Tom Lin: "Die tausend Verbrechen des Ming Tsu"

Kein US-Mythos ohne Rassismus

03:49 Minuten
Das Cover des Krimis von Tom Lin, "Die tausend Verbrechen des Ming Tsu". Es zeigt neben Autorenname und Titel eine Illustration. Darauf ist ein Reiter auf seinem Pferd im Schattenriss vor einem stilisierten Sonnenuntergang zu sehen.
© Suhrkamp

Tom Lin

Übersetzt von Volker Oldenburg

Die tausend Verbrechen des Ming TsuSuhrkamp, Berlin 2022

304 Seiten

16,00 Euro

Von Sonja Hartl |
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Tom Lins beeindruckender Debütroman „Die tausend Verbrechen des Ming Tsu“ setzt auf Figuren, die im Western lange nicht vorkamen. Ein Angriff auf die rassistischen Mythen Amerikas.
Es ist eine bekannte Geschichte: Ein knallharter Außenseiter begibt sich auf einen Rachefeldzug, um die Männer zu töten, die seine Ehefrau entführt und ihn durch eine Intrige zu zehn Jahren Zwangsarbeit verdammt haben. Aber in Tom Lins "Die tausend Verbrechen des Ming Tsu" bewegt sich kein harter weißer Mann durch Utah und Nevada im Jahr 1869, sondern: Ming Tsu.
Seine chinesischen Eltern kennt er nicht, er wurde in den USA geboren und von einem Weißen adoptiert, der ihn zu einem Auftragskiller gemacht hat. Dieser Ming Tsu mordete präzise und abgeklärt – bis er sich in eine weiße Frau verliebte. Und nun macht er sich auf, seine Ehefrau zu finden und sich an den Männern zu rächen, die sein Leben ruiniert haben.

Konflikte zwischen Weißen und Chinesen

Seine Herkunft spielt bei diesem Unterfangen gleich mehrfach eine Rolle: Solange Ming Tsu alleine unterwegs ist, fällt er auf, weil er nicht weiß ist. Er wird beschimpft, angegriffen und gejagt.

Tom Lins Roman hat auch unsere Krimi-Jury voll überzeugt. Der Roman hat es auf Anhieb in unsere Krimibestenliste geschafft.

Deckung findet er indes inmitten der chinesischen Arbeiter, die die Gleise der Central Pacific Railroad verlegen – und deren weiße Vorarbeiter die Arbeiter gar nicht unterscheiden wollen. Ihre Arbeit wurde im Übrigen aus der offiziellen Geschichte der Erschließung des amerikanischen Westens gestrichen: ein weiteres Beispiel dafür, dass Rassismus jedem US-amerikanischen Mythos eingeschrieben ist.
Aber Tom Lin macht in seinem spannenden Thriller mehr, als nur bekannte Rollen neu und interessant zu besetzen: Mings Opfer sind austauschbar, seine Ehefrau bleibt sogar in den Rückblenden blass – und zwar absichtlich. Für Tom Lin sind diese bekannten weißen Figuren auserzählt.

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Wie Ishmael Reed erzählt er von den Menschen, die lange im Western nicht vorgekommen sind, und mischt verschiedene Genre-Elemente: Ming reist mit einem alten blinden Propheten, der die Zukunft vorhersagt und oftmals das Ende eines Aufeinandertreffens bereits vorwegnimmt. Er trifft auf eine Zirkustruppe, zu denen ein stummer Junge gehört, der als Bauchredner auftritt, und eine Frau, die sich selbst anzündet und überlebt.

Magische Momente, präzise Beschreibungen

Diese bisweilen magischen Momente verbinden sich mit präzisen Beschreibungen, die an Cormac McCarthy erinnern, einem schnellen Erzähltempo und kurzen Kapiteln.
Tom Lin setzt sehr klug Wiederholungen ein – das wiederholte Polieren eines Nagels, das Reinigen der Waffe –, die die Monotonie des Tötens und des Lebens und damit des Westerns deutlich machen. Außerdem erzählt dieser knapp 300-seitige packende Roman davon, wie ein Mythos durch verklärte und falsche Erinnerungen entsteht. Ein beeindruckendes Debüt.
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