Todesstrafe in Kalifornien

Eine Aussetzung mit Signalwirkung

24:33 Minuten
Fischaugenperspektive in eine mintgrüne Todeskammer mit zwei stählernden elektrischen Stühlen.
Bis auf weiteres nicht mehr im Gebrauch: Die Todeskammer mit den elektrischen Stühlen im Gefängnis von San Quentin in Kalifornien. © picture alliance / AP Photo
Von Arndt Peltner |
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In Kalifornien warten rund 700 Menschen auf ihre Todesstrafe. Soviele wie nirgends in den USA. Die meisten davon im Gefängnis San Quentin. Nun hat der Gouverneur ein Moratorium verhängt. Das polarisiert bis zum Präsidentschaftswahlkampf.
Wer San Quentin besuchen will, darf keine Blue Jeans tragen und keine grünen Hosen. Blau ist die Farbe der Gefangenen, grün die der Wärter. Ich habe eine schwarze Hose und ein schwarzes Hemd angezogen.
So laufe ich entlang der San Francisco Bay. Gerade zu auf das Hauptgebäude. Es wirkt wie eine Festung.
Schwarzweißaufnahme eines Gefängniskomplexes von außen mit großem Überwachungsturm.
Das kalifornische Staatsgefängnis San Quentin in einer Aufnahme von 1967.© imago
San Quentin ist das älteste Gefängnis Kaliforniens. Seit 1852 werden hier Menschen inhaftiert, derzeit sind rund 4200 Gefangene untergebracht, davon weit über 700 im East-Block, im Todestrakt, der größten "Death Row" in den USA. Früher wurden die Todeskandidaten durch Hängen und in der Gaskammer hingerichtet, zuletzt durch die Giftspritze.

"Der Tod ist hier stets mit Dir"

"Ich sitze im Todestrakt von San Quentin, in einer Zelle, die etwa 2,70 Meter lang und 1,20 Meter breit ist. Ich habe eine Pritsche, eine Toilette, ein Waschbecken und ein Regal. Alles ist aus Stahl. Dazu Stahlgitter und ein Maschendraht aus Stahl, der an der Außenseite der Gitter angebracht ist. Der Tod ist hier stets mit dir. Dies ist ein Ort an dem Menschen schließlich hingerichtet werden."
So beschrieb der Gründer der "Crips"-Straßengang und zum Tode verurteilte Stanley "Tookie" Williams seine Zelle. "Tookie", wie ihn alle nur nannten, wurde am 13. Dezember 2005 in San Quentin hingerichtet.
Stanley "Tookie" Williams sitzt mit gefalteten Händen in einer Gefängniszelle.
Stanley "Tookie" Williams wurde 2005 in San Quentin hingerichtet.© imago/ZUMA Press/ Save Tookie Organization
Sein Tod sollte eine Wende einleiten in Kalifornien. Wenige Wochen später stand die Exekution von Michael Morales an. Medienvertreter wie ich waren geladen, aber die Giftspritze wurde nicht wie geplant verabreicht. Morales’ Anwälte hatten in letzter Minute einen Richter überzeugt, dass "Tookie" Williams bei seiner Hinrichtung einen langen, schmerzhaften Todeskampf hatte. Die Stoffe des Giftcocktails wirkten nicht effektiv. Somit sei der Grundsatz eines "humanen" Todes nicht gewährleistet worden.
Der Richter stimmte zu, verlangte, dass ein Arzt bei der Hinrichtung anwesend sein müsse. Doch keiner ließ sich an dem Tag im Februar 2006 finden. Und auch später nicht. Seit 2006 gab es keine Hinrichtung mehr in Kalifornien.

Gouverneur verkündet Moratorium für Todesstrafe

13 Jahre später – im März 2019 macht eine Meldung Schlagzeilen: Der neue Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, will ein Moratorium für die Todesstrafe im Golden State verkünden. Tags darauf dann macht Newsom ernst:
"Es ist seit rund 40 Jahren mehr als bekannt, dass ich gegen die Todesstrafe bin. Ich glaube nicht, dass das eine große Überraschung für jemanden ist."
Der Gouverneur von Kalifornien Gavin Newsom während einer Ansprache in Colfax im Januar 2019.
Der Gouverneur von Kalifornien Gavin Newsom hat Anfang 2019 die Todesstrafe ausgesetzt.© picture alliance / dpa / ZUMA Wire
Newsom berief sich in der Vergangenheit immer auf seinen katholischen und jesuitischen Hintergrund. Die Todesstrafe sei "moralisch und ethisch" nicht verantwortbar.
"Es gibt diesen Bericht der ‚National Academy of Science‘, in dem heißt es, dass etwa einer von 25 zum Tode Verurteilten unschuldig ist. Wenn das stimmt und wir damit beginnen die 737 Todeskandidaten in Kalifornien hinzurichten, dann haben wir am Ende etwa 30 Unschuldige exekutiert. Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken. Ich kann das nicht unterschreiben."
Mit dem verkündeten Moratorium setzt Kaliforniens Gouverneur das um, was viele Aktivisten seit Jahrzehnten fordern in den USA.

Aktivist begrüßt Abbau der Hinrichtungskammer

Mike Farrell ist seit etwa 15 Jahren der Präsident von "Death Penalty Focus", einer Organisation gegen die Todesstrafe. Besser bekannt ist Farrell aber als Schauspieler, vor allem für seine Rolle als B.J. Hunnicutt in der Hitfernsehserie "M*A*S*H". Seit den frühen 80ern setzt sich Farrell für die verschiedensten sozialen und gesellschaftlichen Projekte ein. Mehrmals konnte ich ihn bei Hinrichtungen in San Quentin vor dem Tor des Gefängnisses treffen.
"Ich kannte Gavin Newsom schon, als er noch nicht Gouverneur war. Ich wusste, er war gegen die Todesstrafe und unserer Idee eines Moratoriums gegenüber sehr aufgeschlossen. Ich hatte das Gefühl, dass er ein integrer Mann sei."
Als Stanley "Tookie" Williams exekutiert wurde, war auch Mike Farrell unter den Protestierenden: Er versuchte damals seinen Schauspielkollegen, den Gouverneur Arnold Schwarzenegger, in einem direkten Gespräch zu überzeugen, die Hinrichtungsanordnung nicht zu unterschreiben. Doch ohne Erfolg.
Nach dem Republikaner Schwarzenegger kam der Demokrat Jerry Brown, auf den Farrell hoffte. Doch Brown machte nicht das, worauf viele Gegner der Todesstrafe hofften. Umso erfreuter war Mike Farrell als er im März den Anruf aus Sacramento erhielt, um zur Pressekonferenz von Gavin Newsom zu fahren.
"Als ich dann im Raum war und hörte, was er zu sagen hatte, war es all das, was ich von ihm erhofft hatte. Er machte klar, dass er die Todesstrafe in Kalifornien beenden will. Und dabei betonte er, dass er es nicht nur als eine Entscheidung der Newsom-Administration sehen will. Er will es zu einer Entscheidung des kalifornischen Staates machen, es soll hier keine Todesstrafe mehr geben. Und zu diesem Moratorium gab es noch ein paar, wie ich finde, Extras, wie den sofortigen Abbau der Hinrichtungskammer und seine Aussage, dass er dem neuen Giftcocktail für Hinrichtungen nicht zustimmen werde. Denn dieser braucht die Unterschrift des Gouverneurs, um eingesetzt zu werden."

"Auch Todeskandidaten benötigen Angebote im Gefängnis"

Weg ist die Todesstrafe in Kalifornien aber noch nicht. Weiterhin werden verurteilte Mörder in den East-Block von San Quentin geschickt. Dort sind derzeit 715 der 737 Todeskandidaten im Golden State untergebracht. Für sie erhofft sich Aktivist Mike Farrell einen anderen Umgang.
"Todeskandidaten dürfen nicht an Programmen teilnehmen, die anderen Gefangenen in San Quentin angeboten werden. Wir brauchen hier nicht über Resozialisierungsprogramme sprechen, denn es wäre ja ein Widerspruch jemanden zum Tode zu verurteilen, um ihn dann wieder resozialisieren zu wollen. Aber ich denke, auch diese Leute sollte man wahrnehmen, ihre Gegenwart. Es ist unsere Verantwortung, sie als Menschen zu behandeln, egal ob sie zum Tode verurteilt wurden. Ich glaube, dass es Programme und Angebote auch für sie geben sollte."

Nicht nur Jubel unter den Todeskandidaten

Nicht jeder im Todestrakt von San Quentin freut sich über das Moratorium. Die Nachricht wurde verhalten aufgenommen, so beschrieb es mir ein Häftling, der seit 1980 im Todestrakt ist. Es gab keinen Jubel, keine Freudentänze, keine große Begeisterung. Ganz im Gegenteil, einige der Todeskandidaten kündigten sogar an, den Staat Kalifornien verklagen zu wollen - auf ihr Recht hingerichtet zu werden.
"Ich habe einige Rückmeldungen bekommen, und die sind gemischt. Nicht jeder freut sich und nicht jeder ist damit einverstanden. Es gibt einige, die sagen, lass es uns durchziehen, wir wollen sterben, wir wollen so nicht mehr weiterleben. Ich kenn ein paar von ihnen persönlich. Es ist ganz fürchterlich, jemanden zu erklären, warum er am Leben festhalten und nicht aufgeben und sich freiwillig hinrichten lassen soll. Es gibt diese alte Weisheit, wo es Leben gibt, da gibt es Hoffnung.

Opfer-Angehörige kritisieren Moratorium

Nicht nur einige der Todeskandidaten sind gegen die Entscheidung von Kaliforniens Gouverneur. Auch Angehörige von Mordopfern wünschen sich die Vollstreckung der Todesstrafe. Wie Phyllis Loya. Ihr Sohn, Police Officer Larry Lasater, wurde 2005 durch die Kugeln eines Bankräubers getötet. Ein Gericht verurteilte den Schützen zum Tode, nun lebt er im Todestrakt.
"Ich möchte, dass der Gouverneur mir sagt, warum er denkt, seine persönliche Überzeugung ist wichtiger als die Entscheidung der Geschworenen, der Richter, der Wähler in Kalifornien. Was hätte mein Sohn denn noch für ihn und den Staat Kalifornien tun müssen. Er hat seinem Land im Marine Corps gedient, er starb als Polizist im Einsatz. Was hätte er noch tun müssen, damit ihm die Gerechtigkeit nicht gestohlen wird."
Gerechtigkeit heißt für die Mutter des Polizisten: Todesstrafe. Dafür stimmte in einer Volksabstimmung 2016 auch die knappe Mehrheit der kalifornischen Wähler. Das Moratorium des Gouverneurs sei deshalb "skandalös", sagt Anne Marie Schubert - Staatsanwältin für den Bezirk Sacramento:
"Er gab ein Versprechen im Wahlkampf, dass er den Willen der Wähler befolgen würde. Dieses Versprechen wurde nicht eingehalten. Das ist wirklich entmutigend. Man kann keine ehrliche Debatte über die Todesstrafe führen, wenn man nicht auch über die Tat spricht, denn die brachte die Täter dahin. Wenn man mit jemandem wie Sandy Friend spricht, deren achtjähriger Sohn auf dem Nachhauseweg gekidnapped und brutalst sexuell missbraucht und gefoltert wurde, für zehn Stunden von einem Serien-Sexstraftäter...man kann nicht diese Diskussion führen ohne diese Fakten dabei zu erwähnen."

Volksabstimmungen 2012 und 2016 knapp für Todesstrafe

Opfer- und Hinterbliebenengruppen, Verbände von Staatsanwälten und Polizei erklärten, Gavin Newsom habe einen Fehler gemacht. Sie alle halten ihm vor, dass er sich gegen den Willen des Wahlvolkes stellt. Aber die knappen Abstimmungen 2012 und 2016 – seien unfair gelaufen kritisiert, Todesstrafen-Gegner Mike Farrell:
"Was man verstehen muss: Der Abstimmungsprozess in Kalifornien ist mehr als schwierig. Man braucht dafür eine Menge Geld und unsere Gegner hatten einfach viel mehr. Deshalb haben wir verloren und sie knapp gewonnen. Sie haben mit den Angstbildern gearbeitet, dass diese gefährlichen Leute dann frei kämen. Die Mörder würden schon nach ihren nächsten Opfern suchen. Aber das stimmt nicht. Diejenigen, die hinter Gitter sind, bleiben es auch. Ich widerspreche also dieser Meinung, der Gouverneur habe sich gegen den Willen des Volkes entschieden."
Und auch Gavin Newsom selbst reagierte auf die Anschuldigungen, dass er sich über den Willen der Wähler hinwegsetze.
"Die Menschen in Kalifornien haben mir mit ihrer Stimme und durch die Verfassung das Recht eingeräumt, genau das zu tun, was ich nun mache."

Gouverneur: Todesstrafe bringt Kind nicht zurück

Nur einen Tag nach der Verkündigung des Moratoriums im Frühjahr war Gavin Newsom zu Gast in der wohl wichtigsten Tagestalksendung in den USA. "The View" wird täglich um zehn Uhr morgens auf ABC ausgestrahlt und erreicht ein Millionenpublikum. Dort wurde der Gouverneur gefragt, was er den Eltern sagen will, deren Kind von einem Monster brutal umgebracht wurde und das er nun anstelle mit dem Tod zu bestrafen am Leben lassen will.
"Ich hatte in den letzten Wochen zwölf solcher Gespräche. Es gibt nichts Schwierigeres, nichts Schmerzhafteres, als zu versuchen, mich an ihrer Stelle zu sehen. Überraschenderweise haben mir etliche Eltern gesagt, dass ich nicht das Recht hätte, das Leben eines anderen Menschen im Namen ihres Kindes zu nehmen. Sie wollten nicht mehr Gewalt, sie wollten weiterleben. Andere Eltern sagten genau das Gegenteil: Sie meinten zu mir, ich habe die Verantwortung das Böse auszurotten. Ich habe ihnen gesagt, es gibt nichts, was ich tun kann, um ihr Kind zurück zu bringen. Es gibt nichts, was ich sagen kann, das sie überzeugen wird. Aber ich muss etwas tun, bei dem es um viel mehr geht als nur um diesen einen Fall. Ich muss ein System konfrontieren, das rassistisch ist, ungerecht ist für Schwarze und Nicht-Weiße."
Mike Farrell stimmt Kaliforniens Gouverneur zu, gerade auch, weil er persönliche Erfahrungen gemacht hat:
"Ich habe selbst ein Familienmitglied durch einen Mord verloren. Ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn ein geliebter Mensch ermordet wird. Ich bin also ganz und gar nicht unsensibel. Ich verstehe das. Ich kann mir vorstellen, wie das sein mag, wenn meine Frau oder Tochter von einer Bestie verletzt, vergewaltigt, ermordet werden würde. Ich würde wahrscheinlich diesen Bastard mit meinen eigenen Händen erwürgen wollen. Ich hoffe, ich würde es nicht. Ich glaube, wir als Menschen sollten danach streben, besser zu sein, als jene, die das Schlimmste tun."

21 von 50 Bundesstaaten vollstrecken noch die Todesstrafe

Von den 50 US-Bundesstaaten haben 21 die Todesstrafe abgeschafft. Acht weitere - inklusive Kalifornien - haben alle Hinrichtungen ausgesetzt. In den restlichen 21 Bundesstaaten wird die Todesstrafe noch praktiziert. Im vergangenen Jahr wurden dort 25 Männer mit Giftspritze oder elektrischem Stuhl getötet. 13 davon allein Texas. Ein Ende kann nur jeder Bundesstaat für sich beschließen oder das Verfassungsgericht.
Jeanne Woodford glaubt daran. Die Ex-Direktorin von San Quentin wurde nach ihrer Zeit als Gefängnis-Chefin strikte Gegnerin der Todesstrafe:
"Ja, wir werden das Ende der Todesstrafe erleben. Ich bin mir sicher, in zehn bis 15 Jahren wird es sie nicht mehr geben. Es gibt einen Wendepunkt, an dem das US-Verfassungsgericht sagen wird, es ist nicht länger sozial akzeptiert, diese Strafe zu haben. Und an diesem Punkt werden sie die Strafe als nicht verfassungskonform erklären."

Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gegen Todesstrafe

Das ist mit der aktuellen konservativen Mehrheit im US-Verfassungsgericht aber noch in weiter ferne. Im Gegenteil: Präsident Trump scheint die Todesstrafe sogar für kleine Vergehen anwenden zu wollen:
"Wenn wir nicht härter gegen Drogendealer vorgehen, verschwenden wir unsere Zeit. Und Härte bedeutet auch die Todesstrafe."
Ganz anders sieht es die kalifornische Senatorin Kamala Harris. Sie ist eine Präsidentschaftskandidatin der Demokraten und legt gerade kräftig an Unterstützung zu.
Sie könnte gegen Donald Trump im nächsten Jahr antreten und auch die Todesstrafe zum Wahlkampfthema machen. Nach dem Moratorium in Kalifornien schrieb sie auf Twitter:
"Die Todesstrafe ist unmoralisch, diskriminierend, uneffektiv und nachweislich nicht gerecht angewandt. Ich applaudiere Gouverneur Gavin Newsom für seine Entscheidung ein Moratorium für dieses unglaublich fehlerhafte System der Todesstrafe in Kalifornien auszurufen."
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