Tomi Ungerer und seine Meister

Von Hans-Peter Frick |
Rechtzeitig zum 80. Geburtstag seines Namensgebers zeigt das "Musée Tomi Ungerer" eine neue Ausstellung. Es geht um die Kunst und die Künstler, die Tomi Ungerer besonders beeinflusst und beeindruckt haben.
Schlohweißes Haar und eleganter Gehstock. Tomi Ungerer kann sein Alter nicht leugnen. Etwas kokett würde er seinen runden Geburtstag aber am liebsten gar nicht feiern:

"Für mich ist es eine Tyrannei, Geburtstag zu feiern. Genauso wie Neujahr, Weihnachten. Manchmal bin ich sogar weg am Geburtstag. Wenn ich einen Freund treffe, dann feiern wir."

Im Gespräch wirkt er äußerst vital! Vor allem, wenn es um seine elsässischen Wurzeln geht. Als Jean Thomas in Straßburg geboren, ging er in Colmar zur Schule. Der Stadt, wo Baldung Griens "Isenheimer Altar" steht. Eine dramatische, mittelalterliche Schilderung biblischer Geschehnisse:

"Es ist für viele Menschen das größte Meisterwerk der westlichen Welt. Als Kind war die Busstation zur Schule vor dem Museum. Bei Regen bin ich immer rein und habe das angeschaut, das hat mich tief geprägt."

Aber in seiner Interpretation der Altartafel "Die Versuchung des Heiligen Antonius" tauchten Jahrzehnte später dann doch Hexen mit knackigen Hintern auf. Da ist er: der Schalk, Provokateur und Erotomane.

Das Straßburger Museum demonstriert mit Werken von 70 Künstlern – stets im Vergleich mit den Illustrationen und Gemälden von Ungerer – Einflüsse und Interpretationen. Darunter viele Originale aus namhaften europäischen Museen.

Thérèse Willer, Museumsleiterin und Kuratorin, zeigt auf eine Leihgabe des Wilhelm-Busch-Museums Hannover: "Nous avons le plaisir de vous présenter un original de 'Max und Moritz'." Es ist die Szene, in der die beiden Spitzbuben Max und Moritz die Mehlsäcke aufschlitzen.

Tomi Ungerer hat sich als erfolgreicher Kinderbuchautor und -illustrator von Wilhelm Busch ebenso anregen lassen wie von Caspar David Friedrich. Die filigrane Art, wie Ungerer in seinem Klassiker "Das Große Liederbuch" die Bäume zeichnet, belegt das. Ungerer achtet den Maler der deutschen Früh-Romantik sehr:

"Das ist ein großartiger Mensch, auch die Philosophie, die in seiner Malerei liegt. Die Philosophie der Einsamkeit."

Neben dem Kinderbuch stehen die politische Karikatur und das satirische Plakat. Witzig bis schräg, bitterböse, wenn es um Krieg und Rassismus geht. Ungerer, der als Kind die Besetzung des Elsass durch die Nazis erlebt hat, bedient sich bei Francisco de Goya, bei Otto Dix, und neben John Heartfields "Göring, der Henker des Dritten Reiches" von 1933 hängt Ungerers Fotocollage von einem US-amerikanischen General mit blutverschmierter Schürze von 1968. Es war die Zeit des Vietnamkrieges.

Damals lebte Tomi Ungerer in New York, später zog es ihn nach Kanada, heute lebt er mit seiner Familie überwiegend in Südirland.

Der Einfluss durch den amerikanischen Realismus in den 1960er-Jahren wurde später ergänzt durch Surrealisten wie Hans Arp und Marcel Duchamp. Hier habe er seine Zuneigung zu Wortspielen und Nonsens weiterentwickelt, erzählt Ungerer. Er begann mit Collagen und Assemblagen: "Er imitiert niemanden, aber er bedient sich viel", hat sein verstorbener Freund Friedrich Dürrenmatt einmal gesagt.

Ungerer selbst sieht das so: "Ich bin immer einflussbereit, um es zu verdauen. Was rauskommt, ist mein eigenes Produkt."

Ein Produkt, um das er hart ringt. Der in wenigen Tagen 80-Jährige, der nur noch auf einem Auge sieht, verzichtet beim Zeichnen auf den Radiergummi. Lieber fange er 20 Mal neu an, sagt er. Er arbeitet streng und präzise: "Ich vergleiche das Zeichnen mit der Chirurgie. Eine Feder oder ein Stift führen auf dem Papier eine Operation durch."

Die Ausstellung in der Straßburger Jugendstilvilla belegt diesen Eifer. Sie ermöglicht dem Besucher sowohl einen Gang durch die Kunstgeschichte wie auch durch das Leben eines vielseitigen Künstlers: mal Poet, mal Aufklärer, mal treffsicherer Humorist.

Informationen des Musée Tomi Ungerer in Strasbourg zur Ausstellung "Tomi Ungerer et ses maîtres"
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