Peter Schuster: Verbrecher, Opfer, Heilige - Eine Geschichte des Tötens
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2015
416 Seiten, 26,95 Euro, auch als ebook
Drakonische Urteile als ausgleichende Gerechtigkeit
Er hat reichlich Material gesichtet, doch Peter Schuster macht in "Verbrecher, Opfer, Heilige" einen entscheidenden Fehler: Er bewerten die Anwendung der Todesstrafe in der Zeit von 1200 bis 1700 aus heutiger Perspektive.
Auf dem Schutzumschlag verspricht er eine "Geschichte des Tötens". Auf der Innenseite reduziert Peter Schuster dieses Versprechen auf eine Geschichte des Tötens im Zeitraum von 1200-1700. Und tatsächlich erzählt er eine Geschichte des Tötens im Nürnberg der frühen Neuzeit. Denn er konzentriert sich auf Deutschland, vor allem auf das protestantische. Und die meisten der vielen Fallbeispiele stammen eben aus der Reichsstadt an der Pegnitz.
Auch der Begriff des Tötens ist allzu weit gefasst, denn nicht Mord und Totschlag spielen eine Rolle, sondern einzig und allein die Todesstrafe. Und dass ihn die Praxis der Todesstrafe in Nürnberg wissenschaftlich beschäftigt, liegt vor allem an der reichen Materialbasis, die der pensionierte Beamte Friedrich von Hagen und der Unternehmer Manfred Grieb mit großem Fleiß in ihrer Freizeit aufgearbeitet hatten.
"Ohne Friedrich von Hagens Auswertung der Ratsverlässe und Manfred Griebs Bearbeitung wäre dieses Buch in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen."
Todesstrafe ist historisch-kritisch zu bewerten
Das Buch will ein Plädoyer gegen die Todesstrafe sein und scheitert methodisch. Der Geschichte, der historischen Forschung wird Gewalt angetan, sobald sie Argumente für eine aktuelle politische Debatte liefern soll. Dezidiert betrachtet Peter Schuster die untersuchten Ereignisse aus heutiger Sicht und ordnet sie nicht in ihre Zeit ein.
Exekutionen in der frühen Neuzeit, als sich der moderne Staat und die Bürokratie erst herausbilden, sind grundverschieden von jenen im späten 17. und dann im 18. Jahrhundert zu bewerten, als die Zahl der Hinrichtungen deutlich abflachte, und erst recht von zeitgenössischen Strafrechtstraditionen.
"Denn auch jenseits der Hexenprozesse traf die Todesstrafe überwiegend Menschen, die nach unseren heutigen rechtlichen Maßstäben keine strenge Strafe oder gar den Tod verdient hätten."
Nur galten in der frühen Neuzeit nicht "unsere heutigen rechtlichen Maßstäbe". Und wenn damals "Diebstahl" drakonisch bestraft wurde, dann weil entsprechende Taten eben gerade nicht als Bagatelldelikte angesehen wurden, wie es der Autor aus heutigem Rechtsempfinden versucht.
Auch seine Beispiele belegen nicht etwa, wie einmalige Langfingerei kleiner Leute unverhältnismäßig scharf bestraft wurde. Vielmehr handeln seine Fälle häufig von Raubmord, vom gewerbsmäßigen Diebstahl durch Banden, von Dieben, die mehrfach verwarnt und bestraft worden waren, bevor sie als Rückfalltäter exekutiert wurden.
Für Nürnberg liegt zwar eine einzigartige Quellensammlung vor, aber ihre Strafrechtspraxis ist deshalb noch lange nicht repräsentativ für deutsche Reichsstädte dieser Zeit.
Die mittelfränkische Metropole wurde von Patriziern regiert, die sich nach einem Handwerkeraufstand der Zünfte entledigt hatten. Eine kleine Schicht ratsfähiger Familien konnte nur deswegen lange und stabil herrschen, weil sie auf einen Interessenausgleich im städtischen Leben achtete und Rechtsnormen eisern und ohne Unterschied des Standes oder der Person durchsetzte. Auch Ratsmitglieder wurden hingerichtet, wenn sie das Recht brachen.
Mittelalter kennt bereits Prozessordnungen
Hanebüchen ist, dass Peter Schuster behauptet, die Todesstrafe sei bis zum Ende des Mittelalters vorwiegend "Fürstenrache und Siegerjustiz" gewesen. Gerade im Mittelalter vollzog sich ein faszinierender Prozess europäischer Rechtsentwicklung mit dem Ergebnis, dass geordnete Gerichtsverfahren durchgeführt wurden, beispielsweise das Staatsschutzverfahren gegen den Templerorden.
Auch die vielen Inquisitionsverfahren folgten einer festgelegten Untersuchungs- und Prozessordnung. In Spanien und Portugal entstand so die Autodafè, ein bis ins kleinste geregeltes Glaubensgericht, das nicht nur abtrünnige Christen, sondern auch konvertierte Juden und Mauren verfolgte. Diese Institution erwähnt der Autor mit keinem Wort, auch nicht im Kapitel "Todesstrafen für Juden".
Der Versuch, den Lutheranern eine Theologie der Todesstrafe zu unterschieben, scheitert am mangelnden Verständnis des Autors für das Konzept von Reue und Buße in der Lehre Martin Luthers.
Peter Schuster hätte sich entscheiden müssen, zwischen einem Plädoyer gegen die Anwendung der Todesstrafe in der Gegenwart oder einer Geschichte der Todesstrafe in der frühen Neuzeit, die dann allerdings gründlicher, universeller und konziser hätte ausfallen müssen.
Auch der Begriff des Tötens ist allzu weit gefasst, denn nicht Mord und Totschlag spielen eine Rolle, sondern einzig und allein die Todesstrafe. Und dass ihn die Praxis der Todesstrafe in Nürnberg wissenschaftlich beschäftigt, liegt vor allem an der reichen Materialbasis, die der pensionierte Beamte Friedrich von Hagen und der Unternehmer Manfred Grieb mit großem Fleiß in ihrer Freizeit aufgearbeitet hatten.
"Ohne Friedrich von Hagens Auswertung der Ratsverlässe und Manfred Griebs Bearbeitung wäre dieses Buch in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen."
Todesstrafe ist historisch-kritisch zu bewerten
Das Buch will ein Plädoyer gegen die Todesstrafe sein und scheitert methodisch. Der Geschichte, der historischen Forschung wird Gewalt angetan, sobald sie Argumente für eine aktuelle politische Debatte liefern soll. Dezidiert betrachtet Peter Schuster die untersuchten Ereignisse aus heutiger Sicht und ordnet sie nicht in ihre Zeit ein.
Exekutionen in der frühen Neuzeit, als sich der moderne Staat und die Bürokratie erst herausbilden, sind grundverschieden von jenen im späten 17. und dann im 18. Jahrhundert zu bewerten, als die Zahl der Hinrichtungen deutlich abflachte, und erst recht von zeitgenössischen Strafrechtstraditionen.
"Denn auch jenseits der Hexenprozesse traf die Todesstrafe überwiegend Menschen, die nach unseren heutigen rechtlichen Maßstäben keine strenge Strafe oder gar den Tod verdient hätten."
Nur galten in der frühen Neuzeit nicht "unsere heutigen rechtlichen Maßstäbe". Und wenn damals "Diebstahl" drakonisch bestraft wurde, dann weil entsprechende Taten eben gerade nicht als Bagatelldelikte angesehen wurden, wie es der Autor aus heutigem Rechtsempfinden versucht.
Auch seine Beispiele belegen nicht etwa, wie einmalige Langfingerei kleiner Leute unverhältnismäßig scharf bestraft wurde. Vielmehr handeln seine Fälle häufig von Raubmord, vom gewerbsmäßigen Diebstahl durch Banden, von Dieben, die mehrfach verwarnt und bestraft worden waren, bevor sie als Rückfalltäter exekutiert wurden.
Für Nürnberg liegt zwar eine einzigartige Quellensammlung vor, aber ihre Strafrechtspraxis ist deshalb noch lange nicht repräsentativ für deutsche Reichsstädte dieser Zeit.
Die mittelfränkische Metropole wurde von Patriziern regiert, die sich nach einem Handwerkeraufstand der Zünfte entledigt hatten. Eine kleine Schicht ratsfähiger Familien konnte nur deswegen lange und stabil herrschen, weil sie auf einen Interessenausgleich im städtischen Leben achtete und Rechtsnormen eisern und ohne Unterschied des Standes oder der Person durchsetzte. Auch Ratsmitglieder wurden hingerichtet, wenn sie das Recht brachen.
Mittelalter kennt bereits Prozessordnungen
Hanebüchen ist, dass Peter Schuster behauptet, die Todesstrafe sei bis zum Ende des Mittelalters vorwiegend "Fürstenrache und Siegerjustiz" gewesen. Gerade im Mittelalter vollzog sich ein faszinierender Prozess europäischer Rechtsentwicklung mit dem Ergebnis, dass geordnete Gerichtsverfahren durchgeführt wurden, beispielsweise das Staatsschutzverfahren gegen den Templerorden.
Auch die vielen Inquisitionsverfahren folgten einer festgelegten Untersuchungs- und Prozessordnung. In Spanien und Portugal entstand so die Autodafè, ein bis ins kleinste geregeltes Glaubensgericht, das nicht nur abtrünnige Christen, sondern auch konvertierte Juden und Mauren verfolgte. Diese Institution erwähnt der Autor mit keinem Wort, auch nicht im Kapitel "Todesstrafen für Juden".
Der Versuch, den Lutheranern eine Theologie der Todesstrafe zu unterschieben, scheitert am mangelnden Verständnis des Autors für das Konzept von Reue und Buße in der Lehre Martin Luthers.
Peter Schuster hätte sich entscheiden müssen, zwischen einem Plädoyer gegen die Anwendung der Todesstrafe in der Gegenwart oder einer Geschichte der Todesstrafe in der frühen Neuzeit, die dann allerdings gründlicher, universeller und konziser hätte ausfallen müssen.