Tondokumente von 1990

Die Volkskammer besiegelt das Ende der DDR

29:44 Minuten
Die Mitglieder der DDR-Volkskammer bei der Abstimmung über den Beitritt zur BRD am 23. August 1990.
Die Mitglieder der DDR-Volkskammer bei der Abstimmung über den Beitritt zur BRD am 23. August 1990. © picture alliance / dpa / Michael Jung
Zusammengestellt von Susanne Arlt · 19.08.2020
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Im Herbst 1989 findet die erste große Montagsdemonstration in Leipzig statt. Wenige Monate später beschließen die Abgeordneten der Volkskammer in der Nacht zum 23. August das Ende der DDR. Voran ging das lange Ringen um den Beitrittstermin.
Am 4. September 1989 versammeln sich einige Dutzend Menschen zu einer Kundgebung in der Leipziger Innenstadt. Zwei Frauen hissen ein Banner. "Für ein offenes Land mit freien Menschen" steht darauf. Das weiße Stoffstück mit dem Slogan ist nur für Sekunden zu sehen, dann reißen es Stasi-Männer herunter. Doch diesmal nehmen es die Menschen nicht schweigend hin, sie skandieren: "Stasi raus, Stasi raus."
Es ist die erste Montagsdemonstration – und nach dem 4. September schließen sich immer mehr Menschen an und rufen: "Wir sind das Volk."

1990 war ein irres Jahr. Die Mauer war gefallen und die neu gewonnene Freiheit in der DDR war größer als die des bald vereinten Deutschland. Viele lebten die Möglichkeiten aus, die sich nach dem Sturz des SED-Regimes eröffneten. Zugleich wuchs die Sehnsucht, wieder in geordneten Bahnen leben zu können. Hoffnungen von Bürgerrechtlern, die im Herbst 1989 die betonierten Verhältnisse aufgebrochen hatten, wurden bitter enttäuscht. Der Osten lernte den Westen, und der Westen den Osten kennen. Unsere Reihe "Tondokumente aus dem Jahr der deutschen Einheit" vermittelt Eindrücke von diesem stürmischen letzten Jahr der DDR, in dem auch für die alte Bundesrepublik die Zeit ablief. Hören Sie auch wie Literaten und Feuilleton den Aufbruch diskutierten und stimmungsvolle Eindrücke aus dem Sommer 1990.

Und was im Herbst ´89 auf den Straßen von Ost-Berlin, Halle, Erfurt oder Rostock beginnt, findet dann ein knappes Jahr später sein Ende. Am 23. August 1990, in der Nacht um kurz vor drei, beschließen die Abgeordneten der DDR-Volkskammer das Ende der DDR.

Um den Beitrittstermin wird heftig gestritten

Am 22. August 1990 beginnt spät am Abend die Sondersitzung der Volkskammer zur Festlegung des Beitrittstermins. Nach einer emotionalen Debatte beschließen die Abgeordneten schließlich mit 294 Ja- gegen 62 Nein-Stimmen bei sieben Enthaltungen den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Als Termin wird der 3. Oktober festgelegt - ein Kompromiss nach heftigen Diskussionen.

Gregor Gysi hat damals das fast letzte Wort

Das fast letzte Wort hat in dieser historischen Nacht Gregor Gysi. Der Chef der SED-Nachfolgeorganisation PDS zieht einen Schlussstrich auf seine ganz eigene Art.
"Frau Präsidentin! Das Parlament hat soeben nicht mehr und nicht weniger als den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik zum 3. Oktober … beschlossen. Ich bedaure, dass die Beschlussfassung im Hauruckverfahren über einen Änderungsantrag geschehen ist und keine würdige Form ohne Wahlkampftaktik gefunden hat", sagt Gysi.
"Denn die DDR, wie auch immer sie historisch beurteilt werden wird, war für uns das bisherige Leben. Und ich bedaure, dass der Einigungsprozess zum Anschluss degradiert ist. Aber ich bin davon überzeugt, es gibt auch neue Chancen…"
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