Tommy Orange: "Dort Dort"
Aus dem Englischen von Hannes Meyer
Hanser Berlin, Berlin 2019
288 Seiten, 22 Euro
Indigene Wirklichkeit jenseits der Klischees
07:03 Minuten
Zwölf Native Americans wollen zu einem Powwow, einem traditionellen Fest der Indigenen. Manche suchen nach ihrer Identität, andere planen einen Coup. Autor Tommy Orange erzählt eine brutale Geschichte mit sensibler Courage.
Es ist sein Debüt – und wurde sogleich ein preisgekrönter New York Times-Bestseller. Tommy Orange, Jahrgang 1982, Sohn einer weißen Mutter und eines Vaters vom Stamm der Cheyenne, erzählt in "Dort Dort" aus dem Leben von Native Americans, will anschreiben gegen Klischees.
Seinem Roman schickt der Autor eine dramatische Geschichtslektion voraus, schildert brutale Aktionen gegen die Natives genauso wie den kleinen perfiden Alltagsrassismus. Er empfinde es als seine Aufgabe, sagt er, an die Geschicke seines Volkes zu erinnern und den Überlebenden einer 500-jährigen Völkermordkampagne ihre Würde und Individualität zurückzugeben.
Ohne tradierte Identität
Orange erzählt die Geschichten von zwölf Native Americans, die ein gewöhnliches städtisches Leben führen, als Postbotin, Drogenberater, Filmemacher. Wir begegnen strebsamen Frauen und Männern, verlässlichen Großmüttern, trinkenden Müttern, drogenverseuchten oder fettleibigen Jungs. Viele allerdings führen hässliche Leben, sind Opfer von Gewalt und Vergewaltigung. Es ist ihnen nicht gelungen, sich in einer heilen oder gar harmonischen Normalität einzurichten. Aber selbst einige der kaputten Typen haben die vage Ahnung, dass es so etwas wie ein anderes Leben geben könnte.
Die meisten von ihnen sind ohne eine tradierte Identität aufgewachsen, weil ihre Eltern sich von ihrer Herkunft lösen, die seit Generationen erfahrene Pein vergessen wollten. Jetzt suchen die Jungen nach einer Orientierung, wollen wissen, ob es etwas gibt, zu dem sie gehören könnten.
Raub mit Pistolen aus dem 3D-Drucker
Alle zwölf wollen an dem großen Powwow, dem traditionellen Fest in Oakland teilnehmen. Die Guten wie die Gauner. Einige helfen, das riesige Treffen zu organisieren, während der Junge Orvil schon lange heimlich indigene Tänze auf YouTube angeschaut und in seinem Zimmer nachgetanzt hat und den zu wissen verlangt, wie es sich anfühlt, Teil von etwas zu sein. Der junge Filmemacher Dene Oxendene will auf dem Fest seine Kamera aufstellen, um Geschichten von Natives zu sammeln.
Eine andere Gruppe dagegen plant den großen Coup: den Raub der Preisgelder für die besten Tänzer und die besten Drummer. Mit einem 3D-Drucker haben sie Pistolen gedruckt, die tatsächlich funktionieren. Der minderbemittelte Tony hat auf Geheiß der Gruppe Kugeln besorgt und sie in Socken über die Mauer ins Gebüsch geworfen. Die jungen Draufgänger planen wie Kinder im Spielrausch.
Verstörende Stille
Orange entwirft Figuren in einer Mischung aus Brutalität und Naivität, aus Drogenrausch und Zärtlichkeitssehnsucht, aus Hoffnung und Schicksal. Mit sensibler Courage gelingt es ihm, ein Bild zu zeichnen, das weder in die Falle des Gegenklischees tappt – die des allzeit lebensweisen Native Americans - noch in den alten verzerrten Einseitigkeiten stecken bleibt.
Der Autor erzählt Wirklichkeiten, zeigt Verwundbarkeit auf mitfühlende Art. Er lässt uns hoffen und die Hoffnung zerschellen. Denn was am Ende bleibt, ist mörderische Gewalt, die Leser und Leserinnen in eine verstörende Stille entlässt.