Tor oder nicht Tor?

Von Georg Gruber |
Die Regeln im Fußball sind allgemein bekannt: Gewonnen hat, wer mehr Tore geschossen hat. Doch nicht jedes Tor wird auch gegeben, wie zuletzt bei der Fußball-WM in Südafrika beim Spiel Deutschland gegen England. Auch immer wieder in der Bundesliga stellt sich die Frage: War der Ball drin oder nicht? Dabei gibt es technische Möglichkeiten, dies zu klären. Mit einem Chip im Ball beispielsweise.
In einem Gewerbegebiet im Norden Münchens, zwischen Unterföhring und Ismaning – hier sitzt das Unternehmen, das die Fußballwelt gerechter machen möchte. Im ersten Stock eines unscheinbaren Gebäudes. Dass die Cairos Technologies AG etwas mit Fußball zu tun hat, kann man schon am Fußabstreifer erahnen. Der hat, wie könnte es anders sein, die Form eines Fußballfeldes.

Gegründet wurde die Firma vor 10 Jahren in der Nähe von Karlsruhe in Karlsbad. Dort hat sie auch heute noch ihren zweiten Sitz, und dort auf dem Karlsbader Fußballplatz spielt auch der ATSV Mutschelbach – ohne den es die Cairos AG heute nicht gäbe. Nach einem Training der "Alten-Herren"-Mannschaft saß man noch zusammen, erzählt Oliver Braun, zuständig für Marketing und Pressearbeit, und unterhielt sich über Fußball. Mit dabei auch der Vater von Oliver Braun, Hartmut Braun, Geschäftsführer einer Firma für Beleuchtungstechnik.

"Und da gab’s das Wochenende vorher so eine Situation auch, Tor oder nicht Tor, und da hat einer seiner Mannschaftskameraden zu ihm gesagt: Hartmut, du hast doch mehrere Ingenieure zur Hand, das gibt’s doch nicht, seit 66 diskutieren wir da - damals waren es 33 Jahre - jetzt haben wir 33 Jahre dieses Wembleytor. Da muss es doch irgendeine Möglichkeit geben, rauszukriegen, ob der Ball die Torlinie überschritten hat oder nicht, Lichtschranke oder RFID oder alles Laser oder wie auch immer.

Da hat mein Vater sich überlegt, ja klingt eigentlich ganz interessant und hat dann einen von unseren Ingenieuren damit beauftragt, sich mal damit auseinanderzusetzen. Und so hat das Ganze 1999 begonnen, und mittlerweile sind wir 14 Aktionäre, die alle aus dem Raum Karlsruhe kommen, und die da mit Herz und Seele dabei sind und glauben, dass so eine Technik früher oder später eben eingesetzt wird."

Viel Geld ist seitdem investiert worden, um die 15 Millionen Euro sollen es inzwischen sein. 2001 hatte Cairos das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen mit der Realisierung der Chip-im-Ball-Idee beauftragt. Ein vierzigköpfiges Team entwickelte schließlich eine Wireless-Tracking-Technologie. Per Funkchip im Ball sollte die Position des Balles jederzeit erfasst werden können.

Und noch mehr: Es wurden auch flache Sender entwickelt, für die Schienbeinschoner der Spieler. Über Empfänger am Spielfeldrand, angebracht beispielsweise an Flutlichtmasten, sollte so das gesamte Spiel in einem Zentralrechner ausgewertet werden können: die Zahl der Ballkontakte eines Spielers, die Laufleistung im Vergleich zu Mannschaftskollegen, die Schussgeschwindigkeit. Und eben auch: Hat der Ball die Torlinie überschritten, oder nicht?

Doch beim ersten großen Test, der U-17-WM in Peru 2005, floppte das System, angeblich zeigte es bei einem Spiel, das 1:0 endete, sechs Treffer an. 2005 endete auch die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut. Cairos entwickelte in Eigenregie ein anderes System, die Goal-Line-Technologie. Wiederum mit einem Chip im Ball. Christian Holzer, Vorstand der Cairos AG und ehemals Fußballprofi beim TSV 1860 München:

"Die Cairos-Goal-Line-Technologie basiert auf Magnetwellentechnik. Dazu werden im 16-Meter-Raum und an der Torlinie sehr dünne Kabel vergraben, die diese Magnetwellen ausstrahlen und im Ball befindet sich ein kleiner Sensor, der diese Magnetwellen erfasst und ans zentrale System schickt und das zentrale System kann dann auswerten, ob der Ball die Torlinie überschritten hat oder nicht und schickt dann im Bruchteil einer Sekunde die Information wieder zurück an den Schiedsrichter, der dann auf seiner Uhr sehen kann, ob der Ball die Torlinie überschritten hat."

Im Fokus steht bei dieser Technik nur die Frage: Tor – ja oder nein. Sicher ist, dass damit das Spiel Deutschland gegen England in Südafrika anders verlaufen wäre. Mithilfe der Magnetwellen kann die Position des Balles auch dann ermittelt werden, wenn zum Beispiel der Torwart oder mehrere Spieler auf dem Ball liegen. Ein Vorteil gegenüber dem Videobeweis.

"Der Vorteil von diesen magnetischen Wellen ist, dass sie ungehindert durch menschliche Körper hindurch gehen und auch den menschlichen Körper nicht beeinflussen und es dadurch quasi möglich ist, dass wir auch Torentscheidungen treffen können, selbst wenn der Ball von mehreren Spielern verdeckt ist. Weil diese Magnetwellen jederzeit messbar sind, die werden nicht beeinflusst im Gegensatz zu Radiowellen, die dann ein Messergebnis verfälschen würden, können wir mit den Magnetwellen durch den Körper hindurch die korrekte Position feststellen."

Die Firma Cairos liefert die Technik, die Bälle selbst stammen aus dem Hause Adidas. Der Chip, etwa 20 Gramm schwer, befindet sich genau in der Mitte des Balles, fixiert durch spezielle Glasfaserfäden.

"Von uns kommt alle Elektronik, die ganzen Algorithmen die benötigt werden, um zu berechnen, wo der Ball ist, die Kabelverlegung im Stadion, und halt eben auch der Chip im Ball. Und Adidas sorgt eben für die Aufhängung im Ball, dass auch wenn Roberto Carlos mit 140 km/h gegen den Ball schlägt, dass dem Chip eben nichts passiert und dass der Ball die ganz normalen Tests durchgeht, dass der Ball seine FIFA gemäßen Eigenschaften eben hat."

2007 wurde der Chip im Ball mit der neuen Technologie in Japan bei der FIFA Klub-WM getestet, diesmal mit Erfolg. Die Herren über das Fußball-Regelwerk, versammelt im International Football Association Board, kurz IFAB, blockten dennoch ab. Fußball sei ein Spiel "mit menschlichem Gesicht, mit Irrtümern von Menschen, das sollte man so lassen", argumentierte noch im März FIFA-Chef Sepp Blatter. Das nicht gegebene Tor bei der Fußball-WM in Südafrika hat die Diskussion neu entfacht. Herbert Fandel, der Chef der DFB-Schiedsrichterkommission beispielsweise, ist für den Chip im Ball. Das IFAB will sich nun bei seinem nächsten Treffen im Oktober erneut mit der Torlinien-Technologie beschäftigten – Ausgang offen.

Oliver Braun und Christian Holzer hoffen natürlich, dass ihre Technik irgendwann doch noch zum Einsatz kommt, in Deutschland, aber auch international, damit sich die Investitionen auszahlen. 25 Prozent der Schiedsrichterkosten wollen sie für ihre Technologie. In der Ersten Bundesliga wären das etwa 2.500 Euro pro Spiel.
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