Tomer Gardi: "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück"
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer
Droschl Verlag, Graz 2019
160 Seiten, 20 Euro
Postmoderne mit menschlichem Antlitz
05:52 Minuten
Bekannt geworden ist Tomer Gardi mit "Broken German". Auch sein neuer Roman ist vor allem als Experiment zu verstehen: Die Erzählfragmente fügen sich zu keinem großen Ganzen - dem Lesevergnügen tut dies keinen Abbruch.
"Der perfekte Satz ist Ausdruck einer Lüge", verkündet der Erzähler (oder die Erzählerin) irgendwo in den 150 wortdichten Seiten von Tomer Gardis Roman "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück". Es ist die eine narrative Regeln, die nicht an anderer Stelle gleich wieder gebrochen wird. Der Roman erzählt seine Geschichte oder seine Geschichten oder seine verschiedenen Versionen einer Geschichte voller Widersprüche, Rücknahmen, Wiederholungen und Ellipsen.
Wie fürs Vorlesen geschrieben
Dazu gehört schon die vermeintliche Grundkonstruktion: Eine Person muss aufs Arbeitsamt und erzählt dem Sachbearbeiter und seiner Sammlung von Whiskyflaschenkartons auf dem Fensterbrett eine Geschichte, um zu beweisen, dass Schriftsteller sehr wohl ein richtiger Beruf ist – bzw. Schriftstellerin, denn kaum ist diese Szene erzählt, wird sie wiederholt, diesmal mit einer weiblichen Icherrzählerin, die sich selbst mit Scheherazade und den Sachbearbeiter mit Sharyar vergleicht.
1001 Nacht in einem israelischen Arbeitsamt: Ein schöner Pitch, mit der sich der Roman selbst anpreist – und dann eben genau mit Absicht nicht einlöst. Statt schöner spitzer Kurzgeschichten zerfasert sich der Roman in verschiedene Fragmente, Anekdoten und Szenen, die miteinander verknüpft sind, ohne dass am Ende die Fäden zusammengeführt werden. Auf die Idee, hinterher wirklich enttäuscht Geld zurück zu verlangen, kommt trotzdem niemand, dafür ist der Erzählstrom zu einnehmend.
Gardi wurde in Deutschland mit seinem Roman "Broken German" bekannt, in dem er mit den Regeln deutscher Grammatik das macht, was er in "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück" mit narrativen Regeln anzustellen gedenkt: Sie kunstvoll missachten und lieber einfach schreiben und erzählen, wie es ihm richtig erscheint. Beide Romane scheinen wie fürs Vorlesen geschrieben zu sein. Es ist ein ungemein großer Verdienst von Anne Birkenhauer, für ihre Übersetzung aus dem Hebräischen einen so kantig-geschmeidigen Rhythmus gefunden zu haben.
Ein wildes Herz und eine unbestimmte Trauer
Aus den erzählten Träumereien sprechen Verzweiflung, Langeweile und Demütigung. In seiner Darstellung von Arbeitslosigkeit, Armut und Wohnungsnot ist der Roman fast schon sozialkritisch zu nennen. Auch der Konflikt zwischen Israel und Palästina wird thematisiert: "Ein Palästinenser aus Hebron, der hier im Viertel wohnt, wenn er gefragt wird, erzählt er meistens, er sei aus Akko, vielleicht, damit er keine Schwierigkeiten kriegt, und vielleicht ist er auch wirklich von dort, er, seine Eltern, seine Großeltern", streut Gardi ein und lässt mit dem abschließenden Dreisprung mühelos die historische Dimension anklingen.
Der Tonfall ist gut gelaunt und sanft apokalyptisch, das verbindet Gardi mit anderen israelischen Satirikern wie Sayed Keshua oder Norman Issa. Auch Italo Calvino und vor allem Georges Perec sind nie weit. Wie Perec versteckt Gardi hinter seinen narrativen Zersplitterungen und Experimenten ein wildes Herz und eine unbestimmte Trauer. Hinter jedem narrativen Effekt und jedem Halbsatzfragment steht eine emotionale Regung: postmoderne mit menschlichem Antlitz.