Total recall?

Von Armin Hirsch |
Wozu brauchen wir Erinnerung? Was bedeutet Erinnern für unsere Identität? Um diese und andere Fragen rund um die Entwicklung des Gedächtnisses im Zeitalter der digitalen Möglichkeiten geht es auf der Ars Electronica in Linz. "Total Recall - The Evolution of Memory" lautet offiziell das Motto.
Arnold Schwarzenegger alias Douglas Quaid will auf den Mars. Wobei: Wirklich hinreisen will er dort nicht - er hätte nur gerne die Erinnerungen an das Mars-Abenteuer in seinem Kopf. Deshalb kauft er eine Erinnerung: Im Film "Total Recall" von 1990 ist das möglich.

John Haynes hat den Filmausschnitt zur Ars Electronica mitgebracht. Er ist Psychologe an der Berliner Charité und vergleicht Science Fiction mit dem tatsächlichen Stand der Forschung. Was wissen Hirnforscher heute über das Erinnern?

John Haynes als Gedanken-Leser
Wenn also jemand an einen Ball denkt, dann kann man messen, welche Regionen im Gehirn in diesem Moment aktiv sind. Diese Muster wertet dann ein Computer aus und speichert sie. Und wenn der Rechner das nächste Mal wieder die gleichen Muster registriert, dann ist klar: Die Versuchsperson denkt wieder an einen Ball. Mit diesen Erkenntnissen ist John Haynes bereits als Gedanken-Leser bekannt geworden - er selbst aber sagt: Dieses Wissen lässt sich bislang kaum in der Praxis anwenden.

Und von Erinnerungsimplantaten wie im Film Total Recall sind die Hirnforscher noch weit entfernt. Die Diskussion nach den Vorträgen auf der Ars Electronica soll Natur- und Kulturwissenschaft zusammenführen - letztere beschäftigt sich weniger mit dem individuellen Gedächtnis einzelner Menschen, als mit dem kulturellen Gedächtnis einer Gesellschaft.

Leider holt das Publikum hier alte Ressentiments hervor - und das kostet viel Zeit: "Wollen uns die Synapsenzähler aus der Hirnforschung unseren freien Willen nehmen?" "Können die überhaupt verstehen, was die ‚Erinnerung‘ eines Menschen ausmacht?"

Diese Töne passen so gar nicht zur Ars Electronica, die sich eigentlich als Zukunftsmesse versteht. Die Begleitmusik liefert in diesem Moment eine Installation mit alten Tonbandgeräten direkt vor der Tür des Tagungsraums: Mehrere alte Bandmaschinen sind hochkant auf meterhohen Stelen angebracht.

Eine Hommage an das analoge Tonband
Die abgespielten Tonbänder werden aber nicht wie gewöhnlich auf einer zweiten Spule wieder aufgewickelt, sondern fallen lose nach unten in eine Glasvitrine. Dort bilden sie wunderbare Schlaufen und Muster – und türmen sich zu einem meterhohen Bandsalat.

Irgendwann ist der Bandvorrat erschöpft – die Maschine wechselt die Laufrichtung und zieht die Bänder wieder nach oben - jetzt in Normalgeschwindigkeit.

Der japanische Künstler Ei Wada nennt seine Installation: Falling Records. Ein Hommage an das analoge Tonband.

Überhaupt blicken manche der prämierten Arbeiten lieber zurück in die Technologiegeschichte statt nach vorne in eine vielleicht ungewisse Zukunft. Auch das Symposium "Total Recall" präsentiert zwar alle aktuellen Entwicklungen der Naturwissenschaft und hat Neurowissenschaftler, Biochemiker, Psychologen und Mediziner eingeladen.

Andere aktuelle Fragen aber fehlen: Wie wird sich das kollektive Gedächtnis verändern, wenn die Fundstücke aus der Vergangenheit nicht nur aus manchmal schwer zugänglichen Archiven kommen, sondern von den gesammelten Erinnerungen der Web-User? Und wie verändert sich der Kanon des gemeinsamen Wissens einer Gesellschaft, wenn der Algorithmus von Suchmaschinen oder sozialen Netzwerken entscheidet, was sichtbar ist und was nicht?

Die Künstler auf der Ars Electronica dagegen setzen sich offensiv mit diesen Fragen auseinander: So zum Beispiel der Belgier Mark van den Borre. Er präsentiert einen Buchscanner zum Selberbauen. Das unscheinbare Holzgerüst besteht aus 32 Teilen und hat in der Mitte einen kleinen Lift, auf dem ein halb aufgeklapptes Buch Platz findet.

"Es gibt viele Archive in kleineren Orten"
Das wird von unten an zwei Glasplatten gedrückt –zwei Kameras nehmen das Bild auf und leiten es an einen Rechner weiter. So können auch ältere Bücher schonend digitalisiert werden. Nur: Warum selber Bücher scannen, wenn das doch bekanntlich Google macht? Der Open Source-Aktivist Mark van den Borre.

"Es gibt viele Archive in kleineren Orten. In dem Ort, aus dem ich komme, gibt es eine Archäologie-Vereinigung. Ihr Archiv steht im Keller und sie benutzen tatsächlich Mikrofilme aus den 1970er-Jahren - und darauf findet man etwa 20 Prozent des gesamten Bestandes.

Ich weiß nicht was mit dem Rest ist. Google digitalisiert nur die großen Archive. Es gibt aber auch private Sammlungen, und die haben nicht Tausende Euros, die eine Digitalisierung kosten würde. Denen wollen wir etwas bieten, das sie sich leisten können – und das gleichzeitig funktioniert."

Wer den Do-It-Yourself-Scanner nicht selbst zusammenbauen will, kann ihn sich auch fertig bestellen - ab 500 Euro. Auf der Ars Electronica gibt es viele solche Produkte, die die Welt besser machen wollen. Ein ganzer Bereich erinnert an die vielen Maker-Messen und FabLabs. Dort sind die Werke aus 3D-Druckern zu sehen, selbst gemachte Flugdrohnen und sonstige blinkende Gerätschaften.

Die Ars Electronica vereint also drei Festivals in einem: Ein wissenschaftliches Symposium, eine Ausstellung von Kunst und Technik - und ein Volksfest. Denn parallel findet die Linzer Klangwolke statt, ein Multimediakonzert im Freien, zu dem in diesem Jahr über 100.000 Besucher gekommen sind. Dort strahlt Europas größte Lasershow kreuz und quer über die Donau und das Feuerwerk explodiert im Takt der eher massentauglichen Musik.
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