprächen mit Menschen sitzt, wo man denkt: Das ist doch grad ein Filmzitat, wenn jemand sagt, dass muss jetzt aber mehr nach 2008 klingen, was ihr da macht. Und du denkst, diesen Satz hast du nicht wirklich gedacht, das ist absurd. Ja, da ist man in Mechanismen gefangen."
Er aber befreit sich, macht den nächsten Schnitt. Wird Bestatter. Und steht jetzt er hier in der Leichenhalle und zieht Kanülen aus der blassen Haut eines Körpers. Seine Haut ist dagegen bunt und erzählt blutige und heroische Geschichten.
"Meine Tätowierungen, die sind schon komplett unterschiedliche. Links ist es die Störtebeker Geschichte und rechts sind es Gladiolen, weil ich ein großer The Smith Fan bin. Und die Störtebeker Geschichte ist ein bisschen Reminiszenz wie ich mir Freundschaft vorstelle."
Wredes Verneigung vor einem Piraten, der der Legende nach ohne Kopf zwölf Meter an seinen gefangenen Männern vorbeiging, um sie zu befreien. Und einem Pop Star, der auf der Bühne Schwertblumen verteilt und eine Hymne auf das ewige Licht geschrieben hat.
Vielleicht hat Eric Wrede ja geglaubt, die Kraft der wahren Worte und Gesten erst hier wiederfinden zu können in der Leichenhalle.
Trauer und Haltung
"Und neben der reinen Versorgung von Verstorbenen passieren auch ganz viele andere Tätigkeiten auf dem Hof, sei es dass man gemeinsam den Sarg bemalt, oder die Urne baut. Ich bin nicht der distanzierte Mensch, ich werde im Zweifelsfall eher etwas zu nah mit ran kommen. Und das muss auch gewollt werden."
Worte und Gesten, Liebe und Trauer, alles soll zusammenpassen. Natürlich muss er dabei immer funktionieren, Haltung bewahren.
"Wenn ältere Männer trauern, dass überkommt mich immer. Die weinen ganz selten und wenn das mal passiert, ist das was, was mich sehr, sehr berührt, das finde ich auch legitim. Ich darf als Bestatter mit traurig sein, darf halt meine Aufgaben nicht vernachlässigen."
"Ihn würden wir jetzt bis zum halben Oberkörper in dieses Laken einschlagen. Ich lege ihm den Cowboyhut dazu. Und dann verschließen wir den Sarg."