Der Tiger steht kopf
Tom Jones schnallt sich morgens auf einer Liege fest und dreht sich um 180 Grad, erzählt er. Genauso macht er es mit den Coverversionen auf seinem neuen Album "Surrounded by Time". Ein grandioses Spätwerk des "walisischen Tigers".
"Ich habe schon mit anderen Leuten geschrieben, bin aber kein richtiger Songwriter. Ich brauche Material, wie ich es auch gerne selbst verfassen würde. Wie 'Windmills Of Your Mind', das von Michel Legrand stammt. Ein fantastisches Stück, gerade der Text ist wirklich stark. Insofern: Wenn ich schreiben könnte, dann so. Aber ich kann es nicht, also lasse ich die Finger davon."
Sir Tom ist bester Laune. Er sitzt in seinem Londoner Apartment, raucht Zigarre und schlürft Kaffee aus einer gigantischen Tasse. Für sein Alter wirkt er topfit und klingt auch so.
Auf "Surrounded By Time" interpretiert er Stücke von Bob Dylan, Bobby Cole, Cat Stevens oder den Waterboys, die Produzent Ethan Johns komplett umarrangiert hat. Interpretationen, die auf Hightech-Sounds oder große Orchestrierung setzen und zwischen Ambient, Gospel, Blues und lupenreiner Avantgarde pendeln.
Noch wichtiger: Inhaltlich scheinen sie wie für den Altmeister geschrieben. Etwa "One More Cup Of Coffee" von Dylan – eine regelrechte Parodie auf Sir Toms Ruf als legendärer Lebemann.
"Wein, Weib und Gesang – das trifft es wohl am besten. Aber: Für mich hatte der Song immer oberste Priorität. Erst dann kamen der Wein und vielleicht noch die Frauen. Und ich liebe Cognac. Als ich jung war, habe ich viel davon getrunken. Mittlerweile ist es nur noch ein Kleiner zum Kaffee. Im Stück 'One More Cup Of Coffee' geht es um die berühmte Frage, die ich mir selbst oft gestellt habe: 'Warum hattest du noch diesen letzten Drink? Wäre der nicht gewesen, hättest du heute nicht einen solchen Kater'."
Selbstironischer Blick auf die eigene Vergangenheit
Ein Stück, das seinen selbstironischen Umgang mit der Vergangenheit unterstreicht. Mit einer 60-jährigen Karriere voller Höhen und Tiefen, in der der "walisische Tiger", wie er in den Swinging Sixties genannt wurde, so ziemlich alles erlebt hat.
Das thematisiert er jetzt im Sinne eines großen Crooners oder als Spoken Word: seine wilden Anfänge, der Tod seiner Frau Linda durch Lungenkrebs, sein Umgang mit dem Alter, aber auch bemerkenswert tiefgründige Gedanken zu Umweltzerstörung, Unterhaltungsindustrie und Politik.
Im "Talking Reality Television Blues" wettert er süffisant gegen Ex-Präsident Trump.
"Trump hatte drei Hotels in Atlantic City, in denen ich aufgetreten bin. Und er war oft im Publikum, weil da viele Frauen waren und er gerne im Rampenlicht stand. Ich musste ihn dann vorstellen: 'Der Besitzer dieses wunderbaren Hotels ist heute hier – meine Damen und Herren: Mr. Donald Trump!' Er ist aufgestanden, hat sich verbeugt und wie ein Star gefühlt. Ich hielt ihn für einen Playboy – mehr nicht. Dann tauchte er mit seiner schlimmen Frisur in einer Reality-TV-Show auf, versprach das Blaue vom Himmel und wurde Präsident der USA. Ob ihm ein politisches Comeback gelingt? Donald Trump? Keine Ahnung."
Ein grandioses Spätwerk
Sein neues Album "Surrounded By Time" ist eine musikalische Glanzleistung, für die Sir Tom Jones zum Lord geschlagen werden müsste. Einfach, weil hier alles stimmt, weil es laute und leise, harte und weiche, witzige und traurige Momente gibt, keine Langeweile aufkommt und am Schluss des einstündigen Materials der "Lazarus Man" – die große Wiedergeburt – steht.
Ein grandioses Spätwerk und – so Jones – bestimmt nicht sein letztes. Schließlich praktiziert er die so genannte Inversionstherapie, bei der er sich selbst genauso auf den Kopf stellt wie seine Coversongs.
"Ich habe so eine Liege im Badezimmer, auf der ich mich morgens nach dem Aufstehen festschnalle – und um 180 Grad drehe. Das ist wirklich angenehm: Das Blut strömt dir in den Kopf und du kannst viel klarer denken. Ich habe zwar noch nicht versucht, so zu singen, aber wer weiß: Vielleicht mache ich das ja auf dem nächsten Album."