"Kurt Cobain war ein Feminist"
Um Nirvana-Sänger Kurt Cobain ranken sich viele Legenden. Am 5. April 1994 beging der US-amerikanische Rockstar in Seattle Selbstmord. Cobain war es wichtig, die Macho-Attitüde des klassischen Rock und Hardcores abzulegen - er wollte ein anderes Männlichkeitsbild verkörpern: Auf der Bühne trug er Frauenkleider und küsste seine Bandmitglieder.
Matthias Hanselmann: Nirvana und "Come As You Are". Jonas Engelmann ist unser Gesprächspartner, er ist Musikjournalist und Literaturwissenschaftler, er schreibt für mehrere Zeitungen Popkultur-Artikel und gibt unter anderem die Musikzeitschrift "Testcard" mit heraus. Er ist jetzt für uns in einem Studio in Mainz. Willkommen, Herr Engelmann!
Jonas Engelmann: Hallo, grüße Sie!
Hanselmann: Eben gehört, "Come As You Are", das war ein riesiger internationaler Hit, Cobain und Nirvana wurden mit "Smells Like Teen Spirit" und Songs wie diesem riesige Stars, Posterboys auf der ganzen Welt. Wie wollte aber Kurt Cobain eigentlich selbst gesehen werden, wer wollte er in der Öffentlichkeit sein?
Engelmann: Na, er wollte sicherlich nicht nur der Posterboy sein oder nur zweitrangig ein Posterboy, sondern eigentlich vielleicht das Gegenteil: Er wollte ja vielleicht als Frau sozusagen auf dem Poster abgebildet sein. Er ist ja gern in Frauenkleidern aufgetreten auf der Bühne, hat mit seinen Bandkollegen Küsse ausgetauscht, hat sich in Interviews gegen Sexismen und Homophobie ausgesprochen, hat also immer versucht, sich auch als politischer Popstar zu präsentieren, und ist damit dann als Posterboy wohl gescheitert.
Bewusst unmännlich
Hanselmann: Er hat auch einmal gesagt: "Ich bin nicht schwul, obwohl ich es gern wäre", bloß um Leute mit Schwulenparanoia zu ärgern. Was unterschied ihn als Mensch und in seinem Auftreten vor Publikum von anderen Männern, die damals auf die Bühne gingen?
Engelmann: Na ja, wahrscheinlich genau solche Gesten oder solche Aussagen, also das bewusst Unmännliche oder eine bewusste Abkehr von solchen Rockerposen und dem Breitbeinigen im Rock vielleicht, was bei anderen Bands aus der Zeit wie, keine Ahnung, Soundgarden und ähnlichen Bands, die ja auch zu Grunge gezählt werden, natürlich im Vordergrund stand, so ein männliches Rockstar-Gehabe. Und damit wollte Kurt Cobain, glaube ich, so wenig wie möglich zu tun haben.
Hanselmann: Aber war das nicht schon mit dem Punk vorbei, dieses männliche Rockstar-Gehabe, also dieses sich nur in Lederhosen irgendwie vorne hinstellen, Beine breit, Gitarre bis zu den Knöcheln runter und so weiter?
Engelmann: Na, ich glaube, das ist was, was immer wieder neu auftaucht. Also Punk hat natürlich was verändert, in den Achtzigern war ja ein ganz anderes Männerbild in, vielleicht nicht in der Rockszene, aber in der Popszene, Bands wie Soft Cell, die ja eher so was Homosexuelles, Weiches in den Vordergrund gestellt haben, aber dieses männliche Rockstar-Ding ist ja was, was so alle, weiß ich nicht, zehn Jahre wieder auftaucht. Also im Grunge war es da mit Bands wie Soundgarden und dem, was danach dann kam, diese ganze Crossover-Schiene, Bands wie Biohazard, wo dann tatsächlich Männlichkeit und Wut und Härte im Vordergrund stand, und dann zehn Jahre später Bands wie die Strokes, die dann ja auch wieder so ein männliches Rockstar-Bild vor sich hergetragen haben.
Cobain war ein Feminist
Hanselmann: Diese Abgrenzung vom sogenannten Cock Rock war Cobain ziemlich wichtig. er hat einmal vom "real hatered for the average American macho male" gesprochen, also seinem Hass auf den durchschnittlichen US-Machomann geäußert, der nur kämpfen will und Frauen flachlegen. Das war ihm sehr wichtig. War er eine Art Feminist?
Engelmann: Kurt Cobain war auf jeden Fall eine Art Feminist. Er war sehr eng verbunden mit der feministischen Musikszene in der Zeit und in der Region, mit der Riot-Grrrl-szene sehr eng freundschaftlich und musikalisch verbunden, hat sich in Interviews ja auch immer wieder als Feminist bezeichnet und feministische Anliegen unterstützt, Pro-Choice-Festivals gespielt, sich gegen Sexismus ausgesprochen, Songs über Vergewaltigung komponiert et cetera. Also er war schon durch und durch Feminist.
Hanselmann: Also die Riot Grrrls, diese, sagen wir, feministisch subkulturelle Bewegung, die es damals gab, hat er sehr bevorzugt. Wie lief das eigentlich, wenn er auf die Bühne gegangen ist, also wie hat er sich da gezeigt, wie ist er mit dem Publikum umgegangen, mit den Fans?
Engelmann: Na ja, er hat, glaube ich, schon versucht, seine Fans, mit denen er, glaube ich, größtenteils auch nicht unbedingt zurechtkam – weil das zum Teil ja Leute waren oder ein Großteil, als er dann wirklich bekannt war, Leute waren, die sich eben nicht mit dem, was ihm politisches Anliegen war, auseinandergesetzt haben –, der hat da schon versucht, zu provozieren in gewisser Weise, eben durch solche Aktionen wie homosexuelle Andeutungen auf der Bühne mit seinen Bandkollegen, die Sache mit den Frauenkleidern et cetera. Also er hat schon versucht, da irgendwie eine Art von Provokation, die vielleicht im besten Fall Nachdenken anregt, anzustreben auf der Bühne.
Hanselmann: Axl Rose war so eine Hassfigur von ihm von Guns’n’Roses, und einmal ist er von der Bühne gegangen und hat den Flügel von Axl Rose im Abgang angespuckt. Dumm gelaufen - es war in Wirklichkeit der von Elton John.
Engelmann: Ja.
Hanselmann: Cobain hat fast alle Songs der Band geschrieben, er war das Zentrum. Welche Rolle haben die beiden anderen Mitglieder von Nirvana gespielt eigentlich?
Engelmann: Na ja, Krist Novoselic war ja ein alter, alter Freund von Kurt Cobain, die haben ja im Grunde in ihrer Jugend schon angefangen, zusammen Musik zu machen und auch sich politisch gemeinsam sozialisiert. Insofern, das ist eine sehr lange Freundschaft, die, glaube ich, eine sehr große Bedeutung für den Bandkontext hatte. Und Dave Grohl hat dann wieder eine andere Rolle, der steht vielleicht dann innerhalb des Bandgefüges für die Verbindung zur, ja, vielleicht politischen Hardcoreszene, weil er ja in Washington Dischord-Label-Umfeld, also ein sehr politisches Hardcorelabel, in der Band Scream gespielt hat vorher und da auch noch mal sich zeigt, dass Kurt Cobain eben nicht losgelöst von jeglichen Kontexten agiert hat, sondern tatsächlich verwurzelt war in einer gewissen politischen Punk-Hardcoreszene.
Hanselmann: Wir wollen noch einen Song von Nirvana anspielen, da textet Kurt Cobain die folgende Zeile: "Never met a wise man, if so, it’s a woman", ich bin nie einem weisen Menschen begegnet, und wenn doch, dann war es kein Mann, sondern eine Frau. Und wir wollen ein bisschen darauf achten, wie es dabei musikalisch zugeht.
Machorock kann kein Ausweg sein
Hanselmann: Nirvana mit "Territorial Pissings", Jonas Engelmann ist unser Gesprächspartner, er ist Musikjournalist. Jonas, da kann man sich schon irgendwie bei dieser Musik schon eher diesen männlichen Lederhosenrockstar vorstellen, ein Bein auf der Monitorbox, ein Arm hochgestreckt zum Victory-Zeichen. Das klang eher so nach Macho-Rock, oder?
Engelmann: Definitiv. Also ich glaube, dass dieses Anliegen oder den Anspruch, den Kurt Cobain hatte an sich als Person oder an sein Umfeld, dass das in der Musik sich nicht unbedingt wiederfindet, vielleicht in den Texten zum Teil, also "Territorial Pissings" ist ja ein Song, den kann man, wenn man will, ja auch interpretieren als eine Auseinandersetzung mit eben Reviermarkierung, Machoverhalten und Suchen nach Auswegen daraus. Die Frage ist nur, ob dann die Form der Musik, also tatsächlich dann eine Reproduktion dieses Machorock, ein Ausweg sein kann. Und da würde ich dann eher zweifeln daran.
Hanselmann: Da sind wir natürlich auch bei dem Punkt, ob man das auch immer so genau kontrolliert als Musiker und kontrollieren kann. Man hat ja bestimmte Hintergründe auch und denkt in dieser Sekunde vielleicht gar nicht daran, oder?
Engelmann: Ja, natürlich nicht, also gerade in den Dimensionen, in denen Nirvana sich dann bewegt haben, hat man natürlich überhaupt keine Kontrolle mehr darüber, wie das, was man macht, rezipiert wird oder was daraus gemacht wird, wie es wahrgenommen wird.
Hanselmann: Lassen Sie uns noch kurz über den Ausdruck Grunge sprechen. Also die Musik wurde als Grunge bezeichnet, es gab dann im Nachfeld von Nirvana viele Bands, die gesagt haben, wir machen auch Grunge. Grunge heißt erst mal wörtlich so viel wie Dreck, wurde das Label für die Musik von Nirvana und für Nachfolgebands. Was wollte Grunge eigentlich sein?
Auflösung tradierter Männerbilder
Engelmann: Na, ich glaube, das ist nicht so ganz klar definiert, also es gab ja nie ein Manifest des Grunge oder eine Definition dessen. Ich glaube, dass die Idee, was Kurt Cobain vielleicht unter Grunge verstanden hat, nämlich tatsächlich auch vielleicht so eine Auflösung von tradierten Männerbildern innerhalb von Musik, die sich dann vielleicht nicht in der Musik alleine wiederfindet, aber im gesamten Kontext, in den Strukturen, in denen man sich bewegt, in den Interviewsstatements, die man abgibt, in den Texten, die vielleicht dann ein bisschen weniger selbstbewusste Rockattitüde in sich tragen, sondern vielleicht ein bisschen mehr Selbstzweifel, dass diese Idee von Grunge, die vielleicht bei Kurt Cobain im Vordergrund stand, in der großen medialen Definition von Grunge völlig untergegangen ist, wo es dann tatsächlich nur noch um eine bestimmte Form von Musik ging, die dann als Grunge verkauft wurde. Und da bleibt natürlich dann wenig Substanz übrig. Und der Begriff war natürlich eine Marketingstrategie auch von großen Plattenfirmen, um an den Erfolg von Nirvana anzuknüpfen. Aber so wirklich tief geht der Begriff, glaube ich, nicht.
Hanselmann: Was macht eigentlich diesen Kultcharakter von Kurt Cobain aus? Ich denke an Jim Morrison, an Jimmy Hendrix und andere, diesen berühmten Club der 27, die alle jung gestorben sind und dadurch zum Kult wurden. Ist es das, oder ist es mehr?
Engelmann: Na ja, ich glaube, dass Kurt Cobain natürlich zum einen dadurch, dass er eben so früh gestorben ist, natürlich heute diese wahnsinnig mythologische Überhöhung erfährt, die er eben bekommt, aber dass natürlich in diesem Politisch-sein-Wollen er zumindest innerhalb bestimmter Strukturen auch eine relativ große Nachwirkung hatte und sich da immer noch Spuren finden lassen, die vielleicht von ihm ausgingen in diesem Versuch, bestimmte Formen von Rockstar-Bildern zu überwinden. Er hat es sicherlich nicht in jeder Hinsicht, in alle Richtungen geschafft, diese Idee von Rockstar aufzulösen, aber er hat bestimmt an bestimmten Punkten zum Nachdenken angeregt. Und das ist, glaube ich, was, was heute noch von ihm als Mensch übrig bleibt, neben der Musik natürlich.
Hanselmann: Neben der Musik und diesen Aufnahmen, die ihn hören lassen mit einer extrem eindringlichen und extrem emotionalen Stimme bei seinen Songs. Danke schön, Jonas Engelmann, Musikjournalist und Herausgeber von "Testcard", vielen Dank nach Mainz!
Engelmann: Bitte, bitte!
Hanselmann: Kurt Cobain, morgen ist sein 20. Todestag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.