Kinokolumne
Blick ins Ungewisse: In Fellinis "La Strada" nimmt Jahrmarktartist Zampanò (Anthony Quinn, Mitte) die junge Gelsomina (Giulietta Masina, links) bei sich auf. © picture alliance / United Archives / IFTN
Die besten Filme über den Zirkus
05:30 Minuten
Federico Fellini, Max Ophüls, Ingmar Bergman: Viele große Regisseure des 20. Jahrhunderts haben sich mit dem Thema Zirkus befasst. Auf Platz eins unserer Rangliste hat es aber der Zirkusfilm eines jüngeren Regisseurs geschafft.
Platz 5 – „Die Marx Brothers im Zirkus“ von Edward Buzzell (1939)
„Und nun präsentieren wir Ihnen das Muskelwunder, den stärksten Mann der Welt: Goliath, der Mächtige.“ Von wegen! Alles nur Schein! Aber eben ganz normal im Kosmos des Zirkus. Doch dieser ist kurz vor der Pleite, bis Groucho, Chico und Harpo in Aktion treten, der reichen Tante das Geld aus den Rippen leiern und dabei einen … nun, „riesigen Zirkus veranstalten“. Dass das Anarchismus pur sowie perfekt getimt ist, muss bei den Marx-Brothers nicht hinzugefügt werden.
Platz 4 – „Abend der Gaukler“ von Ingmar Bergman (1953)
Der Zirkus „Alberti“ kommt in die Stadt, wo Anne vor Jahren ihren Mann, den Zirkusdirektor Albert, verlassen hat. „Willst du wissen, was ich glaube?“, sagt Albert. „Ich glaube, du bist absichtlich zu ihm gegangen. Weil du genug vom Zirkus hast und von mir. Wie ich genug habe vom Zirkus und von dir.“
Sehnsucht nach Freiheit und Zurückfallen in die Abhängigkeit. Bei Ingmar Bergman ist der Zirkus – lateinisch „Kreis“, „Ring“ – Bild für die zirkuläre menschliche Existenz, das ewig auftauchende Unausweichliche. Als Albert sich am Ende erschießen will, ist der Revolver leer. Stattdessen erschießt er den Zirkusbären. „Erotik und Demütigung in wechselnden Kombinationen“, so benannte Ingmar Bergman sein Thema in „Abend der Gaukler“.
Platz 3 – „Lola Montez“ von Max Ophüls (1955)
Lola Montez, Popstar oder auch das „It-Girl“ ihrer Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts. 25 Cent kostet eine Frage an sie, ruft der Zirkusdirektor. Zu ihrer Taillenweite oder den Affären mit Franz Liszt oder Ludwig von Bayern. In Rückblenden – und in einer betörenden Bilder- und Farbdramaturgie – wird Lola Montez' Leben porträtiert als Spielobjekt einer patriarchalischen Ordnung, die wie der Zirkus penetrant die Illusion von Glanz und Glamour zelebriert.
Platz 2 – „La Strada – Das Lied der Straße“ von Federico Fellini (1954)
Der Schausteller Zampanò kauft die naive Gelsomina. Die wird als Clown auftreten. Tragische Liebesgeschichte. Und wenn die Zirkustrommel geschlagen wird, verschwimmt die Realität. Der Fantasieort Zirkus, an dem sich immer bei Fellini alles in Verdichtung, in Reinform zeigt. Fellinis Interesse für die Ver-rückten – Zirkus-Leute oder Filmschaffende –, die wie in „La Strada“ von jenseits der Normalität gegen das allein Rationale ankämpfen. Und das Gleiche in einer sehr, sehr schwarzen Fantasie-Variante.
Platz 1 – „Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod“ von Álex de la Iglesia (2010)
Der Moment, in dem der Clown die Kinder zum Lachen bringen kann, ist ein kurzer, denn die Welt ist schon aus den Fugen geraten. Bürgerkrieg in Spanien. 1937. Zeitsprung in „Mad Circus“. 1973, die Franco-Ära. Der traurige Weißclown, Sohn des toten Clowns aus der Zeit des Bürgerkrieges. Später verstümmelt sich Javier Wangen und Lippen mit dem Bügeleisen, bleicht die Haut aus. So braucht der Clown kein weißes Make-up mehr. Dann nimmt er zwei Maschinenpistolen in die Hand und ballert die Franco-Schergen über den Haufen.
Goya, Dalí, Buñuel: Sie treiben die Bilder von Àlex de la Iglesia an. Und das Lachen - am Anfang noch das unschuldige der Kinder im Zirkus -, es ist am Ende höhnisch. Aber auch das dreht. Schließlich weint der weiße Clown bittere Tränen. In der Erinnerung an seine Kindheit Anfang der 1970er-Jahre, sagt Filmemacher Àlex de la Iglesia, „verwischt alles zu einer seltsamen Halluzination“. Wie immer ist die Welt des Zirkus, ist die Welt im Zirkus außer Rand und Band.