Tom Combo: "Inneres Lind"
Verbrecher Verlag, Berlin 2019
242 Seiten, 20 Euro
Was von der wilden Zeit bleibt
05:14 Minuten
Früher haben sie illegale Bike-Partys im Schweizer Wald organisiert – heute versucht sich eine Gruppe von Freunden an der bürgerlichen Existenz. Wie die Vergangenheit sie einholt, davon erzählt Tom Combo in seinem mitreißenden Roman "Inneres Lind".
Es beginnt mit einem Polizeitaucher und der Leiche eines Mannes, die aus einem Schweizer See geborgen wird. Aber was hier anfängt, ist kein Krimi. Auch wenn Fragen nach Gewalt und Schuld sich durch den ganzen Roman von Tom Combo ziehen. "Inneres Lind" – benannt nach der Gegend in der Schweizer Stadt Winterthur, wo das Buch spielt – erzählt von vier Menschen, die früher beste Freunde waren.
Protagonisten versuchen sich in bürgerlichen Karrieren
Was Bruno, Gerda, Patrick und Miriam verband, war ihre Leidenschaft fürs Mountainbiken und fürs exzessive Feiern. Aber die Zeiten, als die Clique illegale Partys mitten im Wald organisierte, sind lange vorbei. Je weiter ihre mehr oder weniger bürgerlichen Karrieren als Architekten, Videokünstler und Fahrradkurierin sich entwickeln, desto weniger hält sie zusammen.
Der Tote im See spielt für das Auseinanderbrechen der Freundschaft eine entscheidende Rolle – aber das enthüllt der Autor erst nach und nach aus wechselnden Perspektiven. Mal treibt ein allwissender Erzähler die Handlung voran, dann wieder gibt ein Ich Einblicke in seine Gedankenwelt. Im Laufe des Buches tauchen wir so in die Köpfe der verschiedenen Freunde ein – oft ohne genau zu wissen, um wen es sich gerade handelt. Tom Combo erzeugt damit geschickt Vielschichtigkeit und Spannung.
Starke Dialoge voll abgründigem Humor
Das Buch lebt von seinen starken Dialogen voll abgründigem Humor, Bitterkeit und Lebensweisheit. Auf eine Begrüßung wie "Hallo Krüppel" - gerichtet an Rollstuhlfahrer Patrick, der ein "Hallo Schlampe" an Gerda zurückgibt, können Sätze folgen wie: "Wahrscheinlich ist es das Schwierigste, zu begreifen, dass man das, was man verdient zu haben glaubt, eben nicht verdient hat." Klug reflektiert der Autor Selbsthass und Sucht.
Beidem scheint Hauptfigur Bruno – als einziger aus der früheren Clique – entkommen zu sein. Heilsam für ihn sind lange Mountainbike-Touren durch die Schweizer Wälder, bei denen er Naturgeräusche aufnimmt. Wieder zu Hause tüftelt er stundenlang am Computer daran, das Knacken von Ästen und Rauschen von Laub zu Rhythmen zu arrangieren: "Vierviertel, Bruch, dürre Esche, Knistern, Hieb mit Sanddorn, Schlag Tanne". Man meint, die Beats des Waldes aus solchen Sätzen herauszuhören.
Autor nimmt Bezug auf reale Ereignisse in seiner Heimatstadt
Das Interesse für Klänge hat Bruno von seinem Schöpfer. Tom Combo, der mit bürgerlichem Namen Thomas Meister heißt, ist hauptberuflich Musiker und hat dieses Jahr ein Album veröffentlicht, auf dem er einem Cello ungewohnte Geräusche und Töne entlockt. Wie seine Buchfiguren lebt der Mittfünfziger in Winterthur und nimmt Bezug auf reale Ereignisse in seiner Heimatstadt: die Gentrifizierung des Inneren Linds oder eine unangemeldete Tanzdemo, bei der es 2013 zu heftigen Zusammenstößen zwischen Protestierenden und der Polizei kam – 11 Verletzte, 90 Verhaftete und Buchfigur Gerda mittendrin.
Nach Geschichten und Reportagen, die der Autor 2001 unter dem Titel "Vielleicht nur Teilzeit" veröffentlicht hat, und dem Thriller "Der Spielraum" von 2004 hat Tom Combo lange nicht mehr geschrieben. Jetzt, nach 15 Jahren Pause, überzeugt er mit einem temporeichen Roman über alternde Alternative, die sich den existenziellen Fragen stellen müssen: der Liebe und dem Tod.