"Töten für die Ehre"

Von Christiane Giesen |
Cans Eltern leben seit fast 40 Jahren in Deutschland. Als sechsjähriges Kind schickten sie ihn vier Jahre zu Verwandten nach Istanbul. In dieser Zeit passierte auch der sogenannte Ehrenmord an seiner Stiefschwester. Was Ehre genau für ihn bedeutet, kann Can nicht beantworten, aber das Gesetz 'Gewalt erzeugt Gegengewalt' ist eine der wenigen Regeln, die er strikt befolgt.
Cans kleingewachsener Vater gibt die Parole des Tages aus: Can braucht neuen TÜV, erklärt der fast 70-jährige Türke. Wenn Can neuen TÜV braucht, dann geht es nicht ums Auto. Can muss dann zur Ausländerbehörde und seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen. Can ist zwar in Berlin geboren, aber einen deutschen Pass hat er nicht. Als jugendlicher Intensivtäter braucht er deshalb alle paar Monate eine amtliche Erlaubnis, um hierbleiben zu können:

Can: " Ich denke, er gibt mir Aufenthaltserlaubnis. Klappt mir ein Buch auf, liest mir meine ganzen Anzeigen vor. Ich sage: Ich weiß doch, was ich gemacht habe. Geben Sie mir einen Aufenthalt oder nicht? Nein. Warum? Kriminell. Ich war kriminell, ja, ja, ich war kriminell. Ja, ich kann auch nichts dafür. "
Der Beamte droht Can diesmal mit der Ausweisung aus Deutschland. Lebenslänglich Türkei: Can ist geschockt:

" Was soll ich da? Keine Arbeit, nichts. Da ist es ja so, da gibt es kein AOK: "Wir sind immer für sie da" und so. "

Cans Eltern leben seit fast 40 Jahren in Deutschland. Sie kamen hierhin, um Geld zu verdienen. Da störte auch der kleine Can. Als sechsjähriges Kind schickten ihn die Eltern deshalb zu Verwandten in die Türkei. Vier Jahre lang lebte Can in Istanbul. In dieser Zeit passierte auch der so genannte Ehrenmord an seiner Stiefschwester:

" Meine Schwester ist doch deswegen gestorben. Ihr Mann hat sie umgebracht. (…) Er geht jetzt 30 Jahre rein. (...) Wenn ich 47 bin, kommt der wieder raus. Und dann wird der sofort getötet, sofort, egal von wem, von meinem Vater, von meinem Bruder oder von mir - egal von wem. (...) wir warten 30 Jahre. Stellen Sie sich mal vor, Ihre Schwester kriegt einen Kopfschuss und ist tot. "

Was Ehre genau für ihn bedeutet, kann Can zwar nicht beantworten, aber das Gesetz: Gewalt erzeugt Gegengewalt ist eine der wenigen Regeln, die er strikt befolgt:

" Ich sitze in U-Bahn, kommt irgendein Junge, zeigt mir ein Ficker. Ich sag, ich fick deine Mutter, er sagt mir auch, ich fick deine Mutter. Und dann gehe ich ihn zusammenschlagen. Und dann erste Anzeige schon. Man kann hier nicht so einfach friedlich leben, geht nicht. "

Laut eigener Aussage hat Can fast 70 Straftaten begangen. Das sind nur die "erwischten", fügt er fast ein wenig stolz hinzu. Seit seinem zehnten Lebensjahr wohnt er wieder bei seinen Eltern in Deutschland. In einem Viertel, in dem die Satellitenschüssel am Fenster zum Standard gehört, und die deutsche Kultur ein unbekanntes Wesen bleibt:

" Gehen Sie auf Straße und fragen einen Araber, hast du Ehre? Der würde sagen, was redest du, bist du bescheuert, was stellst du mir für Fragen? Jeder ist so, es hat nichts mit mir zu tun, hat was mit Kulturaufwachsung zu tun. Ist bei jedem so. Ich würde töten für Ehre. Ich würde 20 Jahre reingehen für Ehre. Was anderes interessiert mich nicht. Bei Ehre hört alles auf, alles. "

Das Gespräch zum Thema mit Ahmet Toprak, Professor für Erziehungswissenschaft an der Fachhochschule Dortmund, können Sie mindestens bis zum 6.5.09 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.

Die Reihe "Ich schlage, also bin ich" – Jugendkriminalität in Deutschland
Themenschwerpunkt im Deutschlandradio Kultur: 5. bis 10. Januar 2008, täglich in der Ortszeit um 8.40 Uhr und im Radiofeuilleton um 14.10 Uhr sowie am Samstag in der Zeit von 9 bis 11 Uhr.
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