Tom Kummer: Nina & Tom
Blumenbar, 2017
253 Seiten, 20 Euro
So dicht an der Wirklichkeit wie noch nie
"Nina & Tom" ist ein glühender Liebesroman – die Geschichte einer 30 Jahre anhaltenden "amour fou" in Berlin, Barcelona und Los Angeles. Verfasst hat ihn Tom Kummer, der als Hollywood-Reporter mit Interviews berühmt wurde, die seiner Fantasie entsprungen waren.
"An der Westküste Amerikas bin ich in einen fantastischen Realismus abgehoben", sagte Tom Kummer im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur auf der Leipziger Buchmesse: "Wer meine Interviews gelesen hat, hätte eigentlich merken sollen, dass das Gespräche mit mir selber sind." Sein Roman, der auch vom Sterben seiner Frau Nina handelt, sei hingegen realistischer als alles andere, was er je geschrieben habe.
Das Interview in der Sendung "Lesart" in Auszügen:
Frank Meyer: Tom Kummer, kurz zur Vorstellung, ist berühmt geworden in den 90er-Jahren mit Star-Interviews, wirklich großen Stars, Sharon Stone zum Beispiel, Charles Bronson – und dann ist er mit diesen Interviews noch berühmter geworden, als herauskam, dass diese Interviews zum Teil frei erfunden waren. Damals war Tom Kummer der "Bad Boy of German Journalism". Jetzt hat er einen Roman geschrieben, also eine Fiktion. Also wir sind noch nicht auf diesem wackligen Gleis "was ist wahr, was ist nicht wahr". Vielleicht führen Sie uns erst mal rein in diese Geschichte: Als Tom zum ersten Mal Nina sieht, was sieht er da, was für ein Wesen hat er da vor sich?
Tom Kummer: Erst mal ist es nicht klar, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Wir sind beide 20 Jahre alt, ich besuche Barcelona in 1984. Ich bin dort auf dem Weg als Performance-Künstler und ich habe die Provinz verlassen, ich komme aus Bern, aus der Schweiz. Interessant war, dass Nina wirklich so ein androgynes Wesen darstellte, dort in einer gerade sehr angesagten Bar, einem Club (...) Aber es war in Barcelona wirklich ein aufregender Club, Barcelona war am Erwachen nach der Franco-Zeit. Und da steht Nina vor mir – und ich hätte nicht gedacht, dass mich eine Frau so reinziehen kann. So ist es dann auch geblieben für 30 Jahre, das ist die Geschichte.
"Wir wollten Außenseiter sein"
Meyer: Das ist so eine intensive Liebe, man fragt sich oft, lieben die sich jetzt eigentlich oder wollen die sich gegenseitig zerstören? Weil so viel Gewalt im Spiel ist, auch im Sex. Was war das für eine zerstörerische Liebe zwischen den beiden?
Kummer: Ich weiß nicht, ob es die Zeit war, aber Liebe kann zerstörerisch sein. Wichtig ist, dass man immer wieder versucht, zusammenzukommen. Natürlich waren wir beide von der Punk-Zeit auch geprägt, wir hatten so eine Sehnsucht nach einer existentialistischen Erfahrung. Wir wollten Außenseiter sein. Wir wollten überhaupt keine Romantik, für uns war nicht Liebe etwas Romantisches, es war ein Kampf. Das Erstaunliche ist, dass wir das überlebt haben. Ich beschreibe das natürlich in sehr erschütternden Bildern, aber wer das liest, wird merken, dass wir nach 20 Jahren Kinder bekommen, wir werden Eltern, und plötzlich schaffen wir diesen Dreh, aus dieser "amour fou", diesem "flirting with disaster" heraus doch Vater und Mutter zu werden, zwei schöne Jungs zu kreieren und in Los Angeles ein ganz bürgerliches Leben anzufangen.
Meyer: Was war das an Los Angeles, was da auch noch mal diesen Neustart möglich gemacht hat?
Kummer: Man sagt ja immer, dass man sich an der Westküste Amerikas neu erfinden kann. Es haben viele Karrieren dort auch begonnen. Man kann die Wirklichkeit verlassen, die Stadt mit ihren vielen Autobahnen und der ständigen Überbelichtung wirkt künstlich. Das fördert natürlich auch ein Leben in einer Fantasie. Das haben wir natürlich fast ein bisschen gesucht. Das hat uns fast meditativ heruntergeholt von diesem harten Rhythmus der 80er-Jahre in Berlin. Das hat sich dann natürlich auch in meiner Sprache reflektiert. Ich bin auch eher in einen fantastischen Realismus abgehoben. Wer meine Interviews gelesen hat, hätte eigentlich merken sollen, dass das Gespräche mit mir selber sind. Also mit Sicherheit hat Los Angeles einen Einfluss gehabt auf meine Arbeit.
"Wow, das muss Fiktion sein"
Meyer: Sie meinen jetzt diese Interviews, die ihnen dann um die Ohren geflogen sind später, weil sie eben als Fälschungen herauskamen. Sie beschreiben in dem Roman noch mal, wie Sie diese Interviews gemacht haben (...) Jetzt weiß man natürlich als Leser nicht, haben Sie das wiederum jetzt sich für den Roman ausgedacht oder war es tatsächlich so?
Kummer: Der Roman spielt so dicht an der Wirklichkeit, wie ich noch nie an der Wirklichkeit geschrieben habe. Es ist aber eine Sprache, die so dicht ist und so nah an den Bildern dran, dass man vielleicht das Gefühl bekommt: Wow, das muss Fiktion sein. Aber ich habe an diesem Buch sehr hart gearbeitet und habe versucht, mein Leben und das Leben von Nina sehr realistisch wiederzugeben.
Meyer: Obwohl das Buch mit dem Tod von Nina endet, hat es für mich auch etwas von einem Märchen, weil es ein Tod ist, der so von Liebe umfangen und getragen ist. Würden Sie sagen, dass dieses Buch trotz allem Realismus doch eine Art Märchen ist?
Kummer: Eine Liebe, die so lange dauert, 30 Jahre dauert, die alles beinhaltet, Höhen und Tiefen, das wirkt rückblickend immer wie ein Märchen. Ich kann das auch selber kaum glauben, dass wir beide das so weit hinbekommen haben. Ich glaube, diese Extreme, die ich beschreibe, den Sterbensprozess meiner Frau (...) wir haben das richtig intensiv miterlebt. Das wirkt märchenhaft in seiner Tragik, aber auch in seiner Intensität. Das wollte ich definitiv rüberbringen mit dem Roman.