Ausstellungstipp: "Touchdown - Eine Ausstellung von Menschen mit Down-Syndrom", in der Bundeskunsthalle Bonn vom 29. Oktober 2016 bis zum 12. März 2017.
Der sehr lesenswerte Katalog "Touchdown. Die Geschichte des Down-Syndroms" ist bei der Bundeszentrale für politische Bildung gegen eine Gebühr von sieben Euro zu beziehen. Und das Berliner integrative Theater Ramba-Zamba ist auch zu Besuch.
Erste Ausstellung über die Geschichte des Down-Syndroms
Eine Steinfigur aus dem alten Mexiko zeigt: ein Kind mit Down-Syndrom. Solche historischen Dokumente präsentiert die Ausstellung "Touchdown". Sie illustriert die Geschichte des Syndroms und erzählt, wie betroffene Menschen in verschiedenen Ländern lebten und leben.
"Und zwar wollen wir tatsächlich nichts weniger, als die erste Ausstellung über die Geschichte des Down-Syndroms machen."
Ausstellungsleiterin Henriette Pleiger hat sich viel vorgenommen und viel geschafft. In der Bonner Bundeskunsthalle schreibt sie in sieben Kapiteln die Geschichte des Down-Syndroms und behilft sich mit einem Trick. Eine Mission von Downsyndrom-Astronauten kommt aus der Zukunft und schaut sich das Leben auf der Erde an.
"Wir wollen heute wissen, wie man in Deutschland lebt, als Mensch mit Down-Syndrom, als junger Erwachsener. Wo will ich hin? Was erwarte ich? Was fordere ich? Was bin ich bereit zu tun, damit mein Leben so ist, dass es mir gut geht?"
Treibende Kraft ist die Kuratorin und Humangenetikerin Katja de Braganca. Sie betreibt seit zwei Jahrzehnten ein medizinhistorisches Forschungsprojekt und ist Herausgeberin des Magazins "Ohrenkuss" für und von Menschen mit Down-Syndrom.
Gezeigt werden in Bonn neben historischen und wissenschaftlichen Exponaten aus Archiven, insbesondere zeitgenössische Kunstwerke zum Thema. Das Projekt ist partizipativ angelegt. Menschen mit und ohne Beeinträchtigung arbeiten zusammen.
"Es will viel, viel mehr sein, als bloß eine Outsider-Art-Ausstellung. Es geht uns sehr stark um den Kontext."
Was sich trocken anhört, ist sehr sinnlich und eindrücklich. Ein Bildhauer macht Holzskulpturen von Menschen mit Down-Syndrom, eine Fotografin zeigt Großeltern mit ihren Enkelkindern, die das Down-Syndrom haben. Es gibt eine ganz Gruppe von Kunstwerken, die sich mit Themen wie Nähe, Liebe und Partnerschaft beschäftigten.
Auch Thema: die Euthanasie-Morde zur Zeit des Nationalsozialismus
Auf großen, senkrecht gehängten Bildschirmen kann der Besucher Menschen mit Down-Syndrom länger ansehen, und bemerkt dabei wie das ist "angeglotzt" zu werden. Katja de Braganca spricht Klartext und sagt: "Das fühlt sich richtig Scheiße an!"
Überhaupt ist in Bonn Klartext angesagt. Die Ausstellung ist in einfacher, klarer Sprache gehalten und sie klärt in klarer Sprache auf. Deutlich. Auch über die Euthanasie-Morde zur Zeit des Nationalsozialismus. Die ideologischen Hetz-Schriften von Paul Schultze-Naumburg über "Kunst und Rasse" von 1928 liegen aus, in denen er die moderne expressionistische Kunst als krank und behindert einstuft.
"Es gibt im Raum sechs der Ausstellung ‚Touchdown‘ ein Exponat zum Thema Schwangerschaftsabbruch nach der Diagnose Trisomie 21 und dieses Werk ist von acht erwachsenen Menschen mit Down-Syndrom gemacht worden."
Bis heute werden circa 90 Prozent der Schwangerschaften nach der Diagnose Trisomie 21 abgebrochen. Das Phänomen Down-Syndrom gab es schon immer. Auch in alten Kulturen. Es wurde nur nicht so genannt. Eine olmekische Steinfigur aus dem alten Mexiko zeigt ein Kind mit Down-Syndrom. Und auf einem Altargemälde des 16. Jahrhunderts mit Anbetungsszene sind ein Engel und ein Hirte eindeutig als Menschen mit Down-Syndrom zu erkennen.
Erstmals werden Fotos aus dem Archiv von John Langdon-Down gezeigt, der 1866 seine "Beobachtungen zu einer ethischen Klassifizierung von Schwachsinnigen" publizierte. Er war seit 1862 Chefarzt des "Royal Earlswood Asylum", ein Heim für Menschen mit Lernschwierigkeiten.
Wie gehen wir mit Abweichungen und Differenzen um?
"Dieser Mann ist eine positive Figur in dieser neuen Geschichtsschreibung von Menschen mit Down-Syndrom. Er ist ja auch eine identitätsstiftende Figur."
Diese Ausstellung öffnet dem Besucher buchstäblich Augen und Ohren für ein Phänomen, das wir allzu gern nur "medizinalisieren". Es geht aber um nichts weniger, als die weiter gefasste Frage, wie wir mit Abweichung und Differenz umgehen in einer selbstoptimierungswilligen Casting-Gesellschaft.
"Ich gehe ganz klar davon aus, dass diese Menschen eigentlich nicht behindert sind. Sie sind anders. Und deswegen können sie manches nicht, was viele andere Menschen können. Das stimmt."
Das Rätsel der drei Wurstscheiben
Neben den Vitrinen mit historischen Zeugnissen beeindrucken Polaroid-Fotos, die in einem Satz auf die Frage antworten, was passieren soll, bevor ich sterbe: "glücklich sein", "an einem Reitturnier teilnehmen" oder "weiterleben".
Selbstgenähte Brautkleider zeigen, wie wichtig das Thema Nähe, Liebe, Partnerschaft ist. Und da sind rätselhafte, sprechende Gegenstände wie etwa diese drei Wurstscheiben. Fleischwurstscheiben. Kinderwurst.
Die 35-jährige Julia Bertmann hat Down-Syndrom. Sie ist Sprecherin des Beirats der Ausstellung und löst das Rätsel auf. Sie schildert ihr Erlebnis als sie im Lebensmittelladen geduzt wurde.
"Ich sollte da einkaufen gehen an der Wursttheke. Und da sagt man immer: Möchtest du eine Scheibe Wurst? Ich war ein bisschen pikiert und hab gesagt, ich bin aber älter. Ich bin also kein Kind. Aber damals, war wirklich der Fall, wo man gesagt hat: Willste ne Scheibe Wurst? Das war für mich, da war für mich der Ofen aus!"