Auf Umwegen zum Mann zwischen den Pfosten
06:15 Minuten
Holger Gehrke ist ein Berliner Junge. Seine Fußballkarriere begann er in der geteilten Stadt, doch Erfolge feierte er als Torwart und später auch als Trainer auch anderswo. Nun setzt er auf die Jugend.
Schalke, Hertha und Köln: Drei Bundesliga-Traditionsvereine, die Holger Gehrke zwar nur noch aus der Ferne beobachtet, die ihn aber dennoch nicht kalt lassen. Denn für jeden dieser Klubs hat er gearbeitet. Auf Schalke war er Torhüter, Torwarttrainer und Co-Trainer, bei den Berlinern und Kölnern Trainerassistent und Torwarttrainer.
Schleichender Prozess auf Schalke
Schalkes erster Bundesliga-Abstieg seit dreißig Jahren ist für Gehrke nicht nur auf diese Saison zurückzuführen: "Das ist ein schleichender Prozess. Ich sage, das kann man mich vielleicht irgendwann mal zitieren, die müssen auch in der 2. Liga aufpassen, dass sie nicht nochmal durchgereicht werden, ähnlich wie Kaiserslautern."
Gründe für den Schalker Niedergang gebe es reichlich, aber das würde den Rahmen sprengen, meint Gehrke. Er selbst hat erlebt, wie der Verein in der Vergangenheit immer wieder seltsame Entscheidungen getroffen hat.
Beispielsweise 2014, als sich die Geschäftsführung trotz eines guten Punkteschnitts vom damaligen Trainer Jens Keller und seinem Assistenten Holger Gehrke trennte: "Die Begründung damals von Horst Heldt war fehlende Konstanz. Wir waren zu dem Zeitpunkt in der Champions League. Wir hatten ein Supertrainerteam. Da war ein Peter Herrmann, der ein Jahr vorher noch abgefeiert worden ist als wichtigster Neuzugang. Den hat man bei Schalke vom Hof gejagt. Begründung war dann auch, wir brauchen einen internationalen Trainer. Trainer Di Matteo kam. Ich sage immer so ganz gern, Hochmut kommt vor dem Fall. Ist eine traurige Geschichte. Jetzt stehen sie vor einem Scherbenhaufen."
Hertha im Strudel
Bereits vor einer Woche hat die von vielen abgeschriebene Hertha nach ihrer Coronaquarantäne den Klassenerhalt klargemacht. Das bei sechs Spielen in zwanzig Tagen mit dem buchstäblich allerletzten Aufgebot.
Auch Gehrke war schon bei den Berlinern aktiv. Anfang der 2000er-Jahre, wie auf Schalke an der Seite von Huub Stevens. Warum der Hertha-Zug in dieser Saison erst im Endspurt ins Rollen kam, vermag er nicht zu beurteilen.
Der Hauptstadtklub sei aber ein Beispiel für Vereine, die mit höheren Zielen starten und in Turbulenzen geraten, wenn es nicht läuft: "Gerade Mannschaften, die sich in ganz anderen Sphären zu befinden meinen –wenn die dann mal so ein bisschen in diesen Strudel hineinkommen, dann ist das oft ganz schwierig, den Schalter umzulegen im Vergleich zu anderen Truppen wie Freiburg, wo es jedes Jahr darum geht, die Klasse zu halten. Die tun sich da ein bisschen leichter."
In Köln an der Seite von drei Trainern
Bleibt von den Bundesliga-Vereinen, bei denen Gehrke zum Trainerteam gehörte, noch der 1. FC Köln. Der FC muss in die Relegation und darf noch auf den Klassenerhalt hoffen. Bei den Kölnern hat Gehrke zunächst auch mit Stevens zusammengearbeitet, danach noch mit drei anderen Trainern.
Nach seiner Zeit am Rhein zog es ihn ins Ausland, wo er bei Fenerbahce Istanbul und in der Nationalmannschaft Kasachstans Trainer war.
Über die erneute Zwischenstation Schalke kam er zum ungarischen Verband und betreute dessen Keeper bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich. Darunter Péter Gulásci von RB Leipzig.
Erst mit 16 Jahren ins Tor
Das Torhüterspiel steht für den inzwischen 60-Jährigen auch heute noch im Mittelpunkt. Kurios: Denn bei seinem Ausbildungsverein Hertha 06 aus dem Berliner Bezirk Charlottenburg war der 1,96 Meter große Gehrke viele Jahre Feldspieler.
"Dort habe ich meine ganze Jugend gespielt, habe in der E-Jugend angefangen und hatte zwischendurch mal, wenn ein Torwart mal ausgefallen ist, hatte ich mal ausgeholfen, wollte aber nie ins Tor." Er habe sich immer erfolgreich dagegen gewehrt – "bis ich dann, so mit 16, im Feld dann das erste Mal so Probleme hatte, meinen Stammplatz zu halten."
Ein Trainer habe dann intensiv – "wirklich wie auf so einen lahmen Gaul" – auf ihn eingeredet. "Er meinte, dass ich dort ganz gut aufgehoben wäre. Dann habe ich mich überzeugen lassen und bin dann erst relativ spät ins Tor. Dafür dann 15 Jahre Profi ist sehr ungewöhnlich."
Jugendcamps auf Mallorca
Seit einigen Jahren lebt Gehrke auf Mallorca. Dort bringt er Fachwissen und Erfahrung in die Fußballferienschule "Fussicamp" ein, wo er gemeinsam mit anderen Ex-Profis Kurse für Kinder anbietet.
"Das Besondere am Torwarttraining ist, dass man da immer besser wird. Wenn man jetzt mit seiner eigenen Mannschaft zusammen gegen eine richtig schwere Mannschaft spielt, dann hält man alle Bälle."
Sollte das Infektionsgeschehen auf der spanischen Insel weiter so gering bleiben, momentan liegt die Inzidenz erstmalig seit zwei Monaten wieder unter 20, werden Gehrke und seine Kollegen wohl auch in diesem Sommer mit Kindern aus Deutschland viel Spaß beim Fußballtraining auf Mallorca haben.