Tomas Espedal: "Lieben"

Espedal erklärt das Ende der Autofiktion

13:21 Minuten
Tomas Espedal, ein mittelalter Mann mit kurzen Haaren und Bart, guckt mit ernstem Gesichtsaudruck in die Kamera.
Tomas Espedal hat das autofiktionale Schreiben großgemacht. Doch die Entwicklung der Literatur-Gattung passt ihm nicht. © Matthes & Seitz / Dag Knudsen
Tomas Espedal im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Karl Ove Knausgård und Tomas Espedal haben mit ihrer Form des autofiktionalen Erzählens nicht nur die norwegische Literatur revolutioniert. Für Espedal ist jetzt aber die Zeit gekommen, diesen Stil zu Grabe zu tragen.
Die Verbindung von Fiktion und Autobiografie hat dem norwegischen Schriftsteller Tomas Espedal zu Weltruhm verholfen. Aus der Ich-Perspektive erzählt er Geschichten, die nach seinem eigenen Leben klingen, aber mit viel Dichtung durchmischt sind. Neun solcher Bücher Espedals konnte man schon lesen. Jetzt erscheint mit "Lieben" der zehnte Band: Wenn es nach Espedal geht, soll der nicht nur den Hauptcharakter, sondern das ganze Genre töten.

Ein Limit für das Leben

Der Erzähler, den das Publikum lange dabei begleitete, wie er Liebesverluste erlitt und wie er trank, beschließt, nur noch ein Jahr leben zu wollen. Und obwohl er denkt, er habe schon alles erlebt, gefühlt und gedacht, wird diese Zeit zu der intensivsten seines Lebens.
"Es geht darum, was für ein Verhältnis wir zum Tod haben, und darum, wie viel intensiver das Leben wird, je näher der Tod rückt", erklärt Espedal. Die Motivation von Espedals Erzählers rührt daher, dass er seine krebskranke Mutter beim Sterben begleitet hat.
Diese ist in einem Krankenhaus gestorben, was ihr auf eine Art den Tod genommen habe: "Deswegen beschließt dieser Erzähler zu sterben, wenn es ihm gut geht. Er möchte die Kontrolle über den Tod behalten", erklärt Espedal. "Natürlich wird damit dann auch jeder Monat, den er erlebt, intensiver, weil er plötzlich zum ersten Mal wirklich ganz bewusst spürt, was der Frühling bedeutet, was der Winter bedeutet, was der November bedeutet. Je näher er dem Tod kommt, umso näher kommt er letztendlich auch dem Leben."

Dem Tod nah, um das Leben zu feiern

Doch trotzdem – und daher der Titel des Buches – liebt der Erzähler das Leben. Ohnehin ist die Liebe ein Thema, das Espedal viel beschäftigt. "Liebe ist das Thema vieler meiner Werke", sagt der 59-Jährige. "Allerdings zeige ich Liebe nicht nur als eine Liebe zwischen Mann und Frau, ich zeige ihnen Liebe auch zwischen zwei Männern. Ich zeige auch eine Liebe zur Natur oder wie in diesem Fall eine Liebe zum Leben."
Doch für Espedal gehört auch der Tod mit in dieses Feld. Denn für ihn ist es besser, die schlimmsten Dinge des Lebens in sich aufzunehmen, statt zu versuchen, Distanz aufzubauen. So lebt und arbeitet er beispielsweise immer noch in dem Haus, in dem seine Frau gestorben ist – obwohl seine Freunde ihn immer wieder fragten, wie er das schaffe.
"Ich habe erwidert, ich wäre kein Schriftsteller, wenn ich das nicht könnte. Ich muss unter allen Bedingungen in der Lage sein, zu schreiben. Jetzt beispielsweise bin ich der Vater eines neun Monate alten Babys, und ich kann schreiben. Da ist die Liebe sozusagen das, was neben mir ist. Aber auch wenn ein Krieg ausbricht, muss ich trotzdem weiterzuschreiben. Das ist für mich auch die Aufgabe eines Schriftstellers: das Leben so zu nehmen, wie es kommt. Und in diesem Buch ist es einfach so, dass man dem Tod sehr nahe kommt, um das Leben feiern zu können."

"Jetzt ist es einfach genug"

Neben dem Abschied vom Erzähler ist "Lieben" jedoch auch ein weiteres Ende. Für das Buch wird das "Ich" wie der Name einer dritten Person verwendet – geradezu als Abkehr von der autofiktionalen Erzählung. Und das ist auch die Absicht von Espedal.
Er beschreibt, wie er und Karl Ove Knausgård vor zehn Jahren mit dieser Art zu schreiben angefangen und so eine Veränderung in norwegischen Literatur angestoßen hätten, die auch sehr politisch gewesen sei. Die Verwendung des Fiktionalen Ichs habe große Diskussionen über Ethik angestoßen und sogar zu Problemen mit der Polizei geführt.
Doch das ist nicht der Grund, aus dem Espedal den Erzähler und damit auch das Projekt tötet: "Ich bin von der norwegischen Literatur ziemlich enttäuscht derzeit." Nach Knausgård seien viele Bücher anderer Schreibender entstanden über kranke Mütter und tote Väter, über Schwestern oder Brüder, die sich das Leben nehmen. "Und leider ist es nicht immer gute Literatur. Ich habe einfach genug davon, wie diese Gattung kommerzialisiert worden ist. Dabei kann man ja wirklich sagen, dass im Fall von Knausgård das auch wirklich gute Literatur war. Aber jetzt ist es einfach genug: Diese Form der Literatur ist für mich jetzt tot."

Tomas Espedal: "Lieben"
Übersetzung: Hinrich Schmidt-Henkel
Matthes & Seitz, Berlin
112 Seiten, 12,99 Euro

(hte)
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