"Erinnerungsarbeit ist immer umstritten"
11:44 Minuten
Die Erinnerungskultur in Deutschland habe sich verändert, bilanziert Andreas Nachama, scheidender Leiter der Stiftung "Topographie des Terrors". Aber jede Generation werde neue Fragen an die Geschichte stellen. Deshalb blicke er positiv in die Zukunft.
Seit 1987 steht Andreas Nachama an der Spitze des Dokumentationszentrums "Topographie des Terrors". Zum Ende des Jahres ist Schluss. Nachama geht in den Ruhestand. Er werde auch nicht zu den Kollegen gehören, die weiterhin einen Schreibtisch bei der Stiftung haben werden. "Ich werde von zu Hause aus arbeiten", sagt der studierte Historiker und Rabbiner.
Lernort und nicht Gedenkstätte
Die Daueraustellung sei von Anfang an betont nüchtern geplant gewesen, sagt Nachama: "Der kleine Pavillon, den wir da gehabt haben, 1987, war eine Dokumentation, die möglichst unterkühlt, sachlich an die Dinge herangeht. Es ist eben keine Gedenkstätte, sondern ein Lernort." Die Dokumente sollten für sich überzeugen.
Die Erinnerungskultur habe sich in den letzten 30 Jahren verändert, stellt der 68-Jährige fest: "Von den globalen Sichten, die es in den 70er- und 80er-Jahren noch auf die NS-Zeit gegeben hat, ist es heute so, dass wir sehr genau kleinste Mosaiksteine betrachten und daraus Schlüsse ziehen."
Jede Generation werde neue Fragen an die Geschichte stellen, meint Nachama. "Und solange wie das der Fall ist, ist mir da auch nicht bange." Tabus seien immer gebrochen worden, so der Direktor des Dokumentationszentrums, und auch zu seiner Schulzeit sei diskutiert worden, ob man das Tagebuch der Anne Frank oder die Erinnerungen eines Vertriebenen lesen solle. "Erinnerungsarbeit ist immer eine, die umstritten ist. Wenn sie nicht umstritten ist, dann braucht man sie nicht mehr."
Andrea Riedle wird seine Nachfolgerin
Er sei gespannt, wie es unter seiner Nachfolgerin Andrea Riedle mit der "Topographie des Terrors" weitergeht, sagt Nachama. "Ich will sehen, dass die Dinge, die wir bestellt haben, aufgenommen werden und weitergetragen werden, möglicherweise in einer anderen Form."
Er bleibe ein Akteur auf diesem Feld und sei weiterhin bereit zu lernen, sagt der scheidende Direktor. Andreas Nachama engagiert sich beim "House of One", einem interreligiösen Projekt, das den Dialog zwischen Juden, Christen und Moslems fördert. "Es kommen unterschiedliche Gruppen untereinander ins Gespräch." Und dieses Gespräch solle dann auch in die Stadtgesellschaft ausstrahlen, hofft Andreas Nachama.
(beb)